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Landeshauptstadt: Ensembles in der Krise?

An den Rand gedrängt: Warum sich die Musikerziehung an Schulen in die Mitte bewegen muss

Gerade noch zappelten sie auf ihren Stühlen, quasselten und kramten um sich rum. Jeder scheint mit sich beschäftigt. Im nächsten Moment aber sind sie eins. 40 Kinder – ein Klangkörper. Der Kanon, den Musiklehrer Andreas Flämig angestimmt hat, pendelt sich ein wie Glockenklang.

Für die Zehn- bis Dreizehnjährigen gehört das Singen zum Schulalltag, genau wie für alle anderen Schüler des Evangelischen Gymnasiums auf Hermannswerder. Warum sie nach einem anstrengenden Unterrichtstag freiwillig im Chor singen, wissen sie im ersten Moment gar nicht zu sagen. Die 12-jährige Laura aber bringt es mit einfachen Worten auf den Punkt: „Weil es schön ist.“

Nicht überall gibt der Gesang, so wie hier, den Ton an. Musik gehört zu den so genannten „kleinen Fächern“ und hat sich in vielen Schulen Brandenburgs an den Rand drängen lassen. Nicht auf Hermannswerder. Auch nicht in Gymnasien mit speziellem Musikzweig, mit Chören und Schülerbands oder in der musikbetonten Potsdamer Max-Dortu-Grundschule, die ihre Schüler viel singen und auf Orffschen Instrumenten musizieren lässt, mit ihnen in die Oper geht und alljährlich ein abendfüllendes Musiktheaterstück auf die Bühne bringt. Doch das sind Ausnahmen. „Leuchttürme, wo es sonst sehr dunkel ist“, sagt Andreas Flämig. Als Ehrenpräsident des von ihm einst mitbegründeten Verbandes Deutscher Schulmusiker in Brandenburg hat er den Überblick. Vielerorts fehlen qualifizierte Fachlehrer, Musikstunden fallen aus. Mit Schulschließungen und sinkenden Schülerzahlen zerbrechen Chöre und Ensembles. Auf eine landesweite Befragung hin registrierte der Verband 350 Schulensembles. „Das klingt zunächst gar nicht schlecht. Wenn man aber weiß, dass von 1000 Schulen nur 299 geantwortet haben, dann ist das erschreckend“, resümiert Flämig.

Gegen die weitere Vernachlässigung der Musikerziehung in den Schulen regt sich inzwischen Widerstand. Auf Initiative des Landesmusikrats formiert sich ein Bündnis aus Musik-, Kunst- und Theaterpädagogen, das die musischen Fächer in der öffentlichen Wahrnehmung und in ihrer Position in den Schulen stärken will (PNN berichtete). Bildungsminister Holger Rupprecht meint, die Pisa-Ergebnisse hätten das Blickfeld auf Kernfächer wie Mathe, Deutsch und Sprachen verengt. Aus eigener Erfahrung als Lehrer und Schulleiter wisse er jedoch um die besondere Bedeutung der „kleinen Fächer“. Gerade die verbindende Kraft der Musik verbessere das soziale Klima und die Außenwirkung von Schulen.

Warum aber wird die Ensemblearbeit dann nicht finanziell abgesichert? Nur dort, wo die Schulleitung deren Wert erkennt, erhalten die Musiklehrer so genannte Abminderungsstunden, die ihnen den Freiraum für die Leitung von Ensembles geben. Viele Musiklehrer fühlen sich jedoch überfordert, weil sie an ihrer Schule sämtliche Klassen unterrichten müssen, weiß Andreas Flämig. „Für ein Ensemble“ sagt er „muss man brennen, es mitreißen können und vor allem die richtige Qualifikation mitbringen.“ Und die fehlt besonders an Grundschulen, in denen der Musikunterricht häufig „irgendwie mitgemacht wird“. Was aber hier nicht angelegt wird, ist in den weiterführenden Schulen nicht mehr aufzuholen, mahnt Dr. Axel Brunner vom Institut für Musik und Musikpädagogik an der Universität Potsdam, der zu allem Übel auch noch ein rückläufiges Interesse der Studierenden an Referendariaten in Grundschulen beobachten muss.

Obwohl sich Kinder und Jugendliche der aktuellen Shell-Studie zufolge für nichts so sehr interessieren wie für Musik, dümpelt der Musikunterricht weiter vor sich hin und rangiert auf der Beliebtheitsskala der Schüler im unteren Drittel. Offensichtlich finden Lehrer und Schüler nicht den verbindenden Ton. Andreas Flämig engagiert sich deshalb im Verband Deutscher Schulmusiker für qualifizierte Fortbildung, zum Beispiel in der Musikakademie Rheinsberg, und er betreut Studenten während ihrer Praktika.

Um die Bedeutung der Musik für die Entwicklung der Kinder öffentlichkeitswirksam hervorzuheben, lassen sich inzwischen zahlreiche Studien ins Feld führen: Singen und Musizieren beeinflussen demnach nicht nur das Sozialverhalten vorteilhaft, sondern unterstützen das Lernen ganz allgemein, fördern Konzentration und Ausdauer, schaffen innere Ausgeglichenheit. Zudem haben Neurobiologen eine bessere Vernetzung von linker und rechter Gehirnhälfte festgestellt.

Das alles ist wahr. Doch den Stellenwert der Musik allein danach zu bemessen, welchen Nutzen sie bringt, wie klug, kreativ, sozial und teamfähig sie die Kinder macht, würde ihr selbst nicht gerecht werden. Musik, erklärte Leonard Bernstein in seinen berühmt gewordenen Konzerten für junge Leute, bedeutet nichts, was man in Worte fassen könnte. „Aber es macht Freude sie zu hören.“ Längst hat das auch Laura erfahren. Sie singt im Chor, einfach, „weil es schön ist“.

Die Komposition verschiedener Klänge zu einem Musikstück hat keine andere Bedeutung als eben eine musikalische. Sich ihr zu öffnen, sie zu erkennen, zu erspüren und tief im Innern wirken zu lassen, das ist es, was der Musikunterricht leisten kann und muss. Sich dafür in der Öffentlichkeit mehr Gehör zu verschaffen, sollte einem auf Tönen und Klängen basierenden Fach nicht allzu schwer fallen. Die Chöre des Evangelischen Gymnasiums machen es vor. Am 23. November singen sie zur 6. Domnacht in Berlin und am 2. Advent im „Leisniger Krippenspiel“ um 16 Uhr in ihrer Kirche auf Hermannswerder.

Antje Horn-Conrad

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