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Kai Diekmann nimmt regelmäßig ein Bad im Jungfernsee - auch bei eisiger Kälte.

© Ottmar Winter

Eisbaden in Potsdam: Für den Kältebus in den kalten Jungfernsee

Wasser fünf Grad, Luft drei Grad: Ex-"Bild"-Chef Kai Diekmann geht wieder schwimmen - dieses Mal aber mit sieben Mitstreitern und für den guten Zweck. 

Von Carsten Holm

Potsdam - Dienstagmorgen (1.12.), zehn Minuten vor acht Uhr am Jungfernsee. Der Tag ist noch jung, bitterkalt und grau, als sich vor den Villen in der Schwanenallee acht Männer aus Potsdam und Berlin zum Schwimmen treffen. Sie wollen, angeführt vom früheren "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann, um Spenden für den Kältebus der Berliner Stadtmission werben, der seit Anfang November nach Wohnungslosen sucht und sie zu einem Übernachtungsplatz bringt. 

Erst einmal ein Lagebild.  „Wasser fünf Grad. Luft drei Grad”, verkündet der 56-Jährige. Dann die Gefahrenanalyse: „Grundregel: so viel Grad, wie das Wasser hat, solange kannst du drin bleiben.” Fünf Minuten also. „Danach”, warnt Diekmann, „tun die Füße schweinemäßig weh.” Diekmann ist topfit, ein passionierter Langstreckenläufer, zehn Kilometer sind die übliche Strecke. Nun taucht er, wenn er nicht läuft, jeden zweiten Tag in den Jungfernsee ein.

Kai Diekmann am Dienstagmorgen zusammen mit Mischa Heuer, der die Idee zu der Aktion hatte.
Kai Diekmann am Dienstagmorgen zusammen mit Mischa Heuer, der die Idee zu der Aktion hatte.

© Ottmar Winter PNN

Am Dienstag muss ihn und die anderen wohl eine Wettervorhersage berauscht haben, er hat sie getwittert: „Meteoalarm: Warnung vor extremer Kälte für Stadt Potsdam.” Eine echte Herausforderung also für harte Männer. Diekmann liebt Twitter, er lässt alle wissen, wo er gerade ist, wo er schwitzt oder sich abkühlt. „Digitaler Applaus ist mein Doping”, sagte er im PNN-Interview. Als er Mitte November im Jungfernsee abtaucht und die PNN darüber berichten, ist die Resonanz groß. Zeitungen greifen das Thema auf, das NDR-Magazin „Zapp” nimmt Diekmann unter der Überschrift „Ein Hoch auf das Ypsilon-Chromosom” auf die Schippe, auch der Branchendienst Turi erwähnt den PNN-Bericht. 

Von oben, aus Hamburg, blickt "Spiegel"-Reporter Alexander Osang auf das Geschehen in Potsdam herab und belächelt etwas gequält die Selbstdarstellung Diekmanns wie auch die Berichte  in Lokal- und Regionalzeitungen. Und hilft mit, dass aus dem Ereignis am und im Jungfernsee ein Medienereignis wird. Mischa Heuer, 43 Jahre alter Social-Media-Chef der internationalen PR-Beratung MSL, sah, dass man Diekmanns Popularität zu Geld machen könnte - für einen sozialen Zweck. Das Motto: Erst schwimmen, dann 100 Euro spenden. Bis Dienstag kamen schon 3000 Euro für den Kältebus zusammen.

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Mit Diekmann und Heuer will Dienstagmorgen in den See: Sascha Brok, 47, Mediengestalter und Schulfreund Diekmanns aus gemeinsamen Zeiten im westfälischen Bielefeld. Er hat Erfahrung: ein eisiges Bad etwa in einem nepalesischen Bergsee hoch oben im Himalaya, nahe des Mount Everests. 

Keine Scheu vor der Kälte hat auch der 41-jährige Potsdamer Softwareentwickler Christopher Hecht. Das Ganze, sagt er, sei für ihn „nicht so eine große Herausforderung, ich schwimme auch im Winter im Heiligen See”. Er sei überzeugt davon, dass das dadurch das Immunsystem gestärkt werde. Der Potsdamer Ingenieur Christoph Macht, 50, hatte in den PNN über die Aktion gelesen und kam mit seinem Sohn Johann, einem 19 Jahre alten Studenten der Wirtschschaftsinformatik. 

Die Bewunderung aller war allerdings für den früheren Notar Hans-Joachim Rose am größten: Der 82 Jahre alte Mann wohnt am See und radelte mit seinem Fahrrad im Bademantel heran. Er wirkt so gestählt, dass man ihm Glauben schenken kann, wenn er sagt: „Ich mache das seit 20 Jahren jeden Tag.”

Vor dem zügigen Gang ins eiskalte Nass will Diekmann eine Bitte loswerden: „Fotos bitte erst, wenn wir im Wasser sind”, sagt er den Fotografen, „weiße, alte Männer sind wir. Sie wissen schon.” Dabei haben er selbst und die Mitkämpfer allesamt eine schlanke, sportliche Figur. 

Erst wurde getwittert, nun wird gezittert. Diekmann gibt den Marschbefehl: „Ich gehe vor. Vorsicht beim Reingehen, da sind Steine. Immer auf der Linie zur Sacrower Kirche bleiben, da habt ihr Grund unter den Füßen. Und denkt an Corona: Abstand halten!” 

Er taucht bis zu den Schultern unter, dann auch mit dem Kopf, das Smartphone für den Livestream Periscope aus dem Wasser haltend. Alle sollen in den Zeugenstand kommen bei dem, was er da anstellt. Mehr als 9000 Zuschauer haben sich das Video bis zum Nachmittag angesehen. 

Diekmann taucht nochmal ein, stöhnt laut auf, ruft „Scheiße!” und dann, hochzufrieden: „Is' cool!“. Einer der Kälte-Schwimmer krächzt: „Es brennt schon ganz schön.” Ein anderer klagt: „Jetzt fängt's an weh zu tun.” Nach drei, vier Minuten sind alle wieder an Land.

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Und, Herr Diekmann, war das ein Männlichkeitsritual? „Ach was”, entgegnet er grinsend, „ein Disziplinritual.” Stand irgendwo versteckt ein Rettungswagen bereit? „Nein. Meine Frau ist Ärztin und da drüben im Haus.” Dann macht er eine Pause, grinst wieder und fügt hinzu: „Zahnärztin.” 

Als alle im Hause Diekmann warm geduscht haben, bricht auf Twitter wieder ein Gewitter los. „Fünf Minuten zu frieren ist ein Abenteuer. Einen ganzen Winter zu frieren ist ein Albtraum”, schreibt Mitschwimmer Mischa Heuer in Anspielung auf die Obdachlosen. 

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Diekmann schreibt über sich: „Ostwestfalenblut ist keine Buttermilch.” Aus dem US-Bundesstaat South Carolina meldet sich der „Coffee cup lover” zu Wort: „Finde toll, was ihr macht! Wäre gern dabei.” Der Kaffeeliebhaber kündigt eine Spende an. Die Stadtmission, sagt Mitinitator Heuer, brauche viel Geld. Allein 20.000 Euro habe sie für Coronatests ausgeben müssen. Die Spendenaktion läuft weiter, eine Wiederholung des Badeerlebnisses ist gut möglich. 

Spendenkonto: Verein für Berliner Stadtmission
IBAN: DE63 1002 0500 0003 1555 00
BIC: BFSWDE33BER
Bank für Sozialwirtschaft

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