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Infusionsspritzen für den einmaligen Gebrauch dürfen nicht wiederverwendet werden.

© dpa

Einmal-Spritzen doppelt genutzt: Schwerer Hygieneverstoß im Potsdamer Bergmann-Klinikum

Spritzen für Infusionspumpen sind nach einem Lieferengpass gegen die Regeln mehrfach verwendet worden. Das Klinikum spricht von einem "Beinahe-Unfall".

Potsdam - Auf der Intensivstation des kommunalen Potsdamer Bergmann-Klinikums sind spezielle Einweg-Spritzen zeitweise mehrfach verwendet worden. Diesen schweren Verstoß gegen Hygieneregeln hat der Gesundheitskonzern jetzt auf PNN-Anfrage bestätigt. Nach Angaben des Klinikums sind Patienten dadurch nicht in ihrer Gesundheit beeinträchtigt worden. 

Der Vorfall sorgt für auch Aufmerksamkeit, weil es am Bergmann-Klinikum vor gut einem Jahr einen schweren Corona-Ausbruch mit zahlreichen Toten gegeben hatte. Als ursächlich dafür gelten auch Hygienemängel. Weiterhin ermittelt die Potsdamer Staatsanwaltschaft in diesem Fall unter anderem wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen die damalige Klinik-Spitze. Nun ist mit der mehrfachen Nutzung der Einmal-Spritzen nach PNN-Recherchen ein zweiter gravierender Verstoß gegen Hygienevorgaben bekannt geworden.

Engpass rund um den 1. Mai

Der Vorgang hat sich laut Klinikumsprecherin Damaris Hunsmann am vorvergangenen Wochenende zwischen dem 30. April und dem 2. Mai 2021 ereignet.  Wegen eines "kurzfristigen unvorhersehbaren Lieferausfalls" bei der Zuliefererfirma seien auf der Intensivstation zu diesem Zeitpunkt die so genannten Perfusorspritzen nicht ausreichend vorhanden gewesen.

Diese Spritzen werden laut Klinikum nicht direkt am Patienten eingesetzt, sondern normalerweise mit Medikamenten befüllt in Infusionspumpen zur intravenösen Versorgung.  Die Spritzen und Pumpen variierten je nach Hersteller, es müssten immer die zum System passenden eingesetzt werden. Zweitanbieter gebe es dafür nicht, so das Klinikum.

Das Klinikum "Ernst von Bergmann", gesehen vom Bassinplatz aus.
Das Klinikum "Ernst von Bergmann", gesehen vom Bassinplatz aus.

© Andreas Klaer

Sprecherin Hunsmann sagte, im Zusammenhang mit dem Engpass sei es zu einer "eingeschränkten unsachgemäßen Zweifachverwendung von Einwegmaterial" gekommen. Das heißt, die Spritzen wurden nach dem Einsatz in einer Infusionspumpe nicht weggeworfen, sondern ein zweites Mal eingesetzt. Das Risiko dabei: Sollte die Spritze verunreinigt sein, könnte es zu einer Infektion durch Keime bei dem Patienten kommen. 

Im schlimmsten Fall kann so nach Angaben von Experten eine lebensbedrohliche Sepsis ausgelöst werden. Bei einer Sepsis schädigen die körpereigenen Abwehrreaktionen gegen eine Infektion die eigenen Gewebe und Organe. Eine Sepsis gilt als eine der schwersten Komplikationen von Infektionskrankheiten, die durch Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten ausgelöst werde kann.

"Ein Beinahe-Fehler"

Bereits am vergangenen Dienstag (4. Mai) hatte das Klinikum den Engpass bei den Perfusorspritzen auf PNN-Anfrage eingeräumt. Man sei dabei, den Vorgang aufzuarbeiten, um künftigen Lieferausfällen besser begegnen zu können, hieß es. Am späten Freitagnachmittag (7. Mai) teilte dann Klinikum-Geschäftsführer Hans-Ulrich Schmidt mit, nach einer gemeinsamen Bewertung der Bereiche für Klinisches Risikomanagement und der Krankenhaushygiene sei festgestellt worden, "dass es in diesem Fall zu einem klaren Verstoß gegen geltende Hygienevorschriften gekommen ist“.

Bei einer so genannten Kontaktkontamination hätte es zu einer möglichen Infektion bei Patienten kommen können, "die aber durch sachgerechte Handhabung ausgeschlossen werden konnte", so Schmidt. Mikrobiologisch habe man nachweisen können, dass es zu keiner Gesundheitsbeeinträchtigung der Patienten gekommen sei. "Dieser Vorgang ist als Beinahe-Fehler zu werten“, so Schmidt, der Sprecher der Geschäftsführung ist und das Klinikum gemeinsam mit Tim Steckel führt. Den Beinahe-Fehler habe man als Team gemeinsam ausgewertet.

Der Leitende Krankenhaushygieniker Klaus-Dieter Zastrow ergänzte: „Dass es immer wieder zu Hygienefehlern durch Personal kommt, müssen wir egal in welchem Krankenhaus beobachten. Das darf nicht passieren.“

Hans-Ulrich Schmidt, Sprecher der Geschäftsführung des Klinikums "Ernst von Bergmann".
Hans-Ulrich Schmidt, Sprecher der Geschäftsführung des Klinikums "Ernst von Bergmann".

© Andreas Klaer

Beschaffung? "Ein interdisziplinärer Prozess"

Bei dem Fall stellt sich auch die Frage, welche Abteilung im Klinikum dafür verantwortlich ist, dass rechtzeitig alle Stationen genügend Spritzen und andere Materialien zur Verfügung haben.  Dazu erklärte Sprecherin Hunsmann, es seien daran "viele Abteilungen und Bereiche beteiligt", es handele sich "um einen interdisziplinären Prozess". Beteiligt seien unter anderem der Einkauf, die Apotheke, die Pflege auf den Stationen, das Finanz- und Rechnungswesen, aber auch die Lagerwirtschaft und die Transportlogistik der Servicegesellschaft.

Ein bemerkenswerter Zeitpunkt

Unklar ist, inwiefern ein solcher Engpass schon häufiger vorgekommen ist. Denn nach PNN-Informationen soll es bereits zwischen dem 21. und 25. April keine Perfusorspritzen auf der Intensivstation gegeben haben. Schon zu diesem Zeitpunkt sollen die Spritzen angeblich mehrfach verwendet worden sein. Das Klinikum teilte allerdings auf Anfrage mit, über einen anderen Zeitraum mit solchen Versorgungsengpässen sei nichts bekannt - außer für das Wochenende des 30. April bis 2. Mai 2021 und die Zeit der ersten Corona-Welle im März 2020, als Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel gefehlt hätten.

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Unabhängig davon seien aber Notfallpläne entwickelt worden, "wie bei Engpässen gehandelt werden kann", so Sprecherin Hunsmann. Zudem wies das Klinikum darauf hin, dass es ein Reportsystem gebe, mit dessen Hilfe Mitarbeiter, denen eine unsachgemäße Handlung auffällt, dieses "freiwillig, anonym und sanktionsfrei" melden könnten. 

Es heißt "Critical Incident Reporting System", kurz Cirs. Der Spritzen-Engpass sei auch dort intern gemeldet worden. Das Cirs-System beinhalte jedoch auch eine Vernetzung von Krankenhäusern deutschlandweit, "überregional bedeutende Cirs-Fälle können von allen Nutzern gelesen werden", so das Bergmann-Klinikum.

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