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Perfekte Inszenierung? Adolf Hitler und Paul von Hindenburg.

© dpa

Eine Neubewertung des "Tags von Potsdam": "Messianische Führersehnsucht"

Der Potsdamer Historiker Martin Sabrow kratzt an einer Legende. Der "Tag von Potsdam", der 21. März 1933 mit dem Händedruck von Hindenburg und Hitler, gilt als Geburtsstunde des "Dritten Reiches" - und als perfekt inszenierter Volksbetrug der Nationalsozialisten. Doch er sei vielmehr Ausdruck der "messianischen Führersehnsucht" gewesen, welche die deutsche Gesellschaft damals geprägt habe, schreibt Sabrow in den Potsdamer Neuesten Nachrichten.

Der Potsdamer Zeithistoriker Martin Sabrow kommt in einem Gastbeitrag in den PNN zu einer Neubewertung des „Tages von Potsdam“. Die weit verbreitete Auffassung, dass hinter dem Händedruck zwischen Reichspräsident Paul von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler ein perfekt inszenierter Volksbetrug der Nationalsozialisten gesteckt habe, hält der Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung für überholt. Keine listig berechnete Verführung durch Hitlers Propagandagenie Joseph Goebbels habe diesen Tag geprägt, sondern vielmehr die Rolle der „messianischen Führersehnsucht“ der deutschen Gesellschaft, so schreibt Sabrow in dem Beitrag der am Donnerstag aus Anlass des 80. Jahrestages der Ereignisse in den PNN erscheinen wird. Die Begeisterung vieler Deutscher über das Ende der Weimarer Republik spricht für den Historiker eine deutlichere Sprache als der Mythos des verführten Volkes. Für Sabrow ist es diese Bereitschaft der Deutschen für den Nationalsozialismus, die den Potsdamer Staatsakt zu einem historischen Augenblick macht.

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Auch sei der „Tag von Potsdam“ keineswegs das Produkt einer raffinierten geschichtspolitischen Regie gewesen. Vielmehr sei es die Verbindung von Massenbegeisterung mit der vermeintlichen konservativen Zähmung Hitlers gewesen, die Hindenburgs Vorbehalte gegenüber dem Kanzler schwinden ließen. Der „Tag von Potsdam“ sei aus Sicht des NS-Regimes symbolpolitisch eigentlich eher missraten, zelebrierte sich hier doch noch einmal die deutschnationale auf Preußen rekrutierende Reaktion, die die Nazis mit ihrer nationalsozialistischen Revolution doch eigentlich hinwegzuwischen gedachten. Warum der Tag dann dennoch zu einem machtpolitischen Erfolg für die Nazis wurde, schreibt Sabrow morgen in den PNN.

Am 21. März 1933 fand in der Potsdamer Garnisonkirche eine zeremoniale Auftaktveranstaltung zur Eröffnung des am 5. März neu gewählten Reichstags statt, da zuvor der Berliner Reichstag abgebrannt war.  Die kommunistischen Abgeordneten des Reichstags und führende SPD-Politiker waren bereits verhaftet oder auf der Flucht. Die Sozialdemokraten boykottierten die Veranstaltung. Auf den Straßen der Stadt begleiteten Zehntausende Menschen die Feier zur Reichstagseröffnung.

Nur zwei Tage nach der Potsdamer Zeremonie wurde das Ermächtigungsgesetz erlassen, das die Demokratie faktisch abschaffte. Zeithistoriker wissen heute, dass der „Tag von Potsdam“ erst im Nachhinein von der NS-Propaganda genutzt wurde. Am 21. März selbst hatte noch Hindenburg im Vordergrund gestanden, die alten Eliten waren siegessicher, ohne zu ahnen, dass sie langfristig geschwächt aus den Geschehnissen hervorgehen würden. Dem habe aber eine fundamentale Fehleinschätzung der Machtverhältnisse zugrunde gelegen.

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