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1977 hatte Häberer angefangen. Jetzt wird er verabschiedet.

© Andreas Klaer

Eine Institution verabschiedet sich: Nach 43 Dienstjahren: Mercure-Küchenchef geht

Küchenchef Michael Häberer geht nach 43 Jahren im Potsdamer Hotel Mercure in den Ruhestand. Er ist mit "seinem Haus" durch Höhen und Tiefen gegangen. 

Von Carsten Holm

Ach, er hat so viel zu erzählen: von dem Tag zum Beispiel, an dem noch zu DDR-Zeiten ein Lastwagen vor dem damaligen Interhotel am Lustgarten hält. Kräftige Männer packen zu und tragen zehn Rehe „in Decke”, also tot, aber im Ganzen, mit Geweih und Fell, ins Hotel. „Wir hatten damals eine eigene Fleischerei” sagt Michael Häberer, „wir mussten ran, das Wild aus der Decke schlagen und das Fleisch auslösen. So etwas kann in der Küche heute keiner mehr”. 

Oder ein anderer Tag, als ein Transporter mit drei Zentner Forellen vorfährt, die in Bassins wie um die Wette zappeln. „Die DDR-Wirtschaft war ja eine Mangelwirtschaft”, resümiert der heute 63 Jahre alte Koch, „Wild gab’s kaum, Forellen auch nicht. Aber die Interhotels wurden immer gut versorgt.”

Aus den Anfangstagen.
Aus den Anfangstagen.

© privat

Seit 1977 war Häberer in dem Hotel

43 Jahre hat Häberer in dem Hotel gekocht, das der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht 1967 als „sozialistische Stadtkrone” in Auftrag gegeben hatte. Ein Prestigebau sollte da an der Havel entstehen, der den Vergleich mit dem kapitalistischen Ausland nicht scheuen musste. 1969 wurde der 17-geschossige Riese eröffnet, 1977 kam Häberer dazu. 

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Er bruzzelte weiter, als die französische Accor-Gruppe es nach der Wende übernahm und seiner Marke „Mercure” zuordnete, die neuen Chefs machten ihn 1993 zum Küchenchef, was er bis zum Dienstag dieser Woche blieb. Der Mann, der Hunderte Köche ausgebildet hat, ein Vierteljahrhundert dem Verein der Köche vorstand, zu ihrem Grandseigneur aufstieg und in der Landeshauptstadt zu einer Institution wurde, ist an diesem Tag in den Ruhestand gegangen. Am heutigen Freitag wird er im Hotel Mercure offiziell verabschiedet.

"Ich bin kein Pinzetten-Koch"

„Was ich all die Zeit getan habe, war mein Traumberuf”, erzählte Häberer den PNN. Ihr Handwerk beherrschten auch die Köche in der DDR. Doch es war ein weiter Weg von den Tellern mit den berühmt-berüchtigten Sättigungsbeilagen, mit denen das Sattwerden hoch über den Genuss gestellt wurde, bis zur feinen Küche – im Osten übrigens wie lange Zeit auch im Westen Deutschlands.

„Ich bin kein Pinzetten-Koch, der Zutaten filigran auf den Tellern drapiert”, sagt Häberer, „ich bin eigentlich ein recht bodenständiger Koch”. Nach seinem Lieblingsessen gefragt, zögert er keine Sekunde: „Rinderroulade mit Speck, Zwiebeln und Senf geschmort. Übrigens auch die Nummer eins unserer Hotelgäste.” Ob er sich an seinen größten Fehler erinnern kann? „Klar”, sagt der Chefkoch: „ich habe Apfelgrütze statt mit Zucker mit Salz zubereitet. Die ganze Küche hat sich schlappgelacht.”

Ob Manfred Stolpe oder Matthias Platzeck (beide SPD) – die brandenburgischen Ministerpräsidenten waren zu Gast im Mercure, Häberer erinnert sich auch an Besuche von Schauspielern wie Bernhard Wicki und Zsa Zsa Gabor. „Die hat Ende der achtziger Jahre einen Film in Babelsberg gedreht und sogar hier gewohnt”, sagt er.

"Es war 43 Jahre mein Haus"

Die persönliche Geschichte des Chefkochs Häberer ist eng mit der Geschichte Potsdams und insbesondere mit der des Hotels verbunden. „Ich war ja nie der Eigentümer”, sagt er, „aber es war doch 43 Jahre mein Haus.”

Schwer zu schaffen machte ihm die Debatte über den Abriss der Herberge. Denn das Mercure ist, ob man es ästhetisch findet oder abgrundtief hässlich, nicht nur für ihn ein Wahrzeichen der Stadt. 

17 Stockwerke ragen an der Langen Brücke in den Himmel, der Plattenbau bildet einen schrillen architektonischen Kontrast zum gegenüber liegenden Stadtschloss und zur nahen Nikolaikirche, weit reicht der Blick vor allem aus den oberen Etagen hinüber zur Altstadt und hinab zur Anlegestelle der Weissen Flotte.

Plattner wollte einst auf dem Grundstück neu bauen

2012 eskalierte die Auseinandersetzung. Das Mercure sollte abgerissen und an seiner Stelle ein Museum des SAP-Mitgründers und Potsdam-Mäzens Hasso Plattner entstehen. Die Gegner des Hotels und Befürworter von Plattners Museumsidee an selber Stelle hackten auf das Hotel ein, als könnte allein scharfe Kritik den Plattenbau zum Bröckeln bringen. Von „sozialistischer Notdurft-Architektur” war die Rede, der Architekt Christian Wendland sprach von einer „Kiste”, aus der Grünen-Fraktion der Stadtverordnetenversammlung ertönte die Forderung, „17 Geschosse abtragen” – 17 von 17. 

Den von den streitenden Parteien mit großer Leidenschaft ausgetragenen Streit um das Mercure befriedete Hasso Plattner schließlich mit einem offenen Brief – in dem er ankündigte, seinen Plan für ein Kunstmuseum auf dem Gelände des Lustgartens zurückzuziehen. Es sei „nie meine Absicht” gewesen, „in die langfristige Stadtplanung von Potsdam einzugreifen”. Er habe „volles Verständnis für die vielen kritischen Stimmen der Potsdamer – es ist ihre Stadt”.

Es dauerte eine Zeitlang, bis Ruhe einkehrte. „Dieses Trauerspiel samt der verheerenden Außenwirkung wird die Stadt noch lange verfolgen”, meinte der Potsdamer TV-Journalist Günther Jauch. „Diese Stadt kennt statt Demut und Dankbarkeit nur Neid und Missgunst”, klagte der Modeschöpfer Wolfgang Joop. Der IT-Pionier und Kunstmäzen Plattner fand dann bekanntlich eine höchstattraktive Alternative zum Areal, auf dem das Mercure steht. Er ließ das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Palais Barberini rekonstruieren und eröffnete 2017 das Museum Barberini am Alten Markt.

Ein Foto aus dem Jahr 2016.
Ein Foto aus dem Jahr 2016.

© Johanna Bergmann

Häberer kann sich jetzt dem Pilzesammeln widmen

Langeweile wird der Pensionär Häberer indes kaum haben. Jetzt beginnt bald die Pilzsaison, und als leidenschaftlicher Pilzsammler wird Michael Häberer oft auf die Suche nach Stein- und Butterpilzen gehen. 

Was ihm im Rückblick viel Genugtuung gibt, ist die Entwicklung der Potsdamer Gastronomie. „Die hat sich enorm entwickelt und einen ganz großen Sprung gemacht”, sagt er. Mit Sorge betrachte er, dass etliche Restaurants „durch Corona am Boden liegen und niemand weiß, ob sie überhaupt überleben können”.

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