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Selbstbewusst. Im Dokumentar-Stück „Staats-Sicherheiten“ berichtet Heidelore Rutz als eine von 15 ehemaligen Stasi-Häftlingen von ihrem Schicksal. Nach drei Spielzeiten ist das Stück nun zum letzten Mal zu sehen.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Eine Genugtuung

Heidelore Rutz spielt im Doku-Theaterstück „Staats-Sicherheiten“. Am 30. März ist es zum letzten Mal zu sehen

Ein gutes Glas Wein, der Anruf von den Kindern: Das gehört für Heidelore Rutz mit ihren Mann zum Ritual. Den 30. Mai begeht das Ehepaar wie einen Feiertag. Es ist der Tag, an dem sie im Jahr 1984 in einen Bus einsteigen durften, der aus Chemnitz, das damals noch Karl-Marx-Stadt hieß, über die Grenze nach Gießen fuhr. DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel hatte vorher die Verhaltensregeln durchgegeben: Nicht singen, nicht schreien. Dass den Passagieren genau danach zumute war, muss ihm klar gewesen sein. „Wir saßen weinend im Bus“, erzählt Heidelore Rutz: „Das Gefühl war unfassbar.“

Durchgehalten. Und gewonnen. Von Genugtuung spricht die Wahl-Potsdamerin jetzt, fast 28 Jahre später. Nicht nur, weil die Busreise damals das Ende von monatelangen Schikanen im Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit in der Lindenstraße und im Frauenknast Hoheneck war. Sondern auch, weil sie heute so vielen Menschen davon erzählen kann: Mehrere Tausend Zuschauer haben das preisgekrönte Dokumentar-Stück „Staats-Sicherheiten“ mittlerweile gesehen, auch im Fernsehen wurde es übertragen. Heidelore Rutz ist eine von 15 ehemaligen Stasi-Häftlingen, die darin auftreten. Am 30. März ist das Stück nach drei Spielzeiten zum letzten Mal zu sehen. Am Hans Otto Theater, dort, wo „Staats-Sicherheiten“ am 18. Oktober 2008 Premiere feierte.

Keine Minute zögerte Heidelore Rutz, als die Initiatorinnen Lea Rosh und Renate Kreibich-Fischer ihr damals die Idee vorstellten. „Ich habe sofort gesagt: Das wäre für mich wunderbar“, erinnert sich die Potsdamerin: „Was geschehen ist, muss publik gemacht werden – am besten auf der Bühne.“ Sie weiß auch, dass heute längst nicht alle Stasi-Opfer die Kraft dazu haben. Weil selbst Verwandte ihre Geschichten nicht hören wollen. Und weil es die Stasi oft genug geschafft hat, Lebensentwürfe, Beziehungen, Gesundheit nachhaltig zu zerstören.

„Für diese Schweine keine Träne.“ Wie ein Mantra hatte sich die Krankenschwester diesen Satz immer wieder gesagt, als sie in der Lindenstraße 54 einsaß und später in Hoheneck im Akkord Knopflöcher in Kopfkissenbezüge nähen musste. Ihr Verbrechen? Die damals 38-Jährige hatte einen Ausreiseantrag gestellt. Und war mit Gleichgesinnten in Jena auf die Straße gegangen. Schweigend und ohne Plakate standen die Anhänger des „Weißen Kreises“ dort im Sommer 1983 samstags in der Innenstadt. „Wir dachten, das ist eine sichere Sache, um auf uns aufmerksam zu machen.“ Gefährliche Aktionen oder Republikflucht wäre für sie nie infrage gekommen: „Wegen der Kinder.“ Neun und 13 Jahre alt sind die Söhne, als Heidelore Rutz in Jena von der Straße weg verhaftet wird.

Es ist der Beginn einer nervenaufreibenden Odyssee, wie sie so oder ähnlich jeder Stasi-Häftling erlebt hat, auch die anderen Darsteller in „Staats-Sicherheiten“. „Unsere Schicksale stehen für Zehntausende, von denen nicht einmal die Namen bekannt sind“, sagt Heidelore Rutz. Entstanden ist das Stück gemeinsam mit Regisseur Clemens Bechtel. „Er hat uns reden lassen“, erzählt die Potsdamerin: „Das war eine schwere Zeit, weil alle ihre Geschichte nochmal durchlebten.“ Bechtel habe es mit Feingefühl geschafft, die Erzählungen auf entscheidende Szenen zu verdichten. Bei Heidelore Rutz ist es etwa die nächtliche Fahrt mit dem Barkas-Transporter nach der Verhaftung. „Wir wussten nicht, wohin es geht, wann wir unsere Kinder wieder sehen würden“, sagt sie. Auf der Theaterbühne sei sie jedes Mal wieder stark berührt.

35 Aufführungen in 13 Städten gab es seit 2008, „Staats-Sicherheiten“ war in Magdeburg zu sehen, in Bautzen, Berlin, Heidelberg, Düsseldorf und in Chemnitz, wo die Fahrt in die Freiheit für Heidelore Rutz damals begann. Überall habe sie großes Interesse und viel Mitgefühl erlebt: „Das war eine Riesenbereicherung für mein Leben“, resümiert die Potsdamerin. Auf der Bühne bilanziert sie ihre Häftlingszeit selbstbewusst: „Was bleibt? Der Stolz darauf, dass ich mir meine Würde und meine Fröhlichkeit erhalten habe.“

„Staats-Sicherheiten“, 30. März 19.30 Uhr im Hans Otto Theater. Karten unter Tel.: (0331) 98 11 8.

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