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Hilfe vor Ort. Richard Schäfer (hinten) in Urfa vor einer Teppichschermaschine, deren Transport aus Deutschland zu den Armeniern er organisierte.

© Archiv Lepsiushaus Potsdam

Landeshauptstadt: Ein treuer Begleiter

Gedenkandacht für einen Mann der zweiten Reihe: Richard Schäfer baute mit Johannes Lepsius das Armenische Hilfswerk auf

Bornstedt - Der schlichte graue Grabstein auf dem Bornstedter Friedhof verrät nichts über die besondere Geschichte des hier beerdigten Richard Schäfer. Als rechte Hand des Theologen und Orientalisten Johannes Lepsius machte er mit ihm gemeinsam die Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs bekannt – gegen den Widerstand der Deutschen Reichsregierung.

Für den ehemaligen Pfarrer Hans-Ulrich Schulz, der bis 2010 Generalsuperintendent des Sprengels Neuruppin der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz war, ein guter Grund, pünktlich zum Gedenken an den Völkermord vor 100 Jahren den Unbekannten aus der Versenkung zu holen. Seit den 1980er-Jahren bereits beschäftigt er sich bereits mit dem ungleichen Duo. „Ich habe mich immer gewundert, dass sogar Lepsius in Potsdamer Kreisen wenig bekannt war“, sagte er den PNN. Das ändert sich seit einigen Jahren. Nach Lepsius ist eine Straße benannt und vor dem Lepsiushaus in der Nauener Vorstadt, seit 2011 in Betrieb, wurde wie berichtet am Dienstag die Stele „Zivilcourage“ des Bildhauers Roland Stelter enthüllt. Am Samstag hält Schulz in der Bornstedter Kirche die Gedenkandacht für Schäfer mit anschließender Kranzniederlegung an dessen Grab.

29 Jahre gingen Lepsius und Schäfer scheinbar durch dick und dünn. Zunächst einte sie der Wunsch, für den „Christlichen Verein Junger Männer“ in islamischen Ländern zu missionieren. „Beide waren damals treue deutsche Patrioten, die sich nicht vorstellen konnten, irgendwann einmal gegen das Vaterland zu konspirieren“, sagt Schulz: „Dass sie es trotzdem taten, ist eine große Leistung.“ Denn eigentlich sei Richard Schäfer, der junge Kaufmann aus Kassel, 1873 „nicht als Held geboren worden“.

Dennoch war er mit von der Partie, als Lepsius 1896/97 – nach Pogromen und der Ermordung von 100 000 christlichen Armeniern unter Sultan Abdülhamid II. – aus der Deutschen Orient-Mission heraus das Armenische Hilfswerk gründete. Während Lepsius in seiner Schrift „Armenien und Europa“ die Ereignisse veröffentlichte, lief über Schäfers Schreibtisch die Logistik „einer bis dahin beispiellosen humanitären Hilfsaktion“, erzählt Schulz. „Er war nicht der Sekretär, sondern der Manager.“ Brauchte doch der „geniale Chaot“ Lepsius das Organisationsgenie Schäfer und dessen „rechnerisch-bedenkliche Art“.

Pfarrer Lepsius hatte in seiner Friedersdorfer Gemeinde eine Teppichmanufaktur gegründet – und wollte diese kurzerhand in das armenische Notstandsgebiet auslagern. Schäfer setzte dies praktisch um und begleitete Lepsius auf der abenteuerlichen Reise nach Urfa in der heutigen türkischen Provinz Sanliurfa. „Die Fabrik war schon in Friedersdorf keine Kleinigkeit. Sie hat richtig gut produziert“, erzählt Schulz.

Dann aber kam etwas dazwischen, was das nationalistisch-christliche Weltbild der beiden Männer untergrub. Es hätten sich Ereignisse abgespielt, „von denen Lepsius und die ihm zugefallene Missionsaufgabe nicht unberührt bleiben konnten“, erzählte der bescheidene Schäfer, als er zum 40-jährigen Bestehen der Deutschen Orient-Mission 1935 einen Festvortrag in der Potsdamer Nikolaikirche hielt. Lepsius und Schäfer stolperten gemeinsam in eines der düstersten Kapitel des 20. Jahrhunderts: die Ermordung von – je nach Schätzung – 300 000 bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs. Lepsius verfasste darüber die wissenschaftliche Dokumentation „Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei“. Ohne Schäfer wäre dies nicht möglich gewesen, ist Schulz überzeugt und zitiert diesen; „Da rief mich Lepsius zu Hilfe, und mit geringen Ruhepausen haben wir dann mehrere Monate lang an dem Werk gearbeitet, das heute unter dem Titel: ‚Der Todesgang des armenischen Volkes’ bekannt ist.“

Die Reichsregierung aber wollte nicht, dass der Genozid im verbündeten Osmanischen Reich bekannt wurde. Die Militärzensur verbot den Druck des Buches. Richard Schäfer sei der Einzige gewesen, der zu Lepsius hielt. Als dieser im Eigenverlag 20 000 Exemplare veröffentlichte und an Kirchenleute verteilte, war es Schäfer, der die Verantwortung für Verlag und Versand übernahm. Lepsius ging bis zum Ende des Ersten Weltkrieges ins holländische Exil – und blieb mit Schäfer in Kontakt. Als er 1926 in Meran verstarb, führte sein Sekretär das Hilfswerk weiter.

Am heutigen Samstag um 16 Uhr hält Hans-Ulrich Schulz in der Bornstedter Kirche eine Gedenkandacht für Richard Schäfer. Am Dienstag um 19 Uhr hält Norbert Mecklenburg im Fontane-Archiv den Vortrag: „Ein unglückliches Volk“: Rudolf Lindau und sein späterer Roman über das türkische Armenier-Massaker“

Isabel Fannrich-Lautenschläger

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