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Landeshauptstadt: Ein Leben für den Tanz

Für Ingeborg Schmitz enthält der Blick auf ein einziges Foto viele Erinnerungen. Die unter dem Namen Inka Unverzagt bekannt gewordene Balletttänzerin feierte ihren 90. Geburtstag

Mit den Fingern fährt sie ganz zart über das Glas. Beinahe so, als könne sie die Konturen der Gesichter fühlen und die Jahre, die sich in sie eingebrannt haben. Für Ingeborg Schmitz ist der Bilderrahmen, der über ihrem Bett hängt, eine Stütze für Erinnerungen. Von Kinderfotos über Bilder einer jungen Balletttänzerin bis hin zu Fotos, die erst wenige Jahre alt sind, zeigt sich hier das ganze Leben einer Frau. Ingeborg Schmitz, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Inka Unverzagt, feierte am vergangenen Freitag ihren 90. Geburtstag. „Das sind viele Jahre voller Erinnerungen“, sagt sie, während ihr Blick immer wieder die Fotos auf ihrem Schoß sucht.

„Mein Leben als Ballerina begann mit sechs Jahren“, erzählt sie. Damals schickte sie ihr Vater zum Ballettunterricht. Gefragt, ob sie denn überhaupt tanzen wolle, wurde sie damals nicht. Doch ihr Vater bewies ein Gespür für das Talent seiner Tochter, deren Leben sich bald nur noch um das Tanzen drehen sollte. „Mein Vater arbeitete damals als Komiker und baute mich in seine Bühnenshow ein. Ich war seine Attraktion!“ Und ihre Mutter nähte dafür die Kostüme. Das erste für ihre Rolle als Harlekin hängt noch heute in ihrem Schrank. Das sind die Erinnerungen an den Beginn ihrer Tanzkarriere, die das Gesicht von Ingeborg Schmitz weicher werden lassen. Mit zarten Handbewegungen zeichnet sie die kleinen Spitzenschuhe in die Luft, die sie damals trug und lässt sie aus ihrer Erinnerung wieder auferstehen.

Doch die Kindheit der damals erst Neunjährigen ging zwischen Tanz-, Klavier- und Akkordeonstunden und den Auftritten am Abend verloren. „Mein Vater stand am Rand der Bühne, mir schmerzten die blutigen Füße und er gab mir mit Gesten zu verstehen, dass ich lächeln soll!“ Manchmal habe sie ihn für die Disziplin gehasst, mit der er ihre tänzerische Ausbildung verfolgte. Doch das Durchhaltevermögen zahlte sich aus, denn nach neunjährigem Studium am Opernhaus in ihrer Geburtstadt Chemnitz, trat Ingeborg Schmitz mit erst 15 Jahren ihr erstes Engagement am städtischen Theater in Augsburg an. Es folgte eine Anstellung als Solotänzerin in Zwickau, bis sie im Zweiten Weltkrieg zum Fronttheater kam. „Truppenbetreuung nannte man das damals. Wir waren eine Aufmunterung für die Soldaten.“ Eine aufregende Zeit, auf die sie auch mit einigem Schrecken zurückblickt. „Wir sind einmal unter Beschuss geraten und mussten uns unter den Tischen verstecken, während die Kugeln durch die Scheiben flogen“, erzählt sie.

Vom Rand des Kriegsgeschehens aus ging es für die noch junge Tänzerin wieder zurück auf die Bühne. Dort oben habe ihr Herz immer ein bisschen höher geschlagen. Auf den Brettern, die für sie ein ganzes Leben bedeuten, habe sie immer versucht beides zu sein, Schauspielerin und Tänzerin. Besonders der Ausdruck ihrer Hände, habe das Publikum immer begeistert. Auch heute sieht man die Geschmeidigkeit, mit der sie gestikuliert, die fließenden Bewegungen ihrer Hände, die ihren Erinnerungen eine formlose Gestalt geben. Diese „stumme Sprache“ zum Publikum habe sie immer sehr geliebt. Diese Leidenschaft nicht nur für den Tanz, sondern auch für das Schauspiel halfen ihr auch bei der für sie bedeutensten Rolle: der Julia in „Romeo und Julia“ am Volkstheater Rostock. Hierhin hatte es sie nach der Zwischenstation am Stadttheater in Freiberg verschlagen, wo sie als Solotänzerin und mit gerade einmal 21 Jahren als jüngste Ballettmeisterin engagiert worden war. Mit der Rolle als Julia erlebte die damals 28-Jährige ihren Karrierehöhepunkt als Tänzerin. „Ich lag da, auf der Bühne, war scheinbar tot und konnte die Musik einfach mit geschlossenen Augen genießen. Und dann kam der Moment des Erwachens, das war ein unbeschreibliches Gefühl.“

Mit ihrem Umzug nach Potsdam 1954 entstand für die Balletttänzerin Inka Unverzagt, dies ist der Name, den sie seit ihrer Zeit beim Fronttheater trägt, eine Nähe zur DEFA. An 60 Filmproduktionen arbeitete sie als Choreografin und Tänzerin. „Das war mit dem Tanz auf der Bühne überhaupt nicht zu vergleichen. Wie wir bei den Indianerfilmen im Sand rumgetanzt sind und ich versucht habe, den Studenten, die da mitgespielt haben, die Choreografie beizubringen.“ Bei dieser Erinnerung muss sie heute immer noch lachen.

Die Leidenschaft für das Unterrichten entstand während ihres Engagements am Potsdamer Hans Otto Theater. Die kleinen Ballerinen seien der Ersatz für die Kinder gewesen, die sie nie gehabt hat. Bis 2011 blieb sie dieser zweiten Leidenschaft treu, bis zu ihrem Sturz, der ihrer Tanzleidenschaft ein Ende setzen sollte. Mit einem gebrochenen Lendenwirbel endete die hart erarbeitete Karriere. „Tanzen war die Erfüllung meines Lebens, so richtig aufhören kann ich deshalb auch nicht“, sagt sie, während sie ihr Bein auf dem Bett liegend in die Höhe streckt. Beinahe ein Fingerzeig, der sagt: Ich kann das immer noch!

Mit einer Aufnahme ihres letzten öffentlichen Auftritts bei der Potsdamer Schlössernacht endet auch die Bilderreihe über dem Bett. Und obwohl das kleine Zimmer im Hasenheyer-Stift, in dem die 90-Jährige seit ihrer Rückenverletzung wohnt, mit vielen Fotoalben gefüllt ist, schaut sie sich diese nur selten an. „Bei der Erinnerung daran, was einmal möglich war, werde ich wehmütig“, meint Inka Unverzagt. Nur die wenigen Bilder an der Wand schaut sie sich gerne an und hält mit ihnen die 90 Jahre Erinnerung an ein Leben voller Tanz fest.

Chantal Willers

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