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Kabarettistin im Un-Ruhestand. Barbara Kuster am Flügel in ihrem Wohnzimmer. Nach dem Abschied von der Bühne hat sie endlich mehr Zeit für alte Hobbys und neue Projekte, auch für Musik.

© Ottmar Winter

Ehrenpreis vom WDR: Kabarettistin Barbara Kuster geht in den Ruhestand

Sie mag Rock’n’Roll, Politik und Puppenspiel. Und wollte dabei immer laut sein, keine dekorative Quotenfrau. Jetzt hört Barbara Kuster auf – preisgekrönt.

Potsdam - Große Säle im Scheinwerferlicht, kleine Bühnen mit Augenkontakt zu den ersten Reihen – Barbara Kuster mochte beides. Das Schönste sei, sagt sie, wenn man spürt, dass das Programm von alleine läuft. Wenn sie vergisst, dass sie eigentlich gerade arbeitet und richtig Spaß dran hat. Und das Publikum auch. „Wenn sich im Saal ein Lacher entwickelt und das wie eine Welle auf mich zurollt, das ist ein ganz großartiges Gefühl.“

Und doch hat sie sich jetzt von der Bühne verabschiedet und im Gehen noch einen wichtigen Preis mitgenommen: Den erstmals vom WDR vergebenen First Ladies Ehrenpreis: eine Skulptur, die die Silhouette einer vollschlanken, nackten Windsbraut zeigt.

"First Ladies"-Ehrenpreis 2019.
"First Ladies"-Ehrenpreis 2019.

© Ottmar Winter

Sie kann nicht unpolitisch

„Meistens gewinnen Männer Kabarett-Preise“, sagt sie. Es sei deshalb gut und richtig, dass gezielt Frauen ausgezeichnet werden. Und dass es auch Comedy- und Kabarett-Sendungen nur von Frauen gibt, wie die lange von Gerburg Jahnke, die ihr mittlerweile eine gute Freundin ist, moderierte Ladies Night. Auch wenn die geladenen Frauen hier nur die üblichen acht Minuten bekommen. Kuster wären eineinhalb Stunden lieber. Sie spannt in ihren Programmen gerne einen weiten Bogen und verknüpft dann elegant alles, was ihr wichtig ist. Musik, Tanz, Gesellschaftssatire und „die Mannhaltung“ bei ihr zu Hause, der Ehegatte im Ruhestand, der mal SPD-Unterbezirksvorsitzender war. Was sie immer als Brücke zur Politik nutzt. Kuster kann nicht unpolitisch, und das hat auch mit ihrer Kindheit zu tun.

Der Vater ist Kamin- und Ofenbauer mit mehreren Angestellten und hat ein Haus direkt neben der Garnisonkirche. Als die Kirche gesprengt wird, wird ihnen auch ihr Haus genommen und gesprengt. Als Ersatz gibt es ein Haus in Babelsberg, aber das ist nicht frei. Es dauert, bis die Familie rein darf. Kuster spricht leidenschaftlich über die damals noch schöne Breite Straße, bevor dort alles abgerissen wurde. Sie hat sich viel mit Städteplanung beschäftigt und war Mitbegründerin der Initiative Mitteschön. Darüber will sie eigentlich gar nicht reden, aber es beschäftigt sie doch.

In der DDR durch die Zensur geschlüpft

Die Kindheit also. Kuster erinnert sich, wie der Vater sie, da ist sie noch klein, auf den Tisch im Leuteraum stellt, am Freitag, am Lohntag, und sie darf was singen. Schlager. Da merkte sie, dass sie gut unterhalten kann. Sie will Tänzerin werden, geht zum Ballett am Hans Otto Theater und steht mit sieben zum ersten Mal auf der großen Bühne. „Ab da wollte ich wollte ich genau das.“ Aber für eine Tänzerin wird sie zu groß. Die Schauspielschule, an der sie sich mit 14 Jahren bewirbt, nimmt sie nicht, sie sei zu jung. Also macht sie Abitur, studiert Germanistik und Musik, arbeitet drei Jahre als Lehrerin und singt nebenbei in Rockbands. Aretha Franklin und Tina Turner kann sie gut – bis heute. Nach drei Jahren an der Schule kündigt sie und arbeitet freiberuflich als Sängerin und bald auch Kabarettistin, auch am Kabarett Obelisk. Das Wort, der eigene Text, wird immer wichtiger in ihrer Arbeit. In der DDR muss sie durch die Zensur schlüpfen, im Nachhinein sagt sie, es sei eine schöne Herausforderung gewesen. Während und nach der Wende gibt es viel zu kommentieren. Kuster schreibt aber auch Kinderlieder und macht Märchenpuppentheater für Kinder – mit frechen, politischen Einsprengseln für die Erwachsenen.

Sie mag die Selbstständigkeit und die Unabhängigkeit von einem Ensemble. Alles entscheidet und macht sie selbst. „Im Ensemble bist du als Frau nur die Petersilie“, sagt sie. Wollte sie nicht. „Ich kann machen, was ich will – es muss nur beim Publikum ankommen.“ Ihre Strategie: Vor der Show pimpt sie mit Sprüchen ihr Ego auf. Man muss sich, wenn man raus geht auf die Bühne, wie ein Platzhirsch fühlen, sagt sie. Nach der Show übt sie schonungslos Selbstkritik und wertet alles aus. Warum haben die an der einen Stelle nicht gelacht? Lag es dran, dass es West-Publikum war? Das die Anspielungen auf das paramilitärische Töpfchentraining in der Kinderkrippe nicht verstanden hat? Muss sie das anders erklären oder ganz rausnehmen?

"Rechtzeitig Türen schließen und neue öffnen"

In den letzten Jahren ist sie kaum noch in ihrer Heimatstadt aufgetreten. Sie habe das Gefühl, dass sie hier mehr und mehr als die politisch Engagierte wahrgenommen werde. Dass sie viel öfter in Duisburg, Köln und Düsseldorf auftrat, liegt auch daran, dass in der DDR nach 1989 viele kleinen Bühnen schließen mussten. Damals besuchte sie ein Kabarettistinnen-Treffen in Hamburg, lernte die West-Kolleginnen kennen, tourte bald durch ganz Deutschland und trat im Fernsehen auf.

70 Jahre alt ist sie in diesem Jahr geworden. „Man muss rechtzeitig Türen schließen und neue öffnen“, sagt sie in ihrem gemütlichen, weitläufigen Babelsberger Wohnzimmer. Wo das Malzeug auf dem Regal liegt, ein lange vernachlässigtes Hobby, in das sie sich jetzt vertiefen will. Der Flügel zum Musizieren. Die ganzen Texte im Schrank, aus denen noch was werden soll. Theaterstücke, eins ist schon fertig. Regie zu führen, das würde sie reizen. Es klingt nicht unbedingt nach Ruhestand. Zumal sie 2020 sogar noch einmal zurück auf die Bühne will, mit Gerburg Jahnke. „Frau Jahnke lädt ein“, heißt es dann. Wer sie in Potsdam sehen will, muss Heiligabend in die Nagelkreuzkapelle kommen. Dort wird Kuster Teile ihres Weihnachtsprogramms vortragen und das Christkind analysieren.

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