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Landeshauptstadt: Doppelter Kunstraub

Alle reden über Gurlitt – das Potsdam Museum sichtet Bestände eines anderen Nazi-Kunsträubers: Walter Neulings trug seinen Nachlass auf teils nicht geklärte Weise zusammen

Es war nur eine kleine Aktennotiz – die aber machte Mathias Deinert stutzig. Es ging darin um eine Strafsache aus dem Jahr 1961, die an sich noch wenig spektakulär wäre – ein Otto Neulings war dabei erwischt worden, wie er mehrfach Koffer über die Grenze nach Westberlin schaffte, vollgepackt mit Kunstgegenständen. Deinert, der Provinienzforscher des Potsdam Museums , wollte der Sache genauer nachgehen und beantragte Bundesgelder für ein eigenes Förderprojekt. Nicht ohne Grund, denn über Otto Neulings führte ihn die Spur zu dessen Bruder Walter Neulings, einen NS–Karrieristen und Kunsthändler, der große Teile seiner Sammlung auf nicht vollständig geklärte Weise zusammentrug. Auch wenn Deinert mit seiner Forschung noch ganz am Anfang steht, ist klar: Er ist auf der Spur eines doppelten Kunstraubs, einen, dessen Spuren sich zwischen den politischen Wechseln des vergangenen Jahrhunderts nur noch schwer nachvollziehen lassen.

Bekannt ist: Ein Teil von Neulings Nachlass kam, nachdem Otto Neulings aufgeflogen war, 1961 ans Potsdam Museum. Die vollständige Liste der Objekte – vor allem sind es kostbare alte Bücher, aber auch Gemälde, Plastiken und Mobiliar – umfasst 116 Seiten und befindet sich heute falls in den Beständen, genauso wie die Ermittlungsakten einer Expertenkommission, die die Verteilung von Neulings übriger Sammlung in der DDR um 1961 herum organisierte. „Schon damals vermerkten die Ermittler, dass Neulings in Prag wohl einiges zusammengestohlen hat“, sagt Deinert.

Aufmerksam auf den Fall Neulings war Deinert während eines Forschungsprojekts des Potsdam Museums zu den Tätigkeiten des Hauses während der NS–Zeit geworden. „Alles, was wir bislang über den Fall wissen, stammt aus der Provinienzforschung 2011 bis 2014.“ Anfangs hatte er für dieses Projekt allein nach NS-Akten gesucht, überzeugte die Geldgeber dann aber, dass es auch wichtig ist, die DDR-Akten zu sichten. Schließlich waren viele Museumsbestände während dieser Zeit neu verteilt worden, vieles ist verstreut. Und die Geschichte vieler der damals verschobenen Objekte reicht nun einmal zurück bis in die NS-Zeit.

So stieß er schließlich auf die Ermittlungsakten, Hinweise auf Nazi-Raubkunst gab es aber schon vorher. Denn Deinert und seine Kollegen waren bei der Sichtung der historischen Buchbestände auf völlig Unvermutetes gestoßen: eine Schedelsche Weltchronik von 1493 etwa oder ein Band der Frankfurter Talmud-Ausgabe von 1751. Eben diese Talmud-Ausgabe trug weder Inventarnummer noch Signatur, nicht einmal langjährige Mitarbeiter kannten sie. Laut hauseigener Überlieferung war das Museum zwischen 1934 und 1945 geschlossen und bekam während der DDR-Zeit ein neues Profil verpasst. So hatte man die Sammlung nie mit NS-Raubkunst in Verbindung gebracht. Doch ein kleiner Stempel im Talmud verwies auf das „Institut für Staatsforschung“, das 1935 unter Leitung des berüchtigten Reinhard Höhn an der Berliner Universität angesiedelt wurde. Von dort arbeitete man SS und Gestapo zu.

An eben diesem Institut arbeitete auch Walter Neulings. Da hatte er alerdings schon eine steile Karriere hinter sich: Bereits 1932 war er in die NSDAP eingetreten, arbeitete zunächst in Berlin – vermutlich schon damals als Kunsthändler. Dann stellte die Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität ihn als Inspektor an, dort wurde er schnell befördert – und kam ans „Institut für Staatsforschung“. „1939 wechselte er dann an die Deutsche Universität in Prag, wohl auch, um dort die deutsche Verwaltung mit aufzubauen, unklar ist noch, wie weit er dort mittelbar an Säuberungen beteiligt war“, sagt Deinert. Gegen Ende des Nationalsozialismus wurde er Mitarbeiter am Deutschen Auslandswissenschaftlichen Institut (DAWI) und galt dort als unabkömmlich: „Als Gebäudeverwalter war er unter anderem dafür zuständig, während der Bombardierungen Bestände in ausgelagerte Depots zu schaffen.“ Nach Kriegsende erhielt er zwar Hausverbot an der Universität, wusste aber wohl noch, wo sich Auslagerungsstellen des DAWI befanden – und versuchte dann, selbst noch damit Geld zu machen, sagt Deinert.

Belege dafür wollen er und seine Kollegen in den kommenden zwei Jahren finden – so lange läuft das jetzt vom Bund geförderte Projekt zu Neulings. Dazu werden sie die insgesamt 2 544 Objekte sichten, die im Potsdam Museum lagern, aber natürlich auch die Spuren nach Prag und Salzwedel weiterverfolgen. Am Ende, hofft Deinert, werden sie wissen, welche der Gegenstände während der NS-Zeit unrechtmäßig den Besitzer gewechselt haben – und im besten Fall auch, ob es noch Erben gibt.

Neulings selbst starb 1973. Belegt ist: 1948 wurde er Leiter des Salzwedeler Museums, möglicherweise finden sich also auch dort noch Objekte. 1956 floh Neulings schließlich nach Westberlin, auch von dort versuchte er mutmaßlich, an Bestände aus den ihm bekannten Depots zu kommen – hier kam sein Bruder ins Spiel, über den schließlich der doppelte Kunstraub aufflog. „Doppelt meine ich deshalb, weil Neulings zur NS-Zeit quasi auf staatlich institutionalisierten Weise Kunst raubte und zu DDR-Zeiten seine Nächlässe – wiederum staatlich institutionalisiert – auf verschiedene Museen verteilt wurden“, sagt Deinert.

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