zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Die Zeit zurückspulen

Beim zweiten Home Movie Day im Filmmuseum zeigten Hobbyfilmer Schätze aus der Vergangenheit. Manche von ihnen mit zeithistorischem Wert.

Potsdam - Und an der Zeit lässt sich doch drehen. Zumindest scheint es so, als Katherine Biesecke am Samstag im Potsdamer Filmmuseum vorsichtig mit der Hand an einem Scanner für 8-mm-Streifen eine Filmrolle zurückspult. In Schwarz-Weiß flimmern Gesichter junger Leute über den Bilderschirm des Geräts, das dafür eingesetzt wird, alte Filmstreifen abzuspielen. Es sind surreale Szenen, ein kleiner Spielfilm, der Mitte der 1980er-Jahre mit ihr und Freunden im damals stark verfallenen Schloss Belvedere Pfingstberg gedreht wurde.

Hergekommen ist sie an diesem Tag, weil das Filmmuseum in Kooperation mit der Filmuniverstität Babelsberg Konrad Wolf und dem Brandenburgischen Zentrum für Medienwissenschaften zum zweiten Brandenburger Home Movie Day eingeladen hatte. Unter dem Motto „Jeder Mensch ist ein Künstler!“ können Amateur- und Privatfilmer an diesem Tag ihre 8mm-, Super 8- oder auch 16mm-Streifen anschauen und jeweils einen ausgewählten Film digitalisieren lassen. Auf einem großen Tisch steht dafür allerlei technische Ausrüstung bereit, mehrere Scanner, die aussehen wie kleine Filmvorführungsgeräte im Kino, Filmdosen und Schneidewerkzeuge liegen herum.

Üblich war das Filmen mit derartigen Streifen seit den 1920er-Jahren, bis in den 1980er–Jahren die VHS-Technik den Markt eroberte. Doch bis heute genießt das Verwenden von Schmalfilmen ähnlich wie das Hören von Schallplatten einen gewissen Kultstatus unter Hobbyfilmern. Ins Filmmuseum kommen jedoch an diesem Samstag überwiegend Menschen mit alten Aufnahmen, die sie auch dem Archiv des Filmmuseums übergeben können, falls sie in dessen Sammelkonzept passen.

Wertvoll sind diese Bilder dann unter Umständen wiederum für professionelle Filmemacher, wie Oliver Hanley erklärt. „Für Geschichtsdokumentationen oder auch Spielfilme“, so der Dozent für Filmkulturerbe an der Babelsberger Filmuni, seien zum Beispiel alltägliche Berliner Straßenszenen, Kleidung oder Inneneinrichtungen vergangener Zeiten interessant.

Jemand, der solche historischen Straßenszenen mitgebracht hat, ist Joachim Grimm aus Berlin. Seine Aufnahmen zeigen das Alltagsleben im ukrainischen Odessa in den 1960er-Jahren. Heute ist die Stadt geprägt vom bewaffneten Konflikt in der Ukraine, das Stadtbild ist auch dadurch ein anderes als damals. „Ich freue mich, wenn ich der Forschung etwas zur Verfügung stellen kann“, sagt er. So habe das Filmmuseum in den vergangen Jahren zahlreiche Filmrollen von ihm erhalten.

Dana Kazda, die an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin das Konservieren und Restaurieren von Filmen studiert, war schon beim ersten Home Movie Day 2018 dabei und freut sich über die Begegnung mit Hobbyfilmern wie Joachim Grimm. „Die Sichtung der Filme macht großen Spaß und ist auch konservatorisch hochinteressant“, sagt sie, als sie mit weißen Handschuhen einen Streifen im wahrsten Sinne unter die Lupe nimmt. Beeindruckt sei sie immer besonders, wenn sie alte Farbfilme zu sehen bekomme: „Dann ist das alles – die Vergangenheit – gar nicht mehr so weit weg.“

Da es sich bei der Veranstaltung im Filmmuseum um den bislang einzigen Home Movie Day Deutschlands handelt, kommen die Menschen mit ihren Filmen aus der ganzen Republik, und bei der Sichtung kommt es zu angeregten Gesprächen zu den Beweggründen der Angereisten.

Manchmal geht zeithistorisch Beeindruckendes über den Tisch

Von interessanten Begegnungen kann auch Mario Loose von der Firma Screenshot erzählen. Die Firma hat sich auf die Digitalisierung von Zelluloidbildern konzentriert und ist auch in dieser Funktion heute im Filmmuseum dabei. Durch seinen Beruf kommt Loose täglich mit privaten Aufnahmen in Kontakt, die Hobbyfilmer digitalisieren lassen möchten. Sehr besonders findet er es, wenn etwas von zeithistorischer Bedeutung dabei ist – jüngst waren das Aufnahmen von 1932 /33 aus dem Besitz des Jüdischen Museums in Berlin, welche eine „erstaunlich gute Qualität“ aufwiesen und deshalb großen Eindruck hinterließen.

Natürlich sind nicht alle Aufnahmen, die am Samstag ins Filmmuseum gebracht werden, von jener zeithistorischen Bedeutung wie die des Jüdischen Museums. Aber darum geht es den Veranstaltern des Home Movie Day, der 2002 in den USA von Filmarchivaren ins Leben gerufen wurde, auch gar nicht,eines der Ziele ist eine allgemeine und grundsätzliche Sensibilisierung für das Material Film. 

Im Filmmuseum scheint das Konzept aufzugehen, wenn sich etwa Katherine Biesecke darauf freut, ihren Belvedere-Spielfilm mit dem Namen „Samstagmorgentraum“ jenseits des Bildschirms am Scanner auf der großen Kinoleinwand mit anderen zu teilen – und sozusagen zurückzuspulen zu einer „schönen Erinnerung an eine aufregende Zeit vor der Wende“.

Andrea Lütkewitz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false