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Landeshauptstadt: Die Vorstellung vom eigenen Leben

Die Gedenkstätte Lindenstraße zeigte zum Tag der Einheit Werke einstiger Gefangener und eine Ausstellung zur DDR-Opposition

Von den tiefschwarzen Bildern heben sich die Umrisse gespenstisch ab: Zwei blasse Hände umklammern, fest zu Fäusten geballt, die beiden Gitterstäbe der Zelle. Oder der einzige Blick nach draußen, in die Freiheit, ist nur durch ein Schlüsselloch möglich. Doch die Sicht ist versperrt von einem Schlüssel, der an einer Kette des Wärters baumelt. Der Maler Bernd Richter saß in der DDR mehrere Monate im ehemaligen Gefängnis in der Potsdamer Lindenstraße in Haft. Am gestrigen Tag der Deutschen Einheit wurden Richters Bilder zum Tag der offenen Tür in der Gedenkstätte Lindenstraße, der ehemaligen Gerichts- und Haftanstalt, gezeigt. Zeitzeugen wie Richter waren vor Ort, um das Programm mitzugestalten und über ihre Erlebnisse zu berichten.

Ihre Vorstellungen von ihrem Land und ihrem Leben seien in der DDR mit Freiheitsentzug bestraft worden, sagte Uta Gerlant, die Leiterin der Gedenkstätte, in ihrer Eröffnungsrede. Der Tag der Deutschen Einheit sei sowohl ein Grund zum Feiern und fröhlich sein, als auch, um an die Schicksale dieser Zeitzeugen zu erinnern.

Bernd Richter, 1955 in Ostberlin geboren, wollte immer nur Sport machen. Als Kind wird er von Talentscouts entdeckt und zur Kinder- und Jugendsportschule des ASK Vorwärts Potsdam geschickt. Dort wird er Hammer- und Diskuswerfer und nimmt erfolgreich an Wettkämpfen teil. „Ich habe den Sport über alles geliebt“, sagt Richter. Doch dann wird er wegen angeblich zu schlechter Noten und eines Missverständnisses 1972 von einem internationalen Wettkampf ausgeschlossen. Der damals 17-Jährige bekommt Panik. Glaubt, dass seine Karriere gefährdet ist. Kurzerhand fliegt er nach Ungarn, will von dort über Jugoslawien und Österreich in die BRD, um dort mit dem Sport weitermachen zu können. An der jugoslawischen Grenze wird er von der ungarischen Staatssicherheit geschnappt, sitzt vier Wochen in Ungarn im Gefängnis. Es folgen Verhöre in Hohenschönhausen, schließlich vier Monate Haft in der Potsdamer Lindenstraße und zwei Monate in der heutigen Henning-von-Tresckow-Straße.

An seine Haft erinnert sich Richter lebhaft. „Es war extrem schlimm und psychisch sehr schwierig für mich. Ich war ja komplett isoliert hier im Haus. Ich durfte keinen Kontakt zur Familie, Freunden, einem Anwalt oder anderen Häftlingen haben“, sagt Richter. In Potsdam saß er in einer Sonderzelle, 1,76 Meter hoch. „Ich konnte nicht einmal aufrecht stehen.“

Nach der Haft muss Richter von vorne anfangen. Er wird von der Staatsmacht gezwungen, eine Lehre zum Baufacharbeiter zu absolvieren. Später wird er Diplom-Ingenieur. Im Mai 2000 folgt ein weiterer Schicksalsschlag: Über Nacht wird Richter krank, muss zahlreiche schwere Operationen über sich ergehen lassen und stirbt fast an einer Lungenembolie. Seither ist er erwerbsunfähig. Mit dem Malen fängt Richter 2015 in einer Klinik an. „Wenn ich mich damit beschäftige, dann habe ich keine Schmerzen. Ich vergesse alles um mich herum.“ In seinen Bildern beschäftigt sich der Maler nicht so oft mit seiner Haft. Viele seiner Werke sind bunte, fröhliche Naturaufnahmen und Farbspielereien in Acryl, Öl oder Wasserfarben. Einen eigenen Stil hat er bisher noch nicht. „Ich versuche, mich noch selber zu finden“, sagt er. „Ich experimentiere gerne mit Farben, Materialien und auch chemischen Reaktionen.“ Die schwarze Serie, wie er die Bilder über die Erfahrungen seiner Haft nennt, ist wegen der eintägigen Ausstellung in der Lindenstraße entstanden.

Von einem anderen Leben in der DDR träumte nicht nur Bernd Richter. In einer Plakatausstellung, die in der Gedenkstätte gestern ebenfalls eröffnete, werden Portäts von jungen Oppositionellen gezeigt. Sie wurde von der Robert-Havemann-Gesellschaft erarbeitet, einem Verein, der selbst aus Oppositionellen hervorgegangen ist. Beginnend in den 50er-Jahren werden Menschen vorgestellt, die aus verschiedenen Gründen heraus aktiv wurden. Wie Arno Esch, der sich Ende der 40er und Anfang der 50er-Jahre in der Liberal-Demokratischen Partei (LPD) engagierte, für eine legale Kriegsdienstverweigerung war und 1950 wegen angeblicher Spionage und Bildung einer konterrevolutionären Organisation zum Tode verurteilt wurde. Oder Doris Liebermann, die nach einer Unterschriftensammlung 1976 gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann kurzzeitig festgenommen und 1977 zusammen mit der Jenaer Gruppe um den Schriftsteller Jürgen Fuchs ausgebürgert wurde.

„Sie alle wollten in ihrem Land etwas verändern, es lebbarer machen“, sagt Uta Gerlant. Das kollidierte mit den Vorstellungen der Staatsmacht. Die Ausstellung „Jugendopposition in der DDR“ ist bis Ende November in der Gedenkstätte zu sehen.

Sarah Stoffers

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