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Landeshauptstadt: Die Treppe hinauf ins Leben

Auf der Flucht vorm Elternhaus sucht Jugendliche Hilfe im Frauenhaus. Ihr Schicksal ist kein Einzelfall.

Steffi* war fertig mit der Welt. Sie habe apathisch dagesessen. „Dabei hat mein Herz wie wild gerast.“ Sozialarbeiterin und die damals 19-jährige Zufluchtssuchende erinnern sich noch heute an ihre erste Begegnung. Das ist drei Jahre her.

Steffis Kopf war damals voll. Kurz nach dem sich ihre Eltern hatten scheiden lassen, zog der neue Mann ihrer Mutter ein. Von Anfang an habe sie sich mit dem Fremden einfach nicht verstanden. Irgendwann mehrten sich die Konflikte, erhöhte sich der Druck. Streitereien und Gebrüll waren an der Tagesordnung. Die vorher enge Beziehung zu ihrer Mutter zerbrach. „Wir haben uns entfremdet“, das habe weh getan, erzählt Steffi. Sie war immer weniger in der Lage, dem Schulunterricht zu folgen. Sie bekam nichts mehr in ihren Kopf hinein. Schließlich schmiss sie das Abitur, war in labiler Seelenverfassung, dachte an Suizid. „Ich war kurz vor der Klippe“, sagt sie. Am Ende begab sie sich in psychologische Behandlung. Ihr Therapeut riet ihr zum Auszug.

Doch da die nächste Verzweiflung: Wohin ohne Geld? Auf das Frauenzentrum stieß sie zufällig. Sozialarbeiterin Monika Kirchner hörte erstmal nur zu. Dann schlug sie der Jugendlichen die Zufluchtswohnung vor. In der Frauen-Wohngemeinschaft hat jede Bewohnerin ein eigenes Zimmer und damit Raum, um in Ruhe ihre Situation zu überdenken. Allerdings sei nicht gleich ein Platz frei gewesen. Vierzehn Tage warten, vierzehn Tage im gefürchteten Zuhause. „Ich wusste ja, ich komme “raus – und habe mich deshalb nicht mehr auf die Streitereien eingelassen“, sagt Steffi. Anderthalb Jahre blieb sie. In der Zeit teilte sie mit drei verschiedenen Frauen Bad, Küche und Schicksal. „Wir haben uns gegenseitig aufgebaut“, sagt die heute 22-Jährige.

In solchen Konstellationen stecke eine Menge Selbsthilfepotenzial, erklärt Sozialarbeiterin Kirchner. Die Aufnahme in die Zufluchtswohnung in Babelsberg sei eine bewusste Entscheidung der Frauen, die sich stabilisieren, die aufarbeiten wollen. Anders im Frauenhaus: Hier werde aufgenommen, wer Schutz suche vor drohender Gewalt. „Und zwar sofort.“ Für die Zufluchtswohnung hingegen werde ausgewählt. Sie wurde 1997 geschaffen, als sich die Verweildauern im Frauenhaus zunehmend verlängerten. Die Frauen brauchten mehr Zeit. Vorgesehen sei jetzt maximal ein Jahr – mit Ausnahmen. Am Anfang seien viele Frauen mit Kindern gekommen, inzwischen werde die Gruppe der zufluchtssuchenden Heranwachsenden größer. Auch ein Zeichen dafür, dass zu Hause einiges schief läuft.

Aber, so Monika Kirchner, sei das Angebot nicht für jene, die einfach vor ihren Eltern fliehen wollen. Die Probleme müssten schon massiv sein. Gewalt habe viele Gesichter, auch psychischer Druck bleibe nicht ohne Folgen, erklärte die diplomierte Pädagogin. Auch die aktuelle Kriminalstatistik belegt, dass die Fälle häuslicher Gewalt zunehmen. Jugendliche und Heranwachsende gehören zu den Opfern. 243 Fälle wurden der Potsdamer Polizei im vergangenen Jahr bekannt. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr (110 Fälle) mehr als verdoppelt. Mehr als drei Viertel der Opfer sind Frauen – und immer häufiger junge Menschen. Während 2006 noch 14 Jugendliche und Heranwachsende daheim drangsaliert wurden, waren es im vergangenen Jahr bereits 30 Opfer in dieser Altersgruppe.

Steffi geht es inzwischen gut. Sie hat mit einer Freundin eine eigene WG gegründet und wird noch dieses Jahr ihre Ausbildung beenden. Erst vor wenigen Wochen hat sie sich mit ihrer „Mama“ ausgesöhnt. Steffi ist auf ihre Mutter zugegangen. „Eine reife Leistung“, sagt Monika Kirchner. Denn nicht alle Frauen machen ihren Weg. Für Steffi ist die Zeit in der Zufluchtswohnung ein Stück von ihr, das sie auch nicht mehr leugnet. Sie sei jetzt stark und dankbar. „Die haben mich hier die Treppe hoch ins Leben geschleppt.“

(* Name von der Redaktion geändert)

Nicola Klusemann

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