zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Die Spuren der „Verbotenen Stadt“

Im einstigen „Militärstädtchen Nr. 7“ gibt es nun einen Geschichtspfad mit 13 Infotafeln. Sie sollen die wenigen Spuren, die noch auf das KGB-Viertel hindeuten, sichtbar machen

Von Katharina Wiechers

Marlise Steinert muss froh gewesen sein, als sie 1945 die Arbeit als Dolmetscherin bekam. Statt wie bisher auf der Baustelle zu schuften, sollte sie nun für den sowjetischen General Pawel Seljonin und dessen Frau übersetzen. Rund zwei Jahre lang arbeitete die dreifache Mutter, die die Kriegswirren aus Lettland nach Potsdam verschlagen hatten, bei Seljonin, dem Chef der Militärspionageabwehr im Potsdamer „Militärstädtchen Nr. 7“. Dann wurde der General geschasst und auch Marlise Steinert inhaftiert. An ihr Schicksal erinnert nun eine Stele vor dem einstigen Wohnhaus Seljonins in der Glumestraße – als Teil eines neuen Geschichtspfads durch die „Verbotene Stadt“ am Neuen Garten.

Am gestrigen Freitag wurden die Stelen offiziell übergeben – auf den Tag genau 20 Jahre nach dem Abzug der russischen Truppen aus dem „Militärstädtchen Nr. 7“. Dieses war bis dahin neben Berlin-Karlshorst der wichtigste Geheimdienststandort des KGB außerhalb der Sowjetunion (siehe Kasten). Was sich hinter den Mauern abspielte, davon hatten die Potsdamer jahrzehntelang nur eine diffuse Ahnung, wie Ines Reich, Leiterin der Gedenkstätte Leistikowstraße, am Freitag sagte. Erst nach dem Abzug war das Geheimdienstviertel wieder zugänglich, und schon bald wurde es wieder zum noblen Villenviertel wie einst. An die Zeit der sowjetischen Besetzung erinnert heute nur noch wenig – doch das wenige wird nun anhand der 13 Stelen erklärt.

Auf diesen ist jeweils ein historisches Foto, eine Chronik sowie eine kurze Erklärung zu sehen. Auf einer weiteren, kleineren Stele ist zudem der Standort markiert sowie ein QR-Code abgebildet – wer ein internetfähiges Smartphone dabei hat, kann diesen einscannen und kommt so auf eine Seite mit weiterführenden Informationen.

Zur Person Marlise Steinert ist auf diesem Weg zum Beispiel zu erfahren, dass sie 1945 vom Potsdamer Arbeitsamt wegen ihrer Russischkenntnisse für den Dolmetscher-Job in der „Verbotenen Stadt“ vermittelt wurde und fortan mit ihrer Familie in einem der roten Backsteinhäuser der Pfingstgemeinde wohnte. Auch ihre Tochter Lore Siebert wird auf der Seite zitiert. Sie erinnert sich, dass die Mutter stark eingespannt war und teilweise 24 Stunden lang nicht nach Hause kam. Aber auch an einen positiven Nebeneffekt erinnert sie sich: „Was das Gute war, sie brachte vom Offizierstisch genug Essen mit, sodass wir immer ein schönes Abendbrot hatten. Insbesondere erinnere ich mich an den stark gesüßten, schweren, schwarzen, russischen Tee, der auch schon satt machte, wegen des vielen Zuckers.“

Doch schon 1947 war es damit vorbei: Seljonin verlor wegen interner Machtkämpfe seine Stelle und die damals 42-jährige Marlise Steinert wurde als angebliche amerikanische Spionin im Gefängnis Leistikowstraße ganz in der Nähe um die Ecke inhaftiert. Ihren Erinnerungen an damals ist folgende berührende Szene entnommen: „Einmal sollte ich in einem Vorraum warten, da wurde ein Fenster geöffnet, ich sollte ein bisschen frische Luft haben. Aber von dort konnte ich den Giebel der Pfingstkirche sehen und mir war so schwer, fast sehe ich unsere Fenster und kann nicht rufen, nichts sagen. Sie wissen es gar nicht, dass ich so nah von zu Hause bin. Was denken sie, wo ich bleibe?“

Kurze Zeit später wurde Marlise Steinert nach Moskau deportiert, wo man sie ein Jahr später zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilte. Fünf Jahre litt sie im Gulag, bevor sie nach Stalins Tod amnestiert wurde und nach Deutschland zurückkehrte. Erst dann konnte sie ihre Kinder, die so lange bei der Tante waren, wieder in die Arme schließen. Erst 1998 – 16 Jahre nach ihrem Tod – wurde Marlise Steinert posthum rehabilitiert.

Eine weitere Stele erinnert an den einstigen Sitzungssaal des sowjetischen Militärtribunals, der in einer Ecke des Kaiserin-Augusta-Stifts untergebracht war. Früher befand sich dort eine Kapelle, dann wurden dort unmenschlichste Urteile gesprochen – nicht selten wurden Unschuldige zu Tode verurteilt. „Die Verfahren waren nicht rechtsstaatlich, die Angeklagten verstanden oft kein Russisch“, sagt Reich. Heute hat der Zahntechnikermeister Wolfgang Traudt dort seine exklusive Praxis – in der Apsis, wo einst der Richter saß, steht heute ein Zahnarztstuhl, an der Wand hängt ein Bild von Marilyn Monroe. Als er sein Dentallabor einrichtete, wusste er nichts von der dunklen Geschichte des Ortes. Heute öffnet er seine Räume für Führungen – und hat die Gedenkstätte mit einer Spende unterstützt.

Insgesamt ist der Pfad 2,5 Kilometer lang, zu Fuß ist man also eine Zeitlang unterwegs. Doch die Stelen sind nicht chronologisch angeordnet, man kann zwischendurch ein- und aussteigen. Die Nummern dienen nur der Orientierung, zum Beispiel, um im Internet an die Zusatzinfos zu kommen, die sich hinter den QR-Codes verbergen – sie sind unter www.gedenkstaette-leistikowstrasse.de/Geschichtspfad abzurufen.

An der öffentlichen Übergabe des Geschichtspfad am Freitag nahm auch der Vorsitzende des Gedenkstätten-Vereins Leistikowstraße, Richard Buchner, teil – ein kritischer Beobachter der Arbeit von Ines Reich und ihren Kollegen. Er bemängelte zwar, dass sein Verein nicht in die Erstellung des Geschichtspfads miteinbezogen wurde. „Wir haben vor drei Tagen die Einladung bekommen“, sagte er. Inhaltlich begrüßte er das Konzept aber: „Die Opfer-Schicksale werden angemessen dargestellt.“

Zur Startseite