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"Die Nacht von Potsdam": Leichen so klein wie Puppen

Heute vor 71 Jahren wurde Potsdam durch einen britischen Luftangriff zerstört. Luise Lunow, damals 13 Jahre, erinnert sich an das Inferno.

Potsdam - An unzähligen Tagen zuvor war bereits Fliegeralarm ausgelöst worden. Für das Babelsberger Mädchen Gerda-Luise Thiele hieß das dann immer wieder: schnell in den Luftschutzkeller. Und warten, bis die Gefahr vorüber ist. Doch die Luftangriffe, vor denen mit durchdringenden Sirenentönen gewarnt wurde, galten fast immer der Reichshauptstadt Berlin. Und die war ein paar Kilometer weit weg. Potsdam blieb meist verschont von der todbringenden Fracht aus der Luft.

An diesem 14. April 1945 aber, einem sonnigen warmen Frühlingstag, sollte es anders kommen. „Noch sehr, sehr gut“ könne sie sich an diesen schrecklichen Tag erinnern, sagt Thiele, die heute Luise Lunow heißt. „Wir waren wieder mal im Keller“, erinnert sich die 84-Jährige an den Abend dieses Tages. Zuvor hatte es Fliegeralarm gegeben. Plötzlich kam der Luftschutzwart hinunter zu den Schutzsuchenden gerannt und rief ihnen zu, Christbäume seien am Himmel zu sehen. Ein untrügliches Zeichen also, dass dieses Mal tatsächlich ein Luftangriff auf Potsdam bevorstand. Mit den sogenannten Christbäumen, die von Flugzeugen aus abgeworfen wurden, erleuchtete man im Zweiten Weltkrieg bei Luftangriffen die jeweiligen Zielgebiete, um den nachfolgenden Bomberpiloten eine Orientierung zu geben.

Dieses Mal sollte es Potsdam treffen

Dieses Mal also sollte es Potsdam treffen. Die Warnung des Luftschutzwartes im Haus der damals 13-jährigen Luise Lunow in der Babelsberger Heinrich-von-Kleist-Straße bewahrheitete sich. Um 22.15 Uhr war in Potsdam Bombenalarm ausgelöst worden. Zu dieser Zeit hatten die britischen Maschinen mit Ziel Potsdam den Raum Braunschweig/Hannover erreicht. Den endgültigen Befehl zum Abwurf der Markierungsbomben gab als sogenannter „Master Bomber“ und Leiter des Einsatzes Oberstleutnant Hugh Le Good in einer Lancaster um 22.39 Uhr. Es war eine wolkenlose Nacht. Eben Bombenwetter. 836 Beleuchtungsbomben warfen die Briten zunächst über der Stadt an der Havel ab. Mit 1717 Tonnen Sprengbomben und schätzungsweise bis zu 180 Tonnen Brandbomben legte die Royal Air Force innerhalb weniger Minuten Teile der einstigen Garnison- und Residenzstadt in Schutt und Asche.

Auch Luise Lunow hätte unter den etwa 2000 Todesopfern dieses Fliegerangriffs sein können. Doch sie überlebte im Keller eines Hauses in der Babelsberger Heinrich-von-Kleist-Straße. „Der Keller wogte auf und ab“, erinnert sich die 84-jährige Lunow. Schwankungen „wie auf hoher See“ seien das damals gewesen. Eine Nachbarin habe geschrien: „Meine Betten, meine Betten!“ Warum die Frau das ausrief, weiß Lunow nicht. „Die Detonationen waren so laut und so schrecklich.“ Putz fiel von den Wänden. Auf dem Boden liegend, mit einem feuchten Lappen vor dem Gesicht – als Schutz vor aufwirbelndem Staub – wartete Lunow gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer jüngeren Schwester und den Nachbarn im Keller den Bombenangriff ab. „Nach 20 Minuten war das zu Ende“, erinnert sich Lunow. „Dann mussten wir erst mal gucken, ob das Haus noch steht.“ Und ja, es stand noch. Die Fensterscheiben waren zwar herausgefallen. Aber im Großen und Ganzen blieb das Gebäude unzerstört. Von ihrer Wohnung im zweiten Stock des Babelsberger Mehrfamilienhauses sah Lunow in der Nacht des 14. April den Feuerschein am Horizont über Potsdam.

Zeitzeugin Lunow: "Es war eine Skelettlandschaft"

Auch der Anblick der trostlosen Trümmerlandschaft Potsdams in den Wochen nach dem Luftangriff hat sich tief in Lunows Gedächtnis eingegraben: „Es war eine Skelettlandschaft.“ Ganze Häuserzeilen waren zerbombt. „Straßen, durch die ich jeden Tag mit der Straßenbahn zur Schule gefahren war, gab es nicht mehr, das Schloss, den Palast Barberini, das beliebte Café, das schöne alte Theater, in dem ich jedes Jahr das Weihnachtsmärchen gesehen hatte, die Kirchen, alle Häuser am Kanal und am Wilhelmplatz – nur noch rauchende Trümmer“, schreibt Lunow, die später Schauspielerin wurde, in ihrer kürzlich als Taschenbuch erschienenen Autobiografie mit dem Titel „Auch ein Rosine hat noch Saft“.

An den Trümmern im Zentrum der Stadt sah die damals 13-Jährige in den Tagen nach dem Luftangriff Zettel, mit denen die Menschen sich gegenseitig suchten. Ein schrecklicher Anblick waren die Leichen auf den Straßen. „Das sind Bilder, die ich nie vergessen werde“, sagt Lunow. Am Tag nach dem verheerenden Luftangriff kam sie mit ihrer Tante an einer Babelsberger Tuchfabrik vorbei. Dort hatten während des Krieges französische Zwangsarbeiter arbeiten müssen. Das Aufsuchen von Luftschutzkellern habe man ihnen damals verwehrt, erklärt Lunow. So wurden auch sie Opfer des Luftangriffs: Völlig verkohlt seien die Leichen gewesen, „nur noch so groß wie Puppen“, erinnert sich die Zeitzeugin.

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