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Landeshauptstadt: Die Mauer ist weit weg

Bei Familie Oehme wird kaum noch über die DDR geredet – ein Generationen-Rückblick.

Bei Familie Oehme wird kaum noch über die DDR geredet – ein Generationen-Rückblick. Christoph Oehme (Schüler, Schauspieler, 14 Jahre) hatte erst kürzlich mit der DDR zu tun. Vor der Kamera mimte er den 13-jährigen Karl Treschanke, die Hauptfigur der vor einigen Wochen angelaufenen RTL–Serie „Meine schönsten Jahre“, die in den achtziger Jahren in Ost-Berlin spielt. Karl verliebt sich, hat Stress mit den Eltern und bekommt seine ersten Pickel. Die Mauer interessiert ihn herzlich wenig. Und das ist bei Christoph nicht anders. Von seinen Eltern und aus der Schule weiß er „ein bisschen“ wie es früher in der DDR, war, sagt er, besonders spannend findet er das nicht. Auf den Dreh hat er sich vorbereitet, so wie er sich immer vorbereitet. Er hat das Textbuch gelesen. In seiner Familie war der DDR-Film kein Thema, Christoph zieht seine Nebenjobs allein durch. Zum Thema DDR fallen ihm Schlagworte ein: Die Mauer, die er nicht gerade spannend findet, die Plattenbauten, die bescheuert sind, Fahnenappelle, die ihm seltsam vorkommen und peinliche Feinripp-Unterwäsche, die er vor der Kamera tragen musste. Was ihn interessiert, ist Fußball, Bayern München und Sport, da kriegt er auf dem Zeugnis immer eine Eins. Die DDR ist ihm ziemlich egal, sie spielt in seinem Leben nicht einmal eine Mini-Nebenrolle. * * * Am 9. November 1989 war Anne-Gret Oehme (Kostümbildnerin, Restaurantbetreiberin, 38 Jahre) zuhause, am Schlaatz. Die Maueröffnung sah sie sich im Fernsehen an. Erst ein paar Tage später fuhr sie über die Glienicker Brücke nach Berlin. „Ich hab registriert, wie es drüben aussieht“, sagt sie. Aber mehr nicht. Keine Spur von Euphorie oder Erhabenheit. Die Mauer gehörte bis dahin zu ihrem Leben dazu. Sie hatte eine glückliche Kindheit, eine glückliche Jugend. Ferienlager, Urlaub, Freunde, Kultur, Schule, Familie. Nie hat sie darüber nachgedacht, wie es ohne die Mauer wäre. Plötzlich war sie weg. Und alles anders. Für die Studentin hieß das erst einmal, dass der so gut wie vorbestimmte Defa-Job dahin war und das ihr bisheriger Lebensplan nicht mehr zu gebrauchen war. Sie hatte eine Tochter, war schwanger und wusste nicht, wie weiter. Doch dann ging alles seine Wege. Sie kannte die richtigen Leute, bekam einen Job, dann den nächsten. „Ich habe viel Glück gehabt“, sagt Anne-Gret Oehme. Ihre Kinder sind mittlerweile 14 und 18, sie steht als Kostümbildnerin mit beiden Beinen fest in der Filmbranche und betreibt ein Restaurant. Zu DDR-Zeiten wäre sie nie in den Potsdamer Westen gezogen. Verrottete Häuser mit Ofenheizung und Außentoilette. Jetzt lebt sie dort – und fühlt sich pudelwohl. Die Fassaden sind bunt, die Wohnungen renoviert. „Potsdam ist wunderschön geworden,“ sagt sie, „zu Ostzeiten wäre das nicht möglich gewesen.“ In ihrer Familie hat keiner unter der Wende gelitten. Es geht allen gut, sehr gut sogar. Das Thema DDR kommt nur noch selten auf den Tisch. Als ihr Sohn Chrischi Geburtstag hatte und sie nach dem Kaffeetrinken eine Sendung von „Meine schönsten Jahre“ in das Videogerät schob, haben sie mal wieder über „früher“ gesprochen. Aber das war eine Ausnahme. Die DDR nimmt in ihrem Leben kaum noch Raum ein, genauso wenig wie Begriffe wie Ossi und Wessi. „Beim Film fragt keiner mehr woher du kommst“, erzählt sie. Dort funktioniert das Zusammenwachsen automatisch. * * * Roland Oehme (DEFA-Filmregisseur, 69) kam 1964 aus Naumburg nach Babelsberg, um Regie an der Filmhochschule zu studieren. Er lebte mit seiner Frau und vier Kindern im Grenzgebiet, in der so genannten Sperrzone. Wenn Besuch kam, musste er zwei Wochen vorher angemeldet werden. Es kam auch vor, dass spontan auftauchende Freunde festgenommen und für einige Stunden auf die Wache nach Potsdam gebracht wurden. „Es war lästig dort zu leben“, sagt der Regisseur, „aber es war damals keine andere Wohnung zu kriegen.“ Er erinnert sich gerne an die Urlaube mit seiner Familie, mit einem Haufen Gepäck fuhren sie mit dem Zug Richtung Ostsee. Zu einem Auto hat das Geld lange nicht gereicht. Aber deshalb war das Leben nicht ärmer. Er hat fest daran geglaubt, dass aus der DDR etwas werden kann, wenn der Staat besser organisiert, wenn er besser gemanagt würde. Erst sehr spät hat er erkannt, dass das System nicht funktioniert. Vielleicht hat er zu lange die Augen zu gemacht, hat er sich nach der Wende vorgeworfen. Dabei wollte er immer nur gute Filme machen. Er fühlte sich unbehaglich, als er von einem auf den anderen Tag nach drüben konnte. Er war im Reisekader, durfte auch vor der Maueröffnung reisen. Als Regisseur hatte er Filmfestspiele in Tunesien und Indien besucht. West-Berlin interessierte ihn zunächst nicht. 1991 war Schluss mit der DEFA und der DDR-Regisseur fiel in das Wendeloch. Wie viele seiner Kollegen kratzte er an der Tür von Produzenten, um Geld für neue Projekte zu bekommen. Vierzehn Tage lang. Dann hatte er die Nase voll. Er stieg bei einem Off-Theater-Festival in Innsbruck ein, bekam dann das Angebot, bei den Störtebeker -Festspielen auf Rügen einzusteigen, zunächst als Regisseur, später auch als Autor. Das hat sein Alterswerk verschönt, sagt er heute. Er ist stolz auf die lange Liste an Filmen, die er in der DDR produziert hat. Das will er sich von niemandem kaputt machen lassen. „Man braucht sich nicht zu schämen, wenn man in der DDR etwas erreicht hat,“ sagt er. Das Schöne, dass er geschaffen hat, sei mit keinem Makel behaftet, nur weil er es in der DDR geschaffen hat. Seine Stasi-Unterlagen hat er sich nie angesehen. Es interessiert ihn nicht, wer ihn bespitzelt hat. Er wollte auch nie aus Potsdam wegziehen und neu anfangen. Er ist mit sich und seinem Leben im Reinen. Wozu? Es wird noch einige Zeit dauern, bis die beiden deutschen Staaten zusammengewachsen sind, glaubt der Regisseur. Vierzig Jahre unterschiedliche Sozialisation lassen sich nicht einfach wegwischen. Aber es gibt da die gemeinsame Wurzel, vor der Teilung. Alles braucht seine Zeit.

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