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Amtsärztin Kristina Böhm und Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD).

© Andreas Klaer

Die Lage in Potsdam am Montag: Kampf gegen Corona fordert Potsdam heraus

Im Klinikum ist das gefährliche Virus ausgebrochen, 28 Menschen sind dort nach einer Infektion gestorben. Wie soll es jetzt weitergehen? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Coronakrise in Potsdam.

Potsdam - Das kommunale Klinikum „Ernst von Bergmann“ bleibt nach dem Corona-Ausbruch im Krisenmodus. Wann es wieder für alle Patienten offen steht, ist ungewiss. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) wollte sich bei einer Pressekonferenz am Montagnachmittag auf kein Datum festlegen, wann der am 1. April verhängte Aufnahme- und Verlegungsstopp für das wichtigste Klinikum der Region wieder aufgehoben werden kann.

Nun gehe es zunächst darum, die Lage im Klinikum in den Griff zu bekommen, sagte Schubert. Gleichzeitig bestätigte er einen PNN-Bericht vom Sonntag, wonach die Bundeswehr helfen soll, das Infektionsgeschehen in der Landeshauptstadt, dem Corona-Hotspot in Brandenburg mit mittlerweile 454 positiv auf das neuartige Virus getesteten Menschen, zu managen. Per Amtshilfeersuchen soll medizinisches Personal der Bundeswehr zum Einsatz kommen.

Bergmann soll nicht Corona-Klinik werden

Gleichzeitig erteilte Schubert einer Empfehlung des Robert-Koch-Instituts (RKI) eine Absage, das Klinikum zur zentralen Klinik für Covid-19-Patienten der Region oder sogar des ganzen Landes Brandenburg umzufunktionieren. Das Kriseninterventionsteam des RKI hatte das Klinikum am 3. April inspiziert, um Hilfestellung beim Kampf gegen den Corona-Ausbruch zu leisten. Das gravierendste Fazit im Bericht des RKI nach der Inspektion war der Vorschlag, das derzeit in großem Ausmaß Corona-verunreinigte Klinikum zur kompletten Covid-19-Klinik zu machen.

Man verfolge derzeit weiter die Strategie, das Ausbruchsgeschehen unter Kontrolle zu bringen, sagte Schubert. Auch das Landesgesundheitsministerium, das der Stadt die Hinzuziehung der RKI-Experten empfohlen hatte, lehnt die Idee eines reinen Corona-Krankenhauses im Bergmann-Klinikum ab. „Das Konzept von reinen Covid-19-Krankenhäusern widerspricht dem dezentralen Versorgungsansatz im Flächenland Brandenburg und auch der sich daraus ergebenden Lastenverteilung“, sagte Ministeriumssprecher Gabriel Hesse auf PNN-Anfrage. Es gebe noch viele andere lebensbedrohliche Krankheiten, die auch in Potsdam adäquat versorgt werden müssten. „Wir dürfen uns jetzt nicht nur auf Covid-19 fokussieren“, so Hesse. Das Bergmann-Klinikum als Schwerpunktversorger sei aus Sicht des Ministeriums nicht als reines Corona-Krankenhaus geeignet.

Nach Bekanntwerden des vertraulichen RKI-Berichts durch die exklusive Berichterstattung der PNN am Ostersonntag hat sich auch die politische Lage in der Landeshauptstadt noch einmal zugespitzt. Sowohl zum städtischen Krisenmanagement, der Kommunikationsstrategie der Stadtspitze als auch zu den Zuständen und Verantwortlichkeiten im Klinikum gibt es viele Fragen.  Oberbürgermeister Schubert begegnete der Lage mit einer Pressekonferenz am Nachmittag des Ostermontags.

Die PNN beantworten hier die wichtigsten Fragen zur Coronakrise in Potsdam, den Inhalten des RKI-Berichts, den Konsequenzen für das Klinikum sowie zur politischen Lage in der Landeshauptstadt.

Wie ist die aktuelle Corona-Lage in der Stadt Potsdam?

In Potsdam sind Stand Montag  454 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. 860 Menschen sind so genannte Kontaktpersonen ersten Grades, 54 Menschen seien genesen und hätten die häusliche Quarantäne wieder verlassen können, sagte Amtsärztin Kristina Böhm bei der Pressekonferenz am Montagnachmittag. Am Ostermontag gab es bislang keine Todesfälle nach Corona-Infektion. Am Ostersonntag waren ein 90-jähriger Mann aus Potsdam im Klinikum sowie ein 82-jähriger Mann im St. Josefs-Krankenhaus gestorben. Insgesamt sind nach Angaben vom Montag in Potsdam 41 Menschen gestorben, die mit dem Coronavirus infiziert waren. 26 von ihnen hatten Potsdam als Wohnort (Stand 13. April, 16 Uhr).

Wie ist die Lage im Klinikum?

Dort ist die Lage weiterhin ernst. Im Bergmann-Klinikum werden Stand Montagnachmittag 83 Patienten mit Corona-Infektion behandelt, 18 von ihnen auf der Intensivstation. 13 von diesen müssen beatmet werden. Zudem sind nach Angaben vom Sonntag 174 Mitarbeiter des Klinikums infiziert, vor allem aus dem Pflegebereich. 28 Menschen sind seit dem 26. März in Brandenburgs zweitgrößtem Krankenhaus nach Infektion mit dem Corona-Virus gestorben. Für die kommenden Wochen ist keine Entwarnung in Sicht, wie aus dem RKI-Untersuchungsbericht hervorgeht. Laut RKI-Befund muss „in den kommenden Wochen mit einer hohen Anzahl an schweren Verläufen mit intensiv- und Beatmungspflichtigkeit gerechnet werden“. Dies liegt vor allem daran, dass zahlreiche Patienten der Klinik für Geriatrie infiziert sind. Dabei handelt es sich um ältere Menschen mit Vorerkrankungen – also die Hochrisikogruppe für das Coronavirus. Wie viele Patienten der Geriatrie infiziert sind, können Stadt und Klinikum auch nach Angaben vom Montag bislang nicht beantworten. Ebenso, wie viele der infizierten Geriatrie-Patienten bereits verstorben sind. Dafür fehle weiterhin der Überblick über das Ausbruchsgeschehen.

Wie soll es mit dem Klinikum weitergehen?

Das Ausmaß des Corona-Ausbruchs sowie die Missstände und auch die Folgen der Krise im Klinikum sind laut RKI-Befund weit größer als zuvor bekannt war. Der Bericht vom 4. April gibt an, dass das Ausbruchsgeschehen im Klinikum „weiterhin aktiv“ sei.

Damit das Klinikum so schnell wie möglich zu einem normalen Betrieb zurückkommen kann, soll es nach Angaben von Oberbürgermeister Schubert als dreigeteiltes Krankenhaus aufgestellt werden – mit einem weißen, also Corona-freien Bereich, einem grauen Bereich für Verdachts- und ungeklärte Fälle sowie einem schwarzen Bereich für Corona-Infizierte. Um dies umzusetzen und die Krise im Klinikum zu managen, soll die Unternehmensberatung Kienbaum Consultants International das Potsdamer Klinikum unterstützen. Es sei ein verkürztes Vergabeverfahren eingeleitet worden, bei dem die Firma Kienbaum den Zuschlag erhalten habe, informierte der Oberbürgermeister.

Zudem zieht die Stadt die Fäden an sich:  Die Lage im Klinikum werde ab sofort in „klassischer Stabsarbeit“ geführt. Die Feuerwehr der Landeshauptstadt unterstütze bei der Einrichtung der notwendigen Strukturen im Klinikum.

Was wird konkret im Klinikum getan?

Das Bergmann-Klinikum wird jetzt ein dreigeteiltes Krankenhaus. Dies sei ein hochkomplexer Prozess, erklärte am Montag auf der Pressekonferenz Kienbaum-Vertreter Hilmar Schmidt. Kienbaum werde sieben Experten dafür im Einsatz haben. Man müsse aus dem Klinikum drei Kliniken machen, dafür gebe es keine Blaupause, so Schmidt. Weder Wege des Personals noch der Patienten dürften sich kreuzen, viele Mitarbeiter müssten getestet werden. Man müsse sehen, welche Räume man zunächst Corona-sauber bekommen könne, sagte Amtsärztin Kristina Böhm ebenfalls am Montag auf der Pressekonferenz.

Es seien auch drei Dienstpläne für das Personal nötig. Personal dürfe nur im immer gleichen Bereich eingesetzt werden – also im weißen, grauen oder schwarzen Bereich. Komplex sei vor allem, den Kern-Untersuchungsbereich der Computertomographie und des PCR-Tests zur Abklärung von Infektionskrankheiten für den Corona-Bereich zur Verfügung zu stellen. Dieser werde derzeit von allen Stationen des Klinikums genutzt. Offenbar sollen neue Geräte gekauft werden.

Für besonders sensible Bereiche wie Hämatologie, Onkologie und die Frauen- und Kinderklinik werde es neue, noch strengere Regeln unter anderem für regelmäßige Corona Tests alle drei Tage geben. Klinikumweit soll jeder Mitarbeiter und jeder Patient mindestens einmal pro Woche getestet werden.

Dafür hat das Klinikum nach eigenen Angaben mittlerweile die Kapazität von 470 Tests pro Tag – so es keine Lieferengpässe bei Abstrichröhrchen und den Test-Kits gebe. Das Klinikum hat im Normalbetrieb 1100 Betten und rund 2300 Mitarbeiter. Jetzt werden nach Angaben von Gerald Ripberger, dem Leiter des Bergmann-Krisenstabs, noch 211 Patienten stationär behandelt; 83 davon sind Covid-19-Erkrankte. Um sie kümmern sich laut Ripberger 60 bis 70 Pflegekräfte und Ärzte. Von ihnen seien derzeit „einige wenige“ positiv auf das Coronavirus getestet.

Was genau hat der RKI-Bericht für das Klinikum empfohlen?

Er hat empfohlen, eine Umwandlung des Klinikums in ein reines Corona-Krankenhaus zu überlegen. Denn dem RKI-Bericht zufolge ist der Ausbruch im Klinikum nach wie vor nicht unter Kontrolle - und auch in absehbarer Zeit nicht leicht unter Kontrolle zu bringen. Zwar habe das Klinikum angegeben, es gäbe sogenannte „weiße“ coronafreie Bereiche, die sicher seien, „aber die Wahrscheinlichkeit, dass Covid-19-Patientinnen und Patienten dort liegen, erscheint angesichts der großen Anzahl an Covid-19-Patientinnen und Patienten im Klinikum als relativ groß“. Im Bericht heißt es weiter: „Es sollte überlegt werden, das EvB als zentrale Klinik für Covid-19-Patientinnen und Patienten einzurichten.“

Warum wird dieser Empfehlung nicht gefolgt?

Das Gesundheitsministerium des Landes und die Stadt Potsdam haben am Gründonnerstag in einer gemeinsamen Beratung entschieden, das Bergmann-Klinikum nicht zum Corona-Krankenhaus zu machen. Es sei als Schwerpunktversorger für rund eine halbe Million Menschen dafür nicht geeignet. Man werde „erst einmal den Versuch machen, das Haus dreigeteilt zu führen“, sagte Oberbürgermeister Schubert am Montag.

Nach Angaben des Ministeriums haben am Gründonnerstag der Oberbürgermeister, Gesundheitsdezernentin Brigitte Meier (beide SPD) und Amtsärztin Böhm über zwei Stunden lang im Ministerium ihr umfangreiches Konzept zur Umsetzung der RKI-Empfehlungen vorgestellt.

Das Gesundheitsministerium lobte am Montag auf PNN-Anfrage explizit die Arbeit in Potsdam. „Wir sehen die Bereitschaft der Stadt Potsdam, seiner Gesundheitsbehörde und des EvB, die RKI-Empfehlungen schnell und konsequent umzusetzen“, teilte Ministeriumssprecher Gabriel Hesse mit.

Das Gesundheitsministerium stehe dazu weiter im intensiven Austausch mit der Stadt und dem Gesundheitsamt. „Es ging und geht uns in dieser akuten Situation nicht darum, ,Schuldige‘ zu finden“, so Sprecher Hesse. „Alle Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte des EvB, aber auch das Potsdamer Gesundheitsamt arbeiten gut und gewissenhaft.“

Dennoch sei die Einschaltung des RKI auf Empfehlung des Gesundheitsministeriums und die Begehung „gut und richtig“ gewesen, wie der RKI-Bericht zeige.

Wie weit sind die RKI-Empfehlungen schon umgesetzt?

Viele Empfehlungen sind mit Hochdruck angegangen worden. Der Krisenstab des Klinikums wurde neu aufgestellt und um einen externen Experten für Ausbruchsmanagement erweitert, wie vom RKI gefordert, sagte Oberbürgermeister Schubert am Montag. Die Experten von Kienbaum allerdings werden mit ihrer Arbeit jetzt erst beginnen.

Die Stadt hat Hilfe bei der Bundeswehr angefordert. Wozu wird diese gebraucht?

Nach Angaben von Oberbürgermeister Schubert geht es vor allem darum, das Gesundheitsamt bei der Nachverfolgung von Kontaktpersonen von Infizierten sowie den Krisenstab zu unterstützen. Ob und wann Bundeswehrpersonal zum Einsatz kommt, ist jedoch noch nicht klar. Die Stadt prüft laut Schubert auch, Mitarbeiter von kommunalen Unternehmen für die Arbeit im Gesundheitsamt einzusetzen. Zudem habe man bereits Ende vergangener Woche 30 Mitarbeiter der Verwaltung in das Gesundheitsamt versetzt.

Warum ist die Arbeit dort so aufwändig?

Das liegt daran, dass die Kontaktpersonen ersten Grades von allen Infizierten kontaktiert und in häusliche Isolation geschickt werden müssen. Zudem betreut das Gesundheitsamt alle Infizierten und erkundigt sich bei jedem täglich telefonisch nach dem Gesundheitszustand. In Potsdam gibt es derzeit bereits 860 Kontaktpersonen sowie 454 Corona-Infizierte. Die meisten von ihnen sind in häuslicher Quarantäne.

Mit den Handlungsempfehlungen aus dem RKI-Bericht ist auf das Gesundheitsamt zudem eine weitere große Aufgabe zugekommen. So muss geprüft werden, wie viele Personen das Klinikum seit dem 12. März – also etwa seit dem Beginn des Coronaausbruchs – entlassen hat und wie viele von ihnen in Alten- und Pflegeheime verlegt wurden.

Laut Amtsärztin Böhm habe das Klinikum in diesem Zeitraum 2261 Menschen entlassen, 80 von ihnen waren Patienten der besonders vom Coronaausbruch betroffenen Geriatrie, wiederum 25 seien in Gemeinschaftseinrichtungen für Senioren entlassen worden. Dazu kämen 368 Patienten, die in 177 Pflegeeinrichtungen und Wohnresidenzen entlassen worden seien. Von diesen habe man bislang 165 Einrichtungen abtelefoniert, nicht alle lägen in Potsdam.

Das RKI verlangt in seinem Bericht, dass alle Alten- und Pflegeheime, in die seit dem 13. März aus dem Bergmann-Klinikum Patienten verlegt wurden, „umgehend darüber informiert werden“, dass diese Patienten „ein erhöhtes Risiko haben Sars-CoV-2-positiv zu sein“. Die Ex-Bergmann-Patienten müssten getestet werden, „auch wenn sie keine Symptome haben“. Bislang gibt es laut der Amtsärztin einen positiven Befund.

Seit Dienstag, dem 7. April, gibt es einen Ausbruch in einem Potsdamer Pflegeheim, zuletzt waren 38 von 80 Bewohnern infiziert. Der Übertragungsweg ist unklar, das Heim wird von einer EvB-Tochter gemeinsam mit der Hoffbauer-Stiftung betrieben.

Sind weitere Standorte des Klinikkonzerns „Ernst von Bergmann“ betroffen?

Ja. Das RKI fordert im Bericht, die „Ausbruchuntersuchung“ auf die anderen Standorte des Bergmann-Konzerns auszuweiten. Konkret werden neben der Psychiatrieklinik In der Aue in Potsdam-Babelsberg die Klinik in Bad Belzig sowie die Lausitzklinik in Forst genannt. In Bad Belzig sind Stand Montag vier Patienten positiv auf das Coronavirus getestet worden. Das bestätigte Kreissprecherin Andrea Metzler den PNN am Montag. Es handele sich dabei um Patienten, die aus der Potsdamer Klinik in die Kreisstadt verlegt worden sind. Ein erster Abstrichtest in Potsdam sei vor der Verlegung bei den Patienten noch negativ ausgefallen. Ein zweiter Test habe dann positiv reagiert. Auch zwei Schwestern seien positiv getestet worden. Einer der Patienten werde noch immer in Bad Belzig behandelt, die anderen seien ins Klinikum nach Brandenburg/Havel und in die Berliner Charité verlegt worden.

Das Klinikum "Ernst von Bergmann". 
Das Klinikum "Ernst von Bergmann". 

© Fabian Sommer/dpa

Welche Fehler hat es im Umgang mit dem Corona-Ausbruch im Klinikum gegeben?

Genau kann dies derzeit niemand sagen. Es gibt jedoch viele Indizien dafür, dass Verantwortliche im Klinikum zeitweise die Kontrolle über das Geschehen verloren haben könnten. Zudem deutet vieles auf Missstände bei Hygiene und Organisation hin, möglicherweise ist das gefährliche Virus auch unterschätzt worden. Wie berichtet hatte der Oberbürgermeister am 6. und 7. April Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen drei Ärzte sowie die zweiköpfige Geschäftsführung des Bergmann-Klinikums, besetzt mit Steffen Grebner und Dorothea Fischer, eingeleitet und diese an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Diese soll nun prüfen, ob mögliche Ordnungswidrigkeiten strafrechtliche Relevanz haben.

Was hat der RKI-Bericht zur Organisation des Klinikums festgestellt?

Im RKI-Bericht heißt es: „Durch die nach Bekanntwerden des nosokomialen Ausbruchsgeschehens erfolgten, mehrfachen Umzüge ganzer Stationen und Bereiche mit zahlreichen zu diesem Zeitpunkt bekannten und noch nicht bekannten Covid-19-Patientinnen und Patienten, kann es zu weiteren Übertragungen gekommen sein.“ Nosokomial heißt, es handelt sich um Krankenhaus-Infektionen.

Mit anderen Worten: Während draußen bereits Kontaktsperren galten, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, wurden im Klinikum Patienten einzeln, aber auch mit ganzen Bereichen und sogar Stationen hin- und her verlegt. Bestätigt waren laut RKI-Befund am 27. März neben der Geriatrie auch Infektionen unter anderem in der Urologie, der Nephrologie und der Allgemeinchirugie.

Laut RKI-Bericht, datiert am 6. April, hat noch niemand einen genauen Überblick, wohin wann welche Patienten bewegt worden sind – infizierte und nicht-infizierte. Das RKI mahnt daher im Bericht, das Klinikum müsse eine „Linelist und Zeitschiene“ führen, „da sonst kein Überblick über das Geschehen gewonnen werden kann“. Dazu gehörten „unter anderem die Angaben zu Zeit, Ort und Person (Personal und Patientinnen und Patienten), Aufnahmedatum, Station, Datum Verlegung auf andere Station, Kontaktpersonenstatus (…)“ sowie bei Infizierten Erkenntnisse zur Herkunft der Sars-CoV-2-Infektion und Dokumentation der Behandlung. Außerdem müsse es eine „strukturierte Testung und nachvollziehbare Dokumentation sowie Zusammenführung der Laborbefunde für das Personal“ geben, so der Bericht.

Das RKI mahnt auch an, dass das Klinikum positive Corona-Tests „unverzüglich und vollständig“ an das Gesundheitsamt melden muss – dies ist nach Infektionsschutzgesetz binnen einer 24-Stunden-Frist vorgeschrieben. Wer dies nicht tut, begeht eine Ordnungswidrigkeit.

Wie kann es sein, dass das Klinikum solche Vorgaben bislang nicht erfüllte?

Das ist eine große offene Frage. Nach Angaben der Potsdamer Amtsärztin Kristina Böhm seien die Meldungen des Klinikums über Corona-Infektionen über 14 Tage unvollständig gewesen. Nach Angaben von Böhm hätte man ohne diese Meldeverstöße ein größeres Zeitfenster gehabt, den Ausbruch zu erkennen und zu bekämpfen. Noch spricht es kein Verantwortlicher offen aus, aber das hätte vielleicht Leben retten können.

Ungeklärt ist, warum das Rathaus die Meldeverstöße nicht härter verfolgte. Am Montag bei der Pressekonferenz räumte Amtsärztin Böhm ein, dass es bereits 2019 bei anderen, kleineren Infektionsgeschehen Meldeverstöße seitens des Potsdamer Klinikums gegeben habe. „Es war nicht immer eine korrekte Meldung“, so Böhm. Auf Nachfrage seien die nötigen Daten aber geliefert worden. Ordnungswidrigkeitsverfahren seien bislang nicht eingeleitet worden.

Auch warum die sogenannte „Linelist“, die das Infektionsgeschehen und die Bewegungen und Behandlungen der Patienten dokumentiert, nicht eingeführt worden ist, bleibt offen. Böhm sagte, sie sei bereits 2019 durch das Gesundheitsamt bei anderen Infektionen gefordert worden. Das Klinikum habe sie dann damals erstellt, daher seien keine weiteren Maßnahmen ergriffen worden.

Warum wurden die drastischen Ergebnisse des RKI-Berichts der Bevölkerung verschwiegen?

Die Stadt behauptet, dass dies darin begründet sei, dass der Bericht zum Zeitpunkt der Pressekonferenz „noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben“ und auf der Pressekonferenz am 7. April daher auch keine inhaltliche Vorstellung des Berichts erfolgt sei.

Der Oberbürgermeister und die Amtsärztin hätten nur die Handlungsanweisungen an das Klinikum vorgestellt, die die Stadt als Resultat des RKI-Berichts ergriffen habe. Mehr sei nicht möglich gewesen, denn: „Eine Veröffentlichung oder Vorstellung des Berichtes durch den Oberbürgermeister wäre ohne schriftliche Freigabe Dritter, hier des Verfassers RKI und/oder des Empfängers Land Brandenburg durch die Landeshauptstadt Potsdam nicht statthaft gewesen.“

Auch die Fraktionsvorsitzenden der Stadtverordnentenversammlung dürften den Bericht daher bisher lediglich einsehen und dem Aufsichtsrat des Klinikums sei er nur in einer Telefonkonferenz erläutert worden.

Warum der Bericht von öffentlichen Stellen überhaupt freigegeben muss, warum dies nicht unverzüglich geschah und ob dies mittlerweile erfolgte, bleibt jedoch unklar. Auch das Gesundheitsministerium wollte sich auf PNN-Anfrage nicht dazu äußern, ob und wenn ja warum es den RKI-Bericht nicht freigegeben hat. Dass die drastischen Aussagen des RKI-Berichts ohne die Publikation in den PNN durch Stadtspitze oder Ministerium öffentlich gemacht worden wären, darf zumindest bezweifelt werden.

Wie hat die Stadtpolitik auf den RKI-Bericht reagiert?

Nach der Veröffentlichung der PNN zu den Inhalten des RKI-Berichts ist der politische Druck auf Oberbürgermeister Schubert gewachsen. Um die Krise am Bergmann-Klinikum zu diskutieren, wird sich am Samstag der Hauptausschuss der Stadtverordneten zu einer Sondersitzung treffen. Das ist das Ergebnis einer Telefonkonferenz der Fraktionschefs am Montag. Die Sitzung war eine Initiative von CDU und Grünen. Dabei soll es unter anderem um die Rolle des Oberbürgermeisters gehen.

„Ich bin mehr als irritiert über die Informationspolitik des Oberbürgermeisters. Es scheint der Wille oder das Können zu fehlen“, schrieb CDU-Fraktionschef Götz Friederich im Kurznachrichtendienst Twitter. Und weiter: „Es geht hier um Leib und Leben, es ist hier keine ,Spielwiese‘ für persönliche Profilierungen. Wir brauchen hier fraktionsübergreifende Entscheidungen.“

Co-CDU-Fraktionschefin Anna Lüdcke, die auch Aufsichtsratsmitglied des Klinikums ist, twitterte: „Es macht mich fassungslos, dass ich nach der von mir geforderten Aufsichtsratssitzung wieder die relevanten Informationen aus der Zeitung erfahre. Dies ist nicht tolerierbar, dies werde ich deutlich kommunizieren.“ Der Aufsichtsrat war am 9. April unterrichtet worden – allerdings offenbar ebenso in begrenztem Rahmen.  

Linke-Fraktionschef Stefan Wollenberg sagte, das Klinikum benötige „im Moment alle Unterstützung, die die Stadt und weitere Akteure geben können“. Alle erforderlichen „materiellen und personellen Ressourcen“ für die Umsetzung der RKI-Empfehlungen müssten bereitgestellt werden. Für ihn stehe „außer Frage, dass wir alles dafür tun müssen, um den ,weißen‘ Betrieb wichtiger medizinischer Angebote zu sichern“. In Vorbereitung der Corona-Ausnahmesituation seien Fehler und Versäumnisse aufgetreten. „Diese müssen gründlich aufgearbeitet werden – nach der Krise“, so Wollenberg. „Es hilft niemandem, am allerwenigsten den Patienten und dem Personal, diese Diskussionen hier und jetzt zu führen.“

FDP-Fraktionschef Björn Teuteberg sagte, die Kommunikationspolitik des Oberbürgermeisters und das Geschehen im Klinikum „werfen weiterhin zahlreichen Fragen auf“. In der jetzigen Situation hätten „die Potsdamer Bürger Anspruch auf größtmögliche Transparenz“.

Personelle Konsequenzen will Oberbürgermeister Schubert offenbar nicht ziehen. Er sehe keinen Interessenkonflikt in der Besetzung der Leitung des Verwaltungs-Krisenstabs mit der Gesundheitsbeigeordneten Meier, die gleichzeitig Aufsichtsratschefin des Klinikums sowie als Beigeordnete auch Vorgesetzte der Amtsärztin Böhm ist, sagte Schubert am Montag. Es gehe darum, dass Fachleute da seien, die die Krisenlage bearbeiten könnten, so Schubert. Dies sei Meier, eine ähnliche Konstellation gebe es auch in anderen Städten.  In der Stadtpolitik soll es angeblich Bestrebungen geben, Meier an der Spitze des Aufsichtsrats abzulösen. Nachrücker wäre Potsdam-Mittelmark-Landrat Wolfgang Blasig (SPD).

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