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Landeshauptstadt: Die Hamptons von Berlin

Einst zum DDR-Sperrgebiet erklärt, wurde Sacrow erst vor einigen Jahren wiederentdeckt. Vor allem von reichen Hauptstädtern

Von Katharina Wiechers

Potsdam wächst rasant, überall in der Stadt schießen neue Wohnviertel empor. Doch wie lebt es sich dort eigentlich? Die PNN besuchen die Quartiere und stellen sie in der Serie „Das neue Potsdam“ vor – heute zum letzten Mal.

Diesmal: Die „Kramptons“ (Folge 29)

Luftlinie sind es nur knapp fünf Kilometer von hier bis ins Holländische Viertel. Doch wer kein Boot zur Hand hat und über Land in diesen Ort am Wasser reist, ist fast eine halbe Stunde mit dem Auto unterwegs – die Fahrtzeit aus der Potsdamer und der Spandauer Innenstadt ist ungefähr die gleiche. Der Ort Sacrow gehört zu Potsdam, ist nicht weit von Berlin – und ist doch eine Welt für sich, umgeben von Buchenwald und Wasser.

Gerade diese Abgeschiedenheit hat schon vor 100 Jahren die Schönen und Reichen aus Potsdam und Berlin nach Sacrow gelockt, die sich am idyllischen Havelufer eine Villa errichteten – als Wohnsitz oder Wochenendhäuschen. Nach der Wende wurde die Gegend wiederentdeckt, vor allem von wohlhabenden Berlinern, wie es scheint. Mittlerweile sind zwischen den herrschaftlichen Villen aus den 1920er- oder 1930er-Jahren mehrere Neubauten entstanden, teils äußerlich an die historischen Nachbarn angepasst, teils mit modernem Antlitz. Das Magazin der Wochenzeitung „Die Zeit“ betitelte den Ort vor einigen Monaten sogar als „Kramptons“ – wegen seiner Lage zu Berlin, die mit jener der berühmten „Hamptons“ zu New York City vergleichbar sei. Zwar ist der Name etwas irreführend – liegt doch Krampnitz um einiges weiter westlich und hat im Gegensatz zu Sacrow rein gar nichts Glamouröses an sich. Passend ist sie trotzdem irgendwie, die Analogie zum Ost-Ende der Insel Long Island als Wochenend- und Sommer-Domizil der New Yorker Oberklasse.

Begehrt ist vor allem das Havelufer, die Häuser haben hier einen großzügigen Garten mit spektakulärem Blick auf die Pfaueninsel. Der Künstler Max Raabe soll zu den Sacrowern gehören, er wohne in einem geschmackvollen Neubau, wird Besuchern erzählt – einer Art Mischung aus Bauhaus, Jugendstil und mediterraner Villa. An der Kladower Straße befindet sich eine vielen zumindest visuell bekannte Backstein-Villa aus dem Jahr 1929, ein zur Straße hin auffällig schlichter Bau, entworfen vom jüdischen Architekten Leo Nachtlicht. Bis vor Kurzem wurde hier noch die ARD-Serie „Weissensee“ gedreht, die im Ost-Berlin der 1980er-Jahre spielt.

Etwas weiter Richtung Berlin ragt eine kleine Halbinsel in die Havel: das Hämphorn. Eine Handvoll Häuser steht hier, fast alle gibt es schon sehr lange. Zu jedem etwas erzählen kann Eberhard Naundorf, ein älterer Herr aus dem Westen Berlins, elegant gekleidet mit dunklem Mantel und Hut. Der Unternehmer ist Besitzer eines Wochenendhäuschens und gerade in den großen Garten mit Wasserblick gekommen, um Sträucher zu schneiden. „Ich war der erste Wessi hier nach der Wende“, erinnert er sich. Kurz nach dem Ende der DDR habe hier erst mal niemand etwas kaufen wollen, schließlich war Sacrow Grenzgebiet und voller Mauern und Zäune (siehe Kasten).

Das hat sich mittlerweile geändert, von der Mauer ist bis auf die kleine Hinweistafel „Mauerweg“ und eine Stele zum Maueropfer Lothar Hennig nichts mehr übrig, es erinnert in Sacrow nichts mehr an dieses Kapitel der Geschichte. Die alten Villen auf dem Hämphorn haben alle neue Besitzer gefunden, die die Häuser herrichteten und ausbauten. Neben Naundorfs Ferienhaus hat vor wenigen Jahren ein hoher Manager Haus und Grund erstanden und die alte Villa erweitert, noch sind die Arbeiten nicht komplett abgeschlossen. Weiter Richtung Inselspitze steht der einzige echte Neubau auf dem Hämphorn, in dem schicken Holzbau soll ein Fernsehregisseur wohnen, heißt es. Nebenan betreibt das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk ein Kinderheim, die Nachfahren des NS-Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi haben es dem Träger einst vermacht. Der Backsteinbau ganz vorne am Wasser steht hingegen leer, seit Jahren schon. In den 1920er-Jahren habe dort die österreichische Schauspielerin Jenny Jugo gelebt, erzählt Naundorf. Sie war mit Reichspropagandaminister Joseph Goebbels befreundet, der Legende nach soll er des Öfteren mit dem Boot von Schwanenwerder herüber zu Jenny Jugo gekommen sein.

Noch weitere prominente Bewohner haben Sacrow für sich entdeckt. So lebte bis 2003 die Schauspielerin Ingrid von Bothmer hier, auch der 2014 verstorbene Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Frank Schirrmacher hatte hier ein Haus. Ebenso hat sich der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber in Sacrow niedergelassen, schräg gegenüber von einem Haus, das den Weizsäcker-Nachfahren als Wochenenddomizil dienen soll. Die einzige Baustelle Sacrows ist auf dem ehemaligen Sportplatz zu besichtigen, ein riesiger Neubau entsteht gerade. Ein Nachbar glaubt, das sei die letzte Baulücke gewesen, weiteren Zuwachs dürfte es hier für die „Kramptons“ also vorerst nicht geben.

Berühmtes Wahrzeichen des Ortsteils ist ja übrigens die malerische Heilandskirche im Schlosspark am Havelufer. Von hier hat man einen guten Blick auf die Glienicker Brücke, auch die Kuppel der Nikolaikirche ist zu sehen. Gar nicht so weit weg scheint Potsdam hier vorne. Nur ein Boot bräuchte man eben.

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