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Landeshauptstadt: Die große Schweinerei

In Klein Glienicke fürchten sich Mensch und Tier vor Wildschweinen, denn die kennen kaum noch Scheu

Von Katharina Wiechers

Klein Glienicke - „Hier, das muss von heute Nacht sein“, sagt Clemens von Saldern und deutet auf eine frisch umgegrabene Stelle im Rasen etwa 20 Meter von seinem Wohnhaus entfernt. Der Unternehmer wohnt in Klein Glienicke und geht jeden Tag mit seinem Hund an dieser Stelle vorbei – deshalb erkennt er die Veränderungen gleich. Und von Saldern weiß auch, wer hier in der Erde gewühlt hat: ein Wildschwein. Fast jede Nacht kommen die Tiere mittlerweile in das Potsdamer Viertel an der Grenze zu Berlin und versetzen die Anwohner in Angst und Schrecken. „Viele lassen ihre Kinder nicht mehr draußen spielen“, sagt von Saldern. Und vor einigen Wochen sei ein Hund von einer Sau sogar getötet worden.

Der Fox Terrier gehörte einem Bewohner der Wilhelm-Leuschner-Straße und wurde von den scharfen Eckzähnen des Wildschweins regelrecht aufgeschlitzt, wie von Saldern erzählt. Der Unternehmer, der selbst einen Jagdschein hat, aber schon lange nicht mehr auf der Pirsch war, fordert deshalb mehr Einsatz vom zuständigen Berliner Forstamt Grunewald. Dieses müsse dafür sorgen, dass mehr Wildschweine gejagt würden, sagt er. Seiner Meinung nach geschieht viel zu wenig, um die Tiere aus dem Wohngebiet fernzuhalten.

Von Saldern fürchtet, dass es wieder so wie vor vier Jahren werden könnte. Damals habe es eine regelrechte Wildschwein-Plage in Klein Glienicke gegeben, in großen Rotten hätten die Tiere manchmal mitten auf der Straße gestanden. „Einmal hat mich meine Frau angerufen, als sie mit dem Auto vor unserer Einfahrt stand und sich nicht auszusteigen traute, weil eine ganze Rotte Wildschweine direkt vor unserem Haus stand“, sagt er. Auch im Schlosspark richteten die Tiere ihr Unwesen an, seitdem soll ein Zaun die unliebsamen Gäste abhalten. Ganz auf den Park als Nahrungsquelle verzichten müssen die Wildschweine aber trotzdem nicht: Da sie gute Schwimmer sind, kommen sie auch über das Wasser auf das Gelände. Von dieser Fähigkeit konnte sich damals auch von Saldern überzeugen: Vor seinen Augen war ein Schwein auf der Flucht durch seinen Garten gerast und in hohem Bogen in die Glienicker Lake gesprungen.

Und auch dieses Jahr gab es bereits einen Vorfall: Seine 17-jährige Tochter hatte einen einsamen Frischling nahe der Straße gefunden und ihn um Rat gefragt, was sie damit tun solle, sagt von Saldern. „Ich habe ihr gesagt, sie soll das Schweinchen unter der Glienicker Brücke, wo viele der Wildschweine leben, absetzen. Und dann zusehen, dass sie wegkommt.“ Schließlich seien die Sauen auch für Menschen gefährlich, wenn es um den Nachwuchs gehe (siehe Kasten).

Aus Vorfällen wie diesem und den vielen Wildschweinspuren schließt Saldern, dass wieder große Rotten unterwegs sind. Tatsächlich muss man von der Siedlung nur wenige Meter den Berliner Böttcherberg hinaufgehen, um ganze Felder von frisch umgegrabener Erde zu sehen. „Die Schweine werden immer zutraulicher“, sagt der Unternehmer. „Sie verlieren ihre Scheu vor den Menschen.“

Dass es zurzeit viele Wildschweine im Südwesten Berlins und damit auch im Nordosten Potsdams gibt, hat auch Derk Ehlert festgestellt. Er war bis vor Kurzem der Wildtierbeauftragte des Landes Berlin und sitzt nun in der Pressestelle der Senatsumweltverwaltung. Dass die Population gestiegen ist, hat ihm zufolge mehrere Gründe: Zum einen wurden schon zahlreiche Felder abgeerntet, sodass den Schweinen Deckung und Nahrungsquelle gleichermaßen abhanden gekommen sind und sie sich nach Alternativen umsehen. Dafür bieten sich zum Beispiel Rasenflächen an, die sie nach Würmern und Engerlingen durchwühlen. Gerade das feuchte Wetter der vergangenen Wochen hat laut Ehlert dafür gesorgt, dass der Boden viel zu bieten hat für die Spürnasen. Hinzu kommt, dass der vergangene Winter sehr mild war und die Population dadurch kaum dezimiert wurde. „Die Frischlinge sind alle durchgekommen“, sagt Ehlert. Und auch Experten wie er beobachten, dass die Tiere immer häufiger in Stadtgebiete eindringen, weil sie dort Nahrung finden. „Schweine lernen dazu“, sagt Ehlert.

Dass allerdings am Böttcherberg zu wenig geschossen wird, bestreitet er. Erst vor gut einer Woche sei dort ein Wildschwein erlegt worden. „Das Gebiet wird permanent und ganzjährig bejagt“, sagt er. Und das, obwohl es sich rein theoretisch um einen Park handelt – nämlich den Volkspark Klein Glienicke – und dort das Schießen nicht erlaubt sei. Nur weil es kaum Gefahr von Querschlägern gebe, sei dem dort zuständigen Stadtjäger eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden, so Ehlert.

Dass die Klein Glienicker Anwohner von der Jagd nichts mitbekommen, sei so gewollt, sagt der Wildtierexperte Ehlert. Schon zum Schutz der Menschen sei der Jäger nur dann unterwegs, wenn niemand im Wald unterwegs ist – also meistens nachts, genau wie die Wildschweine.

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