zum Hauptinhalt
Gäste aus Coventry. Paul Oestreicher (l.), der ehemalige Domkapitular und Leiter des Versöhnungszentrum in Coventry, und der amtierende Dekan John Whitcombe (r.) diskutierten am Wochenende über den geplanten Wiederaufbau der Garnisonkirche.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Die Brüche sichtbar machen

Nagelkreuz-Aktivist Paul Oestreicher und Coventry-Dekan John Whitcombe gegen originalgetreuen Wiederaufbau der Garnisonkirche. Kapelle umbenannt

Die Erwartungen aus Coventry, dem Zentrum der weltweiten Nagelkreuzbewegung, an das Potsdamer Garnisonkirchenprojekt sind deutlich: Die Kirche dürfe nicht bloß aus städtebaulichen Gesichtspunkten gebaut werden. Entscheidend sei der Fokus auf der Versöhnungs- und der Friedensarbeit – und die Zusammenarbeit mit Partnern auch außerhalb der Kirche. Das sagten Paul Oestreicher, der Chef des Versöhnungszentrums im englischen Coventry, und John Whitcombe, der Dekan der Kathedrale von Coventry, am Samstagabend bei einer Podiumsdiskussion, zu der rund 50 Gäste in der Garnisonkirchenkapelle kamen. Am Sonntagabend wurde die Kapelle mit einem Gottesdienst in „Nagelkreuzkapelle“ umbenannt.

Der Status als Kulturdenkmal allein rechtfertige einen Wiederaufbau der im Krieg beschädigten und 1968 abgerissenen Kirche nicht, betonte Oestreicher, der mit seiner Familie 1938 aus Nazi-Deutschland flüchtete – und der das Garnisonkirchenprojekt vor genau zehn Jahren mit der Übergabe des Nagelkreuzes symbolisch in die sogenannte Nagelkreuzbewegung aufnahm. Diese engagiert sich weltweit für Versöhnungsarbeit.

Auch gegen die von der Garnisonkirchenstiftung angestrebte originalgetreue Kopie der alten Garnisonkirche sprachen sich die Gäste aus Coventry aus. Die Brüche der Geschichte, aber auch die inhaltliche Ausrichtung müssten an dem neuen Bau „von innen und außen“ sichtbar werden, forderte Whitcombe. Nur so könne man den Blick sowohl zurück als auch nach vorn richten: Um an die Schrecken der deutschen Geschichte und die Potsdamer Verstrickungen zu erinnern, und andererseits auf Zukunft ausgerichtete Friedensarbeit zu leisten. Oestreicher regte an, nur den Turm aufzubauen – ähnliches hatte bereits Landesdenkmalchef Thomas Drachenberg vorgeschlagen. Am Samstag sprach sich auch Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe, der im Kuratorium der Kirchenstiftung sitzt, im PNN-Gespräch für eine solche Lösung aus.

Auf Nachfrage von Vertretern der Bürgerinitiative „Potsdam ohne Garnisonkirche“ verteidigten die Gäste aus Coventry das Vorhaben generell. Trotz der gut 16 000 gesammelten Unterschriften und auch bei einem ablehnenden Votum der Potsdamer bei einem möglichen Bürgerentscheid befürworte er das Projekt, sagte Oestreicher und verwies auf die Kathedrale mit Versöhnungszentrum in Coventry, wo es erst auch Protest aus der Bürgerschaft gegeben habe. Simon Wohlfahrt von der Bürgerinitiative hielt dagegen: Ein teurer Prunkbau sei den Leuten nicht vermittelbar: „Wir haben andere Probleme.“

Oestreicher ermunterte die Kritiker, sich zu beteiligen: „Sorgt dafür, dass diejenigen, die die alte Kirche im alten Geist wiederhaben wollen, sich nicht durchsetzen.“ Potsdam könne ein Zeichen setzen „gegen die Remilitarisierung des Geistes“, so der 82-Jährige. Dass die Debatte um militärische Auslandseinsätze in Deutschland aufgrund der Geschichte vergleichsweise lebhaft geführt werde, sei wichtig. Diesen skeptischen Tönen müsse auch auf internationaler Ebene, etwa in der Nato und in den Vereinten Nationen, mehr Gehör verschafft werden. „Ihr könnt damit auch Menschen außerhalb Deutschlands einen großen Dienst leisten“, sagte Oestreicher. Grundsätzlich zustimmend äußerte sich auch Rolf Kutzmutz, der auch auf dem Podium saß. „Ich bin für das Konzept der Kirche, aber in einem anderen Gebäude, das hier an dieser Stelle entstehen sollte“, sagte der langjährige Linke-Stadtverordnete und frühere Bundestagsabgeordnete.

Am Sonntag schließlich wurde die vor drei Jahren eröffnete moderne Kapelle am historischen Standort der Garnisonkirche in Nagelkreuzkapelle umbenannt. „Das ist ein Zeichen für das Erzählen einer neuen Geschichte“, sagte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider, bei seiner Predigt vor rund 70 Besuchern. jaha/HK

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false