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Landeshauptstadt: „Deutschland sollte seine Chance nicht verpassen“

Die Deutschen können von beiden eine Veränderung des Tons erwarten. Auch der jetzige Präsident hat erfahren müssen, dass er Verbündete braucht und dass es keinen Sinn hat, diese vor den Kopf zu stoßen, wenn man sie um Hilfe bitten muss.

Die Deutschen können von beiden eine Veränderung des Tons erwarten. Auch der jetzige Präsident hat erfahren müssen, dass er Verbündete braucht und dass es keinen Sinn hat, diese vor den Kopf zu stoßen, wenn man sie um Hilfe bitten muss. Bush wäre in der zweiten Amtsperiode ein anderer Präsident als in der ersten? Richtig. „Bush zwei“ wird ein Präsident sein, der die Grenzen der amerikanischen Macht erfahren hat und sich auf die Realitäten einstellt. „Bush eins“ glaubte, mit der amerikanischen Macht diese Realitäten von Grund auf verändern zu können. Wäre John Kerry für die rot-grüne Außenpolitik einfacher zu handhaben? Nur was die persönlichen Beziehungen angeht. Die Regierung Bush hat ein langes Gedächtnis, die persönlichen Verbitterungen sind nicht ganz überwunden. Ein herzliches Verhältnis wird da nicht wieder entstehen. Dagegen wäre dies mit einem Präsidenten Kerry möglich. Allerdings würde Kerry mit sehr viel größerer Unbefangenheit die Verbündeten zur Unterstützung bei der Lösung der Probleme einfordern, die er von Bush geerbt hat – im Irak und anderswo. Kerry wird das wiederholen, was er im Wahlkampf sagt: Wir haben im Irak ein gemeinsames Problem, das müssen wir gemeinsam anpacken. Das heißt praktisch? Er wird mehr Forderungen an die Verbündeten und auch an die Deutschen stellen: „Wenn Ihr Multilateralismus wollt, und Ihr Deutschen habt das immer verlangt, bin ich dazu bereit. Aber Ihr müsst dafür auch eigene Beiträge einbringen.“ Die Bundesregierung schließt einen Einsatz deutscher Soldaten im Irak aus. Wird dieses Tabu getestet, wenn Kerry gewinnt? Es wird vor allem durch die Entwicklung im Irak getestet. Die weitere Stabilisierung hängt entscheidend davon ab, ob es zu den Wahlen kommt, die für den Januar geplant sind. Dafür müssen die Vereinten Nationen die Voraussetzungen schaffen. Sollte die Gefahr sich verdichten, dass der Irakkonflikt die Region insgesamt destabilisiert, kann ein Deutschland, das einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat fordert, der Frage nicht ausweichen, was von ihm zu leisten ist. Eine aktivere deutsche Rolle, einschließlich der Entsendung deutscher Truppen, sollte nicht davon abhängen, ob ein US-Präsident sie einfordert, sondern ob sie nach unserer eigenen Einschätzung der Lage zum Schutz unserer Interessen notwendig wird. Das kann niemand ausschließen. Wie stark würde sich unter Kerry die US-Außenpolitik ändern? Für das von Bush ramponierte Ansehen Amerikas wäre er eine große Entlastung, einer, der durch die Einbeziehung anderer führen will, nicht durch barsche Befehle. Allerdings würde es auf vielen Politikfeldern bei der bisherigen Politik bleiben. Wenn Amerika sich gefährdet sieht, wird auch ein Präsident Kerry tun, was er im Interesse seines Landes für nötig hält und dabei wenig Rücksicht auf Verbündete nehmen. Bietet die Wahl eine Chance, das Verhältnis zu Amerika zu verbessern? Unabhängig davon, wer gewinnt: Die Wahl eröffnet den Europäern eine ungewöhnliche Chance – ungefähr zwischen Anfang November und Weihnachten. Hier sollten die Europäer in einer möglichst gemeinsamen Erklärung dem neuen Präsidenten ihre Unterstützung für ein enges atlantisches Verhältnis bekunden und zugleich die Einberufung einer hochrangigen Kommission über die Zukunft der Nato vorschlagen, ähnlich der, die Kofi Annan zur Zukunft der UN eingesetzt hat. Warum die Nato? Ganz einfach: sie stellt das einzige multilaterale Gremium der transatlantischen Beziehungen dar, in das die USA eingebunden sind. Die Bundesregierung war Washingtons härtester Gegenspieler – welche Rolle sollte Berlin bei diesem Vorschlag spielen? Gerade wegen ihrer Einstellung zum Irakkrieg ist die Bundesregierung in einer einzigartigen Position, um Europa zu einer Initiative für einen transatlantischen Neuanfang zu bewegen. Weder Tony Blair noch Silvio Berlusconi haben dafür die Glaubwürdigkeit. Deutschland dagegen, das sich im Irakkrieg Amerika nicht angebiedert hat, kann die anderen Europäer mitnehmen bei dem Bemühen, das Verhältnis zu Washington nach der Präsidentenwahl wieder auf eine festere Grundlage zu stellen. Es sollte diese Chance nicht verpassen. Christoph Bertram ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Das Gespräch führte Hans Monath.

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