zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Der unentdeckte Entdecker

Kaum jemand kennt heute noch Friedrich Sellow, den Potsdamer Pflanzenjäger, der Brasilien erforschte. Im Naturkundemuseum in Berlin wird heute ein Buch über ihn vorgestellt

Von Friedrich Sellow, der sich als einer der ersten Naturforscher Mitteleuropas Brasilien erkundete, gibt es ein einziges Bild. Lediglich eine mäßig begabte Federzeichnung seines gelegentlichen Begleiters, Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied, zeigt ihn auf einem Maultier an der Spitze einer kleinen Expedition am Paraibo-Fluss. Als jungen Zylinderträger, der scheinbar ohne Gefühlsregung auf einem für ihn etwas zu kleinen Pferd sitzt. Ansonsten liegt die private Person Sellow fast völlig im Dunkeln. Auch in seinen zahllosen Arbeitstagebüchern, die sich heute im Berliner Naturkundemuseum befinden, findet sich kaum ein Wort über ihn.

Sellow wurde 1789 in Potsdam geboren, als Spross einer Dynastie von preußischen Hofgärtnern. Sein Vater war Carl Julius Samuel Sello, Königlicher Hofgärtner im Marlygarten von Sanssouci. Auch der Junior wurde als Sello geboren, das W am Ende des Namens fügte er erst 1814 hinzu, als er zum ersten Mal den Boden Brasiliens betrat.

Doch zunächst trat Friedrich in die Fußstapfen des Vaters und wurde Gärtner. Das Handwerk erlernte er bei seinem Verwandten Wilhelm Sello, der Leiter der Baumschule des Königlichen Gartendirektors Johann Gottlob Schulze in Sanssouci war. Später konnte er sich, ideell und materiell unterstützt von Alexander von Humboldt, bei den bedeutendsten Botanikern seiner Zeit in England, Frankreich und den Niederlanden fortbilden.

1807 überfiel Napoleon Portugal, worauf der portugiesische König mitsamt Regierung in seine Kolonie Brasilien umzogen. Dadurch wurde in den kommenden Jahren der Weg für europäische Naturforscher frei, Brasilien zu erkunden.

Ab 1814 erforschte auch Sellow Brasilien. Seine Heimatstadt Potsdam sollte er nie wieder sehen – Sellow ertrank 1831 bei einer Flussfahrt auf dem Rio Doce, als sein Kanu gegen die Felsen des Cachoeira Escura (Dunkler Wasserfall) prallte.

Auf zahlreichen Expeditionen in Brasilien und Uruguay sammelte Sellow zuvor eine Unzahl von Exponaten, die ganze Schiffe nach Europa füllten: 12 000 Pflanzen bzw. Samen, 5000 Vögel, 110 000 Insekten und 2000 Mineralien und Gesteine sollen es insgesamt gewesen sein, die er an Botanische Gärten in England, Brasilien, Portugal und Deutschland schickte. Unter den Samenproben südamerikanischer Blütenpflanzen waren auch zwei neue Arten, die heute sehr beliebte Sommerpflanzen sind, die Begonie und die weiße Petunie. Kein Wunder also, dass sich Sellow selbst als Pflanzenjäger bezeichnete. Aber auch das fossile Riesengürteltier, das bis heute im Berliner Naturkundemuseum aufbewahrt wird, ist ein Fang von Sellow.

Der Botaniker selbst ist heute nahezu vergessen, weil er seine Funde nie selbst katalogisieren konnte. Deshalb ist dem Galiani-Verlag zu danken, die wichtigsten Forschungsleistungen und Entdeckungen Sellows, die vom Baumfarn über die zuvor unbekannte Pferdekopfheuschrecke bis zu Zeichnungen von Eingeborenenschädeln reichen, gemeinsam mit Auszügen aus den Tagebüchern des verschlossenen Naturforschers zu präsentieren.

Überdies strotzt das Buch vor Illustrationen, die teilweise von Sellow selbst stammen. Seine Abbildung des Inneren eines Hauses von Coroado-Indianern etwa zeigt deutlich, dass es ihm auch dabei vorrangig um Akribie und Vollständigkeit und nicht um künstlerischen Ausdruck ging. Andere, meisterliche Werke wie der Sumpfhirsch von Martin Lichtenstein oder Jean Gabriel Prètres Savannenbussard entstanden gleich in Museum anhand von Sellows in Brasilien gefangener und ausgestopfter Exemplare.

Auf jeden Fall sollte man dieses interessante und schmuckvolle Buch lieber nicht auf dem heimischen Kaffeetisch platzieren. Und besser auch keine Kaffeetassen danebenstellen.

Am heutigen Mittwoch findet um 19 Uhr die Premiere des Buches im Naturkundemuseum, Invalidenstraße 43, statt. Wolfgang Hörner, Chef des Galiani-Verlags, soll den Abend im Sauriersaal moderieren. Nach einer Lesung von Hanns Zischler wollen Autorin Sabine Hackethal und Herausgeber Carsten Eckert, der die Tagebücher Sellows für die Veröffentlichung aufbereitete, für Gespräche zur Verfügung stehen. Um den Anlass zu würdigen, sollen Vitrinen mit Tagebüchern, Portraitzeichnungen, ein kleines Gürteltier sowie präparierte kleine Vögel und Mineralien gezeigt werden.

Nur das Riesengürteltier bleibt in seinem eigenen Raum, lässt sich dort aber jederzeit bestaunen. (mit pee)

Buchpremiere am heutigen Mittwoch um 19 Uhr, Museum für Naturkunde, Invalidenstraße 43, Berlin-Mitte, Eintritt 3,50, ermäßigt zwei Euro, Anmeldung erbeten unter Tel.: (030) 20 93 85 50 oder besucherservice@mfn-berlin.de

Hanns Zischler,

Sabine Hackethal, Carsten Eckert (Hrsg.): Die Erkundung Brasiliens. Friedrich Sellows unvollendete Reise. Galiani Berlin, 256 Seiten,

39,99 Euro.

Knud Kohr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false