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Landeshauptstadt: Der rechte Blick

Künstlich aufgebauscht oder einfach ignoriert? Fahrland steht im Ruf, ein Problem mit der Gesinnung seiner Jugendlichen zu haben

Fahrland - Claus Wartenberg ist sauer. Das würde er wahrscheinlich nie zugeben, aber man sieht es dem Ortsbürgermeister von Fahrland deutlich an. Der drahtige Mann mit dem Oberlippenbart sitzt auf einem Barhocker im Jugendhaus „Treffpunkt Fahrland“, verschränkt die Arme, wendet sein Gesicht ab und schaut mit starrem Blick auf die Wand rechts neben sich. Immer wieder hat der 55-Jährige in der Vergangenheit seine Gemeinde gegen Vorwürfe und Anschuldigungen verteidigen müssen. Nazis würden die Gegend unsicher machen. Rechtsradikale Jugendliche würden in Fahrland eine Atmosphäre der Angst und Gewalt erzeugen. Die Einwohner könnten sich nicht mehr auf die Straßen wagen.

All das hat Claus Wartenberg in den zurückliegenden Monaten oft gehört. Zuletzt verteilten linke Jugendliche ein Flugblatt an 2000 Fahrländer Haushalte, in dem sie „rechte Pöbeleien“ und tätliche Angriffe beklagten und ihre Mitmenschen zu mehr Zivilcourage aufriefen. Darin heißt es: „Rechte suchen gezielt nach uns, um uns einzuschüchtern oder zu verprügeln Wir stehen alleine da und viele ignorieren die Probleme.“

Claus Wartenberg ist davon entnervt: „Das ist doch alles nichts neues, das kennen wir doch alles schon.“ Allmählich sei er es leid. Ja, sicher, da gab es diese Vorfälle, als zum Beispiel Jugendliche beim alljährlichen Osterfeuer im vergangenen April das Festzelt stürmten, eine Nebelhandgranate zündeten und unschöne Parolen skandierten, bis die Polizei mit mehreren Mannschaftswagen kam. „Traurig war das“, sagt Claus Wartenberg und murmelt die Worte mehr in sich hinein, als dass er sie laut ausspricht.

Dennoch seien Rassismus und rechtes Gedankengut in Fahrland „kein Massenphänomen“. Ganz im Gegenteil: Das Thema werde von den Medien künstlich aufgebauscht, sagt Wartenberg und erhält für diese Aussage zustimmendes Gegrummel von den Jungs und Mädchen, die sich an diesem Abend im „Treffpunkt Fahrland“ versammelt haben. Die Teenager fläzen sich auf den abgewetzten Sofas, die in einem der drei eher spärlich eingerichteten Aufenthaltsräume stehen. Hier, in dem gelb gestrichenen Haus an der Ketziner Straße, treffen sie sich regelmäßig, meist nach Schulschluss. Zum Billardspielen. Zum Reden. Zum Abhängen.

Dass sich die Kinder und Jugendlichen von Fahrland überhaupt an diesem Ort treffen können, haben sie unter anderem Thomas Liebe zu verdanken. Der Sozialarbeiter mit dem energischen Auftreten und dem kräftigen Händedruck hat sich vor 13 Jahren zusammen mit Claus Wartenberg dafür eingesetzt, dass das ehemalige Schulgebäude zum Treffpunkt ausgebaut wird. Eigens dafür gründeten Liebe und Wartenberg einen Verein, der die Aus- und Umbauarbeiten des leer stehenden Hauses organisierte. Die Räume wurden gestrichen, ein Geräteschuppen zum Fitnessraum ausgebaut, auf dem Hof ein Volleyballfeld errichtet. Viele Jugendliche des Ortes halfen bei den Arbeiten. Im Februar 1992 gab es nicht viel, womit sie sich in dem 3000-Seelen-Dorf die Zeit vertreiben konnten.

Damals, kurz nach der Wende, war Fahrland eine eigenständige Gemeinde. Das Leben zwischen den leer stehenden Armeekasernen am Ortseingang und den Neubaublöcken am anderen Ende des Dorfes war mitunter eintönig und dröge – so eintönig und dröge, dass einige der Heranwachsenden offenbar versucht waren, auf abwegige, auf rechte Gedanken zu kommen. „Es war für die meisten Menschen sehr schwierig, die Veränderungen nach der Wende zu meistern“, sagt Thomas Liebe. Arbeitslosigkeit, Geldsorgen, sozialer Abstieg. Diese Probleme hätten die Einwohner stark getroffen, sagt der Sozialarbeiter. Es klingt wie eine Rechtfertigung.

Tatsächlich ist es das auch. Denn um all diesen Sorgen zu begegnen, ihnen bestenfalls sogar entgegenzuwirken – zu diesem Zweck wollte Thomas Liebe den „Treffpunkt Fahrland“ etablieren. Hier sollten sich die Heranwachsenden des Ortes treffen können. Hier sollten sie „aufgefangen und eingebunden“ werden. Thomas Liebe sagt, er verfolge in dem Jugendclub einen besonderen sozialpädagogischen Ansatz. „Wir betreiben hier offene Jugendarbeit. Wir sind als Verein weder politisch noch religiös gebunden und legen großen Wert darauf, nicht vereinnahmt zu werden.“ Die Türen des Jugendclubs stünden jedem offen, egal ob rechts oder links. Ausdrücklich weist Thomas Liebe deshalb auch auf polnische, russische oder indische Migranten hin, die regelmäßig das Freizeitangebot des Hauses nutzen würden. Derzeit kämen etwa 40 Jugendliche in das Haus.

Es gibt aber auch einige, die den Jugendclub nicht als den Ort des Dialogs sehen, als den ihn Thomas Liebe gern beschreibt. So auch Tobias* und Sandra*. Sie gehören zu den Initiatoren der Flugblattaktion, und seit zwei ihrer Freundinnen im „Treffpunkt Fahrland“ von rechten Jugendlichen angepöbelt worden seien, machen sie einen großen Bogen um den Club. Statt dessen laden sie zum Gespräch lieber in ein Café in die Potsdamer Innenstadt.

„Das ist nicht meine Klientel dort und mir wurde vor Ort auch sehr deutlich gemacht, dass ich nicht erwünscht bin“, sagt Tobias, der mit seiner Familie in Fahrland wohnt. Abgesehen von regelmäßigen Beleidigungen sei er zwar persönlich noch nicht angegriffen worden, „das ist aber kein Grund, sich nicht zu engagieren“. Deshalb habe er mit mehreren Gleichaltrigen das Flugblatt entworfen, kopiert und verteilt.

Mit seinem Äußeren, den längeren dunkelblonden Haaren, unterscheidet sich Tobias deutlich von den Jugendlichen, die in den „Treffpunkt Fahrland“ kommen. Auf den Fotos an den Wänden des Clubs ist nicht viel zu sehen, von der bunten Mischung der Besucher, die Thomas Liebe beschreibt. Die Bilder zeigen die Jugendlichen des Clubs beim sommerlichen Grillen oder bei Ferienausfahrten an die Ostsee. Zu sehen sind vornehmlich blonde Mädchen und Jungs mit kurz geschorenen Haaren, einige von ihnen tragen Bomberjacken und Springerstiefel.

Einer, der an diesem Abend im „Treffpunkt Fahrland“ nicht Bomberjacke und Springerstiefel trägt und dessen Haare auch nicht kurz geschoren sind, ist Florian*. Schüchtern, den Blick auf den Boden gerichtet, steht der 16-Jährige am Tresen des Jugendclubs. Er hält sich mit einer Hand am dunkelbraunen Holz der Theke fest und wirkt wie einer, der nicht wirklich dazu gehört, aber doch geduldet wird.

Wenn Florian redet, dann ist seine Stimme zaghaft und leise. Es scheint, als wolle er nicht groß auffallen. Dass er es dann aber doch tut, liegt an seiner dunklen Hautfarbe. Ob er sich deswegen manchmal bedroht fühlt? „Hier im Jugendclub ist es nicht so schlimm“, sagt der Schüler fast flüsternd vor sich hin, die Augen weiterhin auf den Boden gerichtet, während ihn die anderen Anwesenden im Raum mustern. Florians Vater ist Inder. Die Mutter Deutsche. Geboren wurde er in Potsdam, seit fünf Jahren lebt er mit seiner Familie in Fahrland.

Was außerhalb des Clubs geschieht, darüber will Florian nicht reden – vorerst jedenfalls nicht und schon gar nicht vor all den anderen. Statt dessen zuckt er teilnahmslos mit den Schultern und zieht sich kurz darauf mit einem Freund ins Billardzimmer zurück. Hier, abgeschottet von den anderen Jugendlichen, fängt er an zu erzählen. Zögerlich.

Fast täglich käme er in den „Treffpunkt Fahrland“, denn im Neubaugebiet des Ortes, wo Florian wohnt, sei es „echt langweilig“. Zwei Mal ist er in den vergangenen drei Wochen an der Bushaltestelle von Rechtsradikalen angepöbelt und bedroht worden. „Die wollten mich verkloppen“, sagt der Teenager und versucht, dabei gelassen zu klingen. Angst habe er keine: „Das sind Ausnahmen.“

Doch diese Ausnahmen scheinen zuzunehmen. Auch im Jugendclub sei Florian beschimpft worden. „Schwarzer“ hätte einer auf dem Grillplatz des Jugendhauses ihm einmal hinterher gerufen, und während der Schüler das erzählt, presst er die Lippen zusammen. Ein schmaler Strich zieht sich dann durch sein Gesicht. Das Schimpfwort hat ihn tiefer getroffen, als die angedrohte Prügel. „Wütend und traurig“ habe ihn das gemacht.

Dieser Vorfall hat Florian jedoch nicht davon abgehalten, auch weiterhin in den „Treffpunkt Fahrland“ zu kommen. Offene rechte Parolen habe er im Jugendclub noch nicht gehört, wirklich bedroht fühle er sich nicht. „Die lassen mich in Ruhe“, sagt er. Behagen klingt anders.

Florians Schüchternheit liegt vermutlich auch daran, dass er die rechten Jugendlichen durchaus aggressiv erlebt hat – allerdings nur untereinander. „Die beschimpfen sich gegenseitig“, sagt er. Für ihn sind die Schimpfwörter typisch für den Umgang der rechten Jugendlichen.

Bei gegenseitigen Beschimpfungen und Beleidigungen ist es an der Regenbogenschule in Fahrland nicht geblieben. Mit eindeutigen Stickern und Parolen sind einige Jungs der höheren Jahrgangsstufen zum Unterricht gekommen, Aufnäher mit Sprüchen wie „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ zierten ihre Jacken und Rucksäcke, Wände und Bänke wurden mit Hakenkreuzen beschmiert, erzählt Schulleiterin Annett Reising. Nachdem mehrere eindringliche Gespräche und die Androhung von Strafmaßnahmen nicht viel bewirkt hätten, habe sie sich nicht anders zu helfen gewusst, als das staatliche Schulamt und den brandenburgischen Verfassungsschutz zu informieren. Mit wenig Erfolg.

In den meisten Fällen handelte es sich bei den Vorkommnissen nämlich nicht um strafrechtliche Vergehen. „Die Schüler waren uns meistens einen Schritt voraus, die wussten, was erlaubt ist und was nicht“, sagt Annett Reising. Die groß gewachsene Frau mit den rotbraunen schulterlangen Haaren sitzt in ihrem hellen, sehr aufgeräumten Büro in der ersten Etage der Schule. Der Plattenbau ist nur ein paar hundert Meter vom „Treffpunkt Fahrland“ entfernt.

Wenn die Schulleiterin über die Gruppe der rechten Jugendlichen an ihrer Schule spricht, schwingt immer auch ein Gefühl der Machtlosigkeit in ihren Worten mit. „Natürlich hat man das nicht so einfach hingenommen“, sagt Annett Reising. So habe es in den Klassen „harte Diskussionen im Unterricht“ gegeben, gemeinsam wurden Asylbewerberheime besucht. All das änderte am Verhalten der neunköpfigen Truppe an der Regenbogenschule nichts, jedenfalls nicht viel. „Es ist der Reiz des Verbotenen. Wenn man jung ist, tut man oft Dinge, die nicht erlaubt sind“, sagt Reising.

Ihre Erleichterung darüber, dass sich die Probleme mit den rechtsradikalen Jugendlichen seit deren Abgang von der Schule im Sommer 2005 vorerst für sie erledigt haben, kann Annett Reising nicht verbergen: „Die konnten keine neuen Leute mehr ranziehen, um ihre Kreise aufzubauen.“ Deshalb sei es in der letzten Zeit nicht nur an ihrer Schule, sondern auch grundsätzlich in Fahrland hinsichtlich rechtsmotivierter Straftaten ruhiger geworden, sagt die Schulleiterin.

Diesen Eindruck bestätigen auch die Zahlen des Polizeipräsidiums Potsdam. Nach Angaben von Pressesprecherin Angelika Christen sind im letzten Quartal des Jahres 2005 in Fahrland keine politisch motivierten Straftaten vorgefallen. Die dortigen Probleme sind dennoch wohl bekannt. „Wir haben die rechte Szene in Fahrland intensiv im Blick“, sagt Angelika Christen.

So erfasst das „Kommissariat Jugend“ Jugendliche in einer speziellen Liste, die durch gehäufte Straftaten mit rechtsextremistischen Hintergrund aufgefallen sind. In Fahrland, Neu Fahrland und Marquardt seien sechs Jugendliche zwischen 16 und 19 Jahren auf dieser Liste der Sonderkommission „Täterorientierte Maßnahmen gegen Rechtsextremistische Gewalt“. Für die namentlich bekannten Personen werden individuelle Konzepte zur Prävention weiterer Straftaten entwickelt. Dabei werden Jugendamt, Sozialarbeiter oder Eltern miteinbezogen. Zusätzlich wurden Mitarbeiter der „Mobilen Einsatzeinheit gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit“ in Fahrland und Neu Fahrland eingesetzt. Die Zivilbeamten ermittelten vor Ort und sammelten Informationen über mögliche Treffpunkte und potenzielle Konflikte.

2004 gab es in Fahrland 13 Straftaten mit rechtsmotiviertem Hintergrund – aber keine einzige linksmotivierte. Darunter waren größtenteils Schmierereien, ein Delikt wurde als Volksverhetzung gewertet. Die Zahlen für das vergangene Jahr liegen derzeit noch nicht vor, jedoch habe sich die Situation seit dem letzten Sommer beruhigt, sagt Angelika Christen.

Tobias und Sandra, die Mitinitiatoren der Flugblattaktion, haben dafür eine einfache Erklärung: Einstige Rädelsführer der rechten Szene in Fahrland wie Benjamin Ö. sind mittlerweile zu Bewährungsstrafen verurteilt und dürfen sich nichts mehr zu Schulden kommen lassen; einem weiteren, Oliver K., wird derzeit vor dem Potsdamer Landgericht der Prozess wegen versuchten Mordes gemacht. Er soll an einem Überfall auf einen linken Jugendlichen im vergangenen Sommer beteiligt gewesen sein.

Angesprochen auf diese Fälle zeigen sich Thomas Liebe und Claus Wartenberg verhalten. Benjamin Ö. ist auch weiterhin kein unwillkommener Gast im „Treffpunkt Fahrland“. Thomas Liebe sagt, er wolle junge Menschen wie ihn aus deren Parallelcliquen herausreißen. Dieses Bemühen unterstützt Claus Wartenberg: „Wenn man resigniert, hat man verloren.“

Während er das sagt, klingt der Ortsbürgermeister seltsam nüchtern und emotionslos.

* Name von der Redaktion geändert

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