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Liebe unter dem Nazischatten. Anna Loos, im Leben wie im Film liiert mit Jan Josef Liefers (M.), und Franz Dinda spielen im ARD-Drama „Nacht über Berlin“.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Der Arzt und die Sängerin

Mit dem in Babelsberg gedrehten Drama „Nacht über Berlin“ blickt die ARD auf die letzten Tage der Weimarer Republik und erzählt eine Liebesgeschichte

Henny Dallgow ist eine freie Frau. Sie fährt Motorrad, raucht, trägt eine Lederjacke und singt. Ihr gehört das „Ballhaus“, ein Nachtlokal im Berlin der 30er Jahre. Die Menschen tanzen dort dem Verderben entgegen. SA-Truppen und kommunistische Kampfverbände prügeln sich auf der Straße, im Reichstag verunglimpfen die NSDAP-Abgeordneten die Sozialdemokraten. Deutschland im Februar 1933 – ein Land rast in die Katastrophe und Henny Dallgow jongliert auf Messers Schneide.

Zum 80. Jahrestag von Adolf Hitlers Machtantritt holt die ARD das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte in die Hauptsendezeit. Mit „Nacht über Berlin“ taucht das „Erste“ an diesem Mittwoch (20.15 Uhr) in die Endphase der Weimarer Republik ein. Um 22 Uhr zeichnet dann die Dokumentation „Nacht über Deutschland“ den politischen Selbstmord der ersten deutschen Demokratie und des Beginns von Hitlers Herrschaft nach.

Mit „Nacht über Berlin“ haben die Autoren Rainer Berg und Friedemann Fromm ein aufwendiges Panorama der letzten Tage der Weimarer Republik und den Beginn von Hitlers Herrschaft gezeichnet. Im Studio Babelsberg drehten sie vor der Kulisse der „Berliner Straße“, in Köln wurde der Plenarsaal des Reichstags teilweise nachgebaut, in einem Hangar des Flughafens Tempelhof wurde der Brand des Parlaments auf einer Riesenleinwand simuliert.

Henny Dallgow (Anna Loos) ist eine Deutsche wie viele andere in diesen Tagen: Selbstbewusst braust die Bürgerstochter durch Berlin, sie ist eher unpolitisch, mit ihrem Judenhass würden es die Nazis nicht so ernst meinen, glaubt sie. Henny schließt lange Zeit die Augen – bis sie auf den Arzt und SPD-Abgeordneten Albert Goldmann (Jan Josef Liefers) stößt.

Sie ahnt bald, dass es mit den Chansons, die sie in das „Ballhaus“-Mikrofon haucht, bald zu Ende sein könnte. Auch als sie das „Ballhaus“ vom Entertainer Matze Belzig (hinreißend gespielt von Jürgen Tarrach) übernimmt, verbreitet sie Zuversicht. Belzig hingegen ahnt, was kommt. Er will Deutschland verlassen, bevor es zu spät ist.

Die erste Begegnung mit Goldmann dauert kaum länger als ein Augenzwinkern: Der Arzt wird von der politischen Polizei aus dem Zugabteil gezerrt, nur seine Mütze bleibt auf der Ablage liegen. Im Saum entdeckt Henny seltsame Zeichnungen, sie kann die Skizzen aber nicht deuten. In Berlin sucht sie Dr. Goldmann auf. Und erfährt dabei einige unangenehme Wahrheiten.

Denn Goldmann war für seinen Bruder Edwin (Franz Dinda) als Kurier unterwegs. Er sollte die Pläne für den Aufstand einer kommunistischen Splittergruppe im Mützensaum nach Berlin bringen. Für Goldmann sind die Aufstandspläne ein gefährlicher Irrsinn. Er glaubt noch an einen friedlichen Ausweg aus der sich anbahnenden Diktatur.

Hennys und Alberts Welten könnten kaum unterschiedlicher sein – und doch funkt es zwischen beiden in diesen düsteren Zeiten. Die mondäne Frau mit dem Pagenkopf und der sozial engagierte Doktor: Über die politischen und sozialen Gräben hinweg ist noch Platz für die Liebe. Der „Tatort„-Kommissar Jan Josef Liefers und Silly-Sängerin Anna Loos – nicht nur im realen Leben sind sie ein Paar, auch vor der Kamera finden sie zueinander.

Dabei sind die Familienverhältnisse nicht einfach. Hennys Cousine Uta (Claudia Eisinger) will den Karrieristen Erhart von Kühn (Sven Lehmann) heiraten. Der Nazi-Sympathisant gibt Henny aber einen Tipp: Goldmann ist gefährdet. Als Henny ihn warnen will, ist es zu spät: Albert ist auf dem Weg zum Reichstag, um einen verwirrten Patienten zu stoppen, bevor dieser eine Katastrophe auslösen kann.

Die Figuren werden von den Ereignissen getrieben, die Dialoge bleiben aber leider oft hölzern. Die Spannung leidet zuweilen unter dem Versuch, die große Geschichte durch das Leben normaler Menschen zu erzählen. Doch „Nacht über Berlin“ vermittelt durchaus etwas von der Beklemmung, die viele Menschen in Deutschland in den ersten Monaten des Jahres 1933 durchlitten haben. Als die SA-Truppen auf offener Straßen einem Demonstranten in den Rücken schießen, weiß auch Henny, dass es für sie keinen Ausweg mehr gibt.Esteban Engel

„Nacht über Berlin“ läuft am Mittwoch um 20.15 Uhr in der ARD.

Esteban Engel

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