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Potsdam gegen Rechts. Gegen die Versammlung der rund 40 Neonazis vor dem Justizzentrum protestierten am Sonntag bei zwei Gegendemonstrationen über 550 Potsdamer.

© r.b.

Demo-Sonntag in Potsdam: Trillerpfeifenkonzert gegen Neonazis

Etwa 40 Neonazis protestieren vor dem Justizzentrum. Hunderte Potsdamer bekennen Farbe gegen Rechts.

Potsdam - Mit einem lauten Trillerpfeifenkonzert haben hunderte Potsdamer am Sonntag gegen eine Versammlung von rund 40 Neonazis vor dem Justizzentrum in der Jägerallee protestiert – und zwar weitgehend friedlich.

Wie berichtet, hatten Rechte in den sozialen Netzwerken zu einem sogenannten „Tag der politischen Gefangenen“ aufgerufen. Das parteiübergreifende Anti-Rechts-Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“ und dessen Vorsitzender, Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), hatten unter dem Motto „Für eine menschenfreundliche Gesellschaft ohne Hass und Hetze“ eine Gegenkundgebung angekündigt, um zu zeigen, dass Potsdam „ein Aushängeschild ist für Weltoffenheit und ein friedliches Miteinander“, wie es in dem Bündnisaufruf hieß. Auch die Linken-Landtagsabgeordnete Isabelle Vandré hatte eine Gegendemonstration angemeldet, die von der Wilhelmgalerie über die Friedrich-Ebert-Straße und den Reiterweg in die Jägerallee vor das Restaurant „Speckers Landhaus“ führte und der rund 250 Anhänger der linken Szene folgten.

Vor dem Justizzentrum in der Jägerallee demonstrierten derweil die rund 40 Neonazis für die Freilassung verurteilter Gesinnungsgenossen. Zu sehen waren etwa der Neuruppiner NPD-Stadtverordnete Dave Trick, aber auch der Rechtsextremist Patric Stolle von der Kleinpartei „III. Weg“ sowie weitere Szene-Größen aus Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Wer genau zu der Demonstration aufgerufen hatte, ist unbekannt. Die Polizei bestätigte auf PNN-Anfrage nur, dass die Versammlung von einer Privatperson angemeldet wurde. Das Erstinformationsrecht gegenüber der Öffentlichkeit liege beim Anmelder, so die Polizei.

Jakobs: Vermisst bei manchen Politikern ein klares bekenntnis gegen Rechts

Die überwiegend schwarz-gekleideten und teilweise mit Sonnenbrillen, Schal und Kapuzen vermummten Rechten posierten mit Brandenburg-Fahne und Bannern vor dem Justizzentrum. „Jetzt erst recht! Gegen Gesinnungshaft, politische Verfolgung und Kriminalisierung!“ oder „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ war dort zu lesen. Nur einmal kam es zu einer Störung, als ein Potsdamer den Versammlungsteilnehmern seine Meinung mitteilte. „Mein Vater wurde von Nazis umgebracht“, rief er den Rechten aufgebracht entgegen. Die Polizei bat den Mann die Kundgebung nicht zu stören, der daraufhin die Versammlung verließ.

In den Redebeiträgen stilisierten sich die Rechten als Verfolgte eines politischen Systems, in dem ihre freie Meinungsäußerung eingeschränkt werde und sie Gefahr laufen würden, Opfer der systemtreuen Justiz zu werden. Der Paragraph 130 sei das beste Beispiel dafür, dass man nicht sagen, veröffentlichen und tun dürfe was man möchte, hieß es. Der Paragraph 130 des Strafgesetzbuches stellt Volksverhetzung unter Strafe. Linke Aktivisten erkannten unter den Rednern auch den Anwalt Martin Kohlmann, der bereits mehrfach Rechtsextremisten bei Prozessen verteidigt hat.

Bei der Gegendemo des parteiübergreifenden Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ unweit des Justizzentrums im Süden der Jägerallee versammelten sich bei winterlichen Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes etwa 300 Potsdamer und protestieren mit Trillerpfeifen, bunten Schildern, Fahnen und selbstgebastelten Plakaten mit Aufschriften wie „Es gibt einen Unterschied zwischen Rechthaben und Rechtssein“ gegen die Versammlung der Neonazis. Alle demokratischen Parteien waren vertreten, ebenso die Gewerkschaften und der Fußballverein Babelsberg 03. „Es ist schon wichtig, uns auch gegen eine so kleine Demonstration zu stellen und das können wir in Potsdam gut. Das sieht man daran, wie viele gekommen sind“, sagte Oberbürgermeister Jakobs. Als politischer Repräsentant finde er es wichtig bei Demos gegen Rechts eine politische Haltung einzunehmen. Das sei Etwas, was er bei vielen anderen Politikern in Deutschland manchmal vermissen würde. Das würde auch andere animieren, klar Stellung zu beziehen.

Breites Bündnis protestierte in Potsdam gegen eine kleine Gruppe Neonazis

Auch die Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters reihten sich in den Protest ein. CDU-Kandidat Götz Friederich war ebenso vor Ort wie Lutz Boede, Oberbürgermeister-Kandidat für die linksalternative Wählergruppe Die Andere, Grünen-Kandidatin Janny Armbruster und SPD-Kandidat Mike Schubert, der sich unter anderem gemeinsam mit der Bundestagsabgeordneten Manja Schüle (SPD), Potsdams Kämmerer Burkhard Exner (SPD) und dem Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Scharfenberg (Die Linke) vorne an die Spitze des Protestes stellte. Auch Schubert machte deutlich, dass man gegen jede Nazidemo protestiere, egal wie klein sie auch sei. „Ich glaube, wir beweisen seit Jahren als Stadt, dass wir Nazis keine Chance geben und egal wie viele es sind, uns entgegenstellen“, so Schubert. Die Versuche der Nazis sich als Märtyrer und politisch Verfolgte zu stilisieren, empfinde er als peinlich. Dazu nutzten zahlreiche Gegner soziale Netzwerke wie Twitter, um ihre Präsenz zu zeigen. „Ich bedanke mich bei allen Menschen, die erneut gezeigt haben, dass Rassisten in Potsdam nicht willkommen sind“, teilte etwa Linken-Kandidatin Martina Trauth mit, die ebenfalls bei der Demonstration mitlief.

Nach etwa einer Stunde war die Kundgebung vorbei. Die Rechten wurden von der Polizei über den Park Sanssouci zum dortigen Bahnhof geleitet. Obwohl es im Internet seitens der Emanzipatorischen Antifa Potsdam Aufrufe gab, die Kundgebung der Neonazis zu verhindern, blieben alle Demonstrationen friedlich, wie die zuständige Polizeidirektion West mitteilte. Insgesamt waren 450 Einsatzkräfte vor Ort. Nur zu Beginn gegen 14 Uhr habe es einen Zwischenfall in der Jägerallee/Ecke Hegelallee gegeben. Nach bisherigen Erkenntnissen soll drei Personen, die auf dem Weg zu einer der drei Veranstaltungen waren, ein Plakat entrissen worden sein. Die Polizei nahm sechs Tatverdächtige in Gewahrsam und nahm eine Strafanzeige wegen des Verdachts des Raubes auf.

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