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Tenor Björn Casapietra

© promo

"DDR-Bürger mit weiterer Staatsbürgerschaft": Björn Casapietra auf spezieller Weihnachtstournee

Tenor Björn Casapietra engagiert sich gegen Rechtsextremismus. Ein Grund dafür ist seine Jugend in der DDR. Anfang Dezember tritt er im Nikolaisaal auf.

Potsdam - Wenn der in Schmöckwitz aufgewachsene Tenor Björn Casapietra über die Weltlage und die Wahlerfolge der AfD nachdenkt, kommt ihm diese eine Begegnung auf einem Pferdehof in Brandenburg in den Sinn. An dem alten Gebäude aus DDR-Zeiten hingen die Fenster schon aus den Angeln, aber die Kinder liebten den Ausflug. „Die Betreiberin des Hofes erzählte mir begeistert vom geplanten Neubau, den sie dank Fördergeldern auch von Bund und Land zum Großteil finanziert bekommt. Als wir später über Pegida sprachen, klagte die Frau dann, es ginge ihr heutzutage viel schlechter und in der DDR sei alles besser gewesen.“ Casapietra vermutet hinter dieser Ambivalenz „eine gewisse Selbstgerechtigkeit und Ignoranz, die ich in den neuen Ländern leider oft spüre.“

Unterwegs in Sachen Engagement

Der Sänger, Schauspieler und Moderator ist jetzt, im zehnten Jahr auf spezieller Jubiläums-Weihnachtstournee – mit seinen „Christmas Love Songs“. Am 5. Dezember tritt er damit im Potsdamer Nikolaisaal auf. Im Internet erlebt er das ganze Jahr über aber teils das Gegenteil von Liebe: nämlich Hasskommentare, die ihm als Deutschen das Recht absprechen, Deutscher zu sein. Seine Mutter, die italienische Sopranistin und Kammersängerin Celestina Casapietra, brachte ihn bewusst in Italien zur Welt. Sein Vater ist der 1990 verstorbene Dirigent Herbert Kegel, sein Halbbruder Uwe Hassbecker Gitarrist der Band Silly. Casapietra, früher „DDR-Bürger mit weiterer Staatsbürgerschaft“, tourt als Tenor wegen der gesellschaftlichen Trends nun immer öfter auch in Sachen Engagement durch die Lande.

„Ich habe schon immer Musiker bewundert, die Repertoire und Auftritte mit gesellschaftlichen Inhalten verbinden, seien es John Lennon oder Bob Marley“, sagt der 49-Jährige, der in Mitte wohnt. Er selbst habe seine Motivation seinem aufrechten Vater zu verdanken und auch dem Buch „Im Scheunenviertel“ von Eike Geisel und Günter Kunert. Da blätterte er sich als 18-Jähriger durch und fragte sich, wo denn all die Stätten jüdischen Lebens in Berlin Mitte geblieben seien.

Mit Appell an sein Publikum

Anderthalb Millionen ermordete, erschossene, verhungerte jüdische Kinder und Jugendliche. Drei Millionen von den Deutschen umgebrachte Menschen jüdischen Glaubens in und aus Polen – als er dieser Dimensionen gewahr wurde, wollte er die Erinnerung daran wach halten. Regelmäßig postet Casapietra alte Schwarz-Weiß-Bilder, etwa von einem strahlenden Mädchen. Und dann steht da, in welchem KZ es von einem Nachbarn, Mitbürger, Mitarbeiter in eine Gaskammer geschickt wurde. Bei seinen Weihnachtskonzerten erzählt Casapietra von den vernichteten „Schtetln“ in Polen, wenn er jiddische Lieder singt. Von Mut und Konsequenz Dietrich Bonhoeffers, der „tausend Meter Luftlinie entfernt von mir wohnte, mein Held in dunkler Stunde“. Und: „Tochter Zion, freue dich“, das Adventslied, einst verboten. Zum Finale richtete der in Genua geborene Berliner einen Appell an sein Publikum, bitte demokratisch denkend zu wählen, damit sein Heimatland sein tolerantes und buntes Deutschland bleiben könne und nicht das, was in 75 Jahren an Humanismus und Menschenrechten hart erkämpft wurde, zunichte gemacht werde. „Es gibt dann immer tosenden Applaus, überall im Osten.“

Nach vorne schauen

Er befürchtet, dass das Verhalten von Politikern gegenüber der AfD von oben herab„denen eher in die Hände spielt“. Stattdessen müsse man sich inhaltlich mehr damit auseinanderzusetzen, was Gründe für die extreme Opposition sein könnten. Es sei darüber nachzudenken, wie man den rechten Rand von den Protestwählern abspalten könne. Wenn ein Faschist wie Björn Höcke sage, es werde ein groß angelegtes „Remigrationsprojekt“ notwendig sein, „und bei dem wird man, so fürchte ich, nicht um eine Politik der ,wohltemperierten Grausamkeit‘ (…) herumkommen“ – so müssten sich die Deutschen doch genau überlegen, so jemandem ihre Stimme zu geben. „Mir gucken zu viele Menschen verklärend zurück in den Sozialismus oder gar leugnend zurück in den Nationalsozialismus, statt nach vorne zu schauen.“

Casapietra sagt im Gespräch, er ist für die Ausschöpfung des Rechtsstaates, wenn Migranten gegen Gesetze verstoßen. Bei Neiddebatten um Jobcenter-Versorgung „hat es ein Geschmäckle, dass Hilfeleistungen für ältere deutsche Menschen in Not und jüngere Schutzsuchende aus Syrien verglichen werden“. Er ist für eine differenzierte Sicht – und voll des Lobes für die afghanischen Brüder, die bei ihm in Mitte extrem fleißig einen Späti mit Poststelle betreiben. Ein „so reiches Land wie Deutschland könne es schon gut schaffen, Menschen aufzunehmen“ aus Ländern, in den sogar Krankenhäuser bombardiert werden. Den teils mitgebrachten Antisemitismus müsse man allerdings thematisieren.

Sicher gebe es Frust über verlassene Gegenden in Ostdeutschland, weil Menschen von dort aus mal als Wirtschaftsflüchtlinge in den Westen gingen. Andere Dörfer wirkten dank des Solidaritätszuschlages indes „wie geleckt“. Er habe das Gefühl, „manchen gehe es, mit Verlaub, nicht zu schlecht, sondern zu gut“. Und wenn 30 Jahre nach Mauerfall geklagt werde, es gebe keine Meinungsfreiheit in Deutschland– dann möge man bitte nach China oder Russland schauen. Bei allem Protest mache doch der Ton die Musik.

„Christmas Love Songs“, u.a. am 5.12. um 19 Uhr im Potsdamer Nikolaisaal, Karten kosten zwischen 35,30 Euro und 42,30 Euro und sind unter anderem im PNN-Shop in der Wilhelmgallerie, Charlottenstraße 42, erhältlich.

Annette Kögel

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