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DDR-Architektur: Kontinuität statt Brüche

Gegen das Moderne-Dogma: Ein Zusammenspiel aus Bewahrung, Interpretation, Imitation und Innovation soll Garant sein für ein lebenswertes Potsdam – dazu ein ideologiefreier Diskurs statt Ostmoderne-Sentimentalität und kritiklosem Erhalt von DDR-Architektur

Zurzeit wird wieder intensiver über den Umgang mit dem städtebaulichen und architektonischen Erbe der DDR-Architektur debattiert. Meinen Überlegungen dazu möchte ich voranstellen, dass es hier weniger um die DDR-Architektur im Besonderen sondern vielmehr im allgemeineren Sinne um die kritische Betrachtung der Nachkriegsmoderne in Deutschland und darüber hinaus geht. Das lässt sich unter anderem auch am Beispiel Potsdams untersuchen. Es lassen sich zwar unterschiedliche Ausprägungen im west- und ostdeutschen Städtebau feststellen, allein schon unter eigentumsrechtlicher und politisch-systemischer Betrachtung, aber in einem ganz wesentlichen Aspekt der stadträumlichen Arrondierung von Architektur gibt es eine grundsätzliche Übereinstimmung. Zunächst mit Beginn der sogenannten Moderne im frühen 20. Jahrhundert und dann verstärkt im Anschluss an die Zerstörung wertvoller Architektur im Zweiten Weltkrieg wurden in Europa die in einem Zeitraum von über 1000 Jahren gewachsenen und entwickelten Stadtstrukturen zum Teil radikal infrage gestellt. Diese traditionellen Strukturen zeichneten sich im Wesentlichen aus durch das fundamentale Bekenntnis zur verdichteten Innenstadt und den Bezug vom Haus, von Häuserensembles und von den Monumenten der Stadt zum öffentlichen Straßenraum und zu den Plätzen der Städte. Straßenbegleitende Blockrandbebauungen bildeten dabei den städtebaulichen Rahmen für eine Differenzierung eines Blocks oder einer Straßenzeile in individuelle, auf dem Prinzip der Parzellenteilung basierende eigentumsrechtliche Grundstücksorganisationen. Eine klare Adressierung der Häuser zum öffentlichen Raum war ebenfalls, unabhängig von den über Jahrtausende sich abwechselnden Stilepochen der Baukunst, ein elementares Grundprinzip. Die lebendige abwechslungsreiche Innenstadt zeichnete sich im Wesentlichen durch das Modell der Vielfalt in der Einheit aus. Neben der Adressierung ist ein weiterer wichtiger Aspekt im Verhältnis von städtischem Haus zum öffentlichen Raum zu nennen, nämlich die Nutzungsmischung und die damit verbundene Bespiegelung der Erdgeschosszonen. Nicht die hermetische Abkopplung vom öffentlichen Raum, sondern gerade die Transparenz und Offenheit im Sinne differenzierter Nutzungen sind ein wesentliches Qualitätsmerkmal, das lebendige Straßen- und Platzräume erzeugt.

ZERSTÖRUNG DURCH PLANUNG Die in der Nachkriegsmoderne über alle Maßen strapazierten Begriffe des Widerspruchs oder der sogenannten Brüche im Stadtraum belegen in ihrer dogmatischen Umsetzung die aus heutiger Sicht zu reklamierende Zerstörung und das Auseinanderbrechen unserer Städte, eine Zerstörung nicht durch Krieg, sondern Zerstörung durch Planung. Denn es ist unbestritten, dass nicht der Stadtgrundriss, sondern nur ein Teil seiner Architektur im Krieg zerstört wurde. Es entsprach nicht mehr dem Geschichts- und Selbstverständnis der modernen Architekten, historische Kontinuität zum Leitbild von Städtebau und Architektur zu erheben und mit dieser Weiterentwicklung von Geschichte den kommenden Generationen ein Bild der sich verändernden Städte unter Bewahrung und Ergänzung des Vorhandenen weiterzugeben. Stattdessen wurde der radikale Bruch mit der Geschichte bis hin zur Auslöschung ganzer Quartiere Leitbild des Handelns. Weitestgehend herrscht heute immer noch das Moderne-Dogma der durch Nachkriegsarchitektur geprägten, aber gescheiterten Aufbaumodelle unserer Städte vor, die sich heute in einer Art Ostmoderne-Sentimentalität und dem kritiklosen und grundsätzlichen Erhalt von sogenannter DDR-Architektur widerspiegeln. Das betrifft sowohl die praktische Architektentätigkeit als auch die Lehre in den meisten deutschen Hochschulen. Dieser Städtebau wird deshalb für herausragend bewertet, weil er die Moderne an sich repräsentiert, unabhängig von seiner tatsächlichen räumlichen und architektonischen Qualität und seinem Beitrag zu einem erlebbaren, lebendigen und funktionierenden Stadtquartier. Das ist aber eine rein zeitliche und nicht qualitative Betrachtung. Die heute vordergründige und moralisierende Verklärung der Nachkriegsarchitektur verblendet den Blick auf die fortschreitende Abnutzung ehemaliger Utopien einer offenen Stadt, die sich nur über das Licht-Luft-Sonne-Prinzip einerseits und den Gedanken einer Ablösung der „Herrschaftsarchitektur“ durch „demokratische Architektur“ zu legitimieren glaubte. Unbesehen der aktuell wahrnehmbaren Wirklichkeit und der historischen Entwicklung Potsdams, die nicht erst 1945 begonnen hat, sondern über Jahrhunderte gewachsen ist, nach einem Weltkrieg und der danach erst einsetzenden rigorosen Architekturvernichtung unvorstellbaren Ausmaßes im sogenannten Wiederaufbau, der real kein Wiederaufbau war, sondern kompletter Neubau, basierend auf einem völlig veränderten Verständnis von Stadt, wird seit geraumer Zeit zunehmend an diesen fragwürdigen Prinzipien festgehalten. Frei nach einer Bemerkung von Martin Mosebach im FAZ.net vom 28.06.2010 „Und wir nennen diesen Schrott auch noch schön“, würde ich die vorhandenen Bebauungen Am Alten Markt in Potsdam, den Staudenhof und die Fachhochschule, so beschreiben: Was ist all das in Beton gegossene Millimeterpapier einer bauwütigen Epoche der 60er und 70er Jahre gegen die Schönheit der verschwindenden und größtenteils verschwundenen europäischen Stadt? Ein städtebauliches Entwicklungsprinzip, dem vorrangig die optimierten Wenderadien und Positionen der Baukräne zugrunde lagen, muss daher hinsichtlich seiner kompositorischen und baukünstlerischen Qualitäten infrage gestellt werden dürfen. Die von einer großen Mehrheit der Architekten seit Beginn der Nachkriegszeit bis heute immer wieder als Invention (lat.: inventio – Einfall, Erfindung) beschriebene Haltung als Ausdruck einer Architektur belegt zusätzlich die Geschichtslosigkeit beziehungsweise die Ablehnung eines Geschichtsbezuges in der eigenen architektonischen Positionierung, insbesondere die Zeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts betreffend. Wo Rekonstruktion oder Interpretation von Baugeschichte als Lüge und Betrug an der Gegenwart oder sogar als unschöpferischer Prozess erklärt werden, wird ein wesentlicher Aspekt aus dem Blickfeld gerückt: dass Entwicklung ein Zusammenspiel von Bewahrung, Interpretation, Imitation und Innovation ist und nicht nur Innovation oder sogar Invention bedeutet.

DAS QUARTIER AM ALTEN MARKT Genauer betrachtet, gerade vor dem Hintergrund aktueller Tendenzen, das bisher Erreichte und Beschlossene zur Reaktivierung des historischen Stadtgrundrisses in Potsdam wieder in Frage zustellen, müssen wir uns der weiteren Entwicklung der die Nikolaikirche umgebenden Quartiere, also der drei Altstadtblöcke dieser Stadt, inhaltlich genauer zuwenden. Was ist eine authentische Bebauung der Potsdamer Mitte, die den geographischen Ort der ehemaligen Altstadt, also des historischen Zentrums, beschreibt? Es geht um die Blöcke „Am Steubenplatz“, „Am Platz der Einheit“ – mit einer jetzt deutlich wahrnehmbar fragwürdigen Integration der Stadt- und Landesbibliothek – und „Karree Neuer Staudenhof“, zurzeit noch „Staudenhof“. Für die Entwicklung dieser drei Blöcke um den Alten Markt ist eine inhaltliche Zuspitzung der Debatte im Sinne einer maximal erreichbaren stadträumlichen Qualität im Ganzen und einer architektonischen Qualität im Einzelnen daher nur wünschenswert und die Beantwortung der Frage „Was ist ein städtisches Haus?“ nach wie vor offen. Kann ein für diesen Ort maßstablos wirkender Solitär Staudenhof den Typus des städtischen Hauses überhaupt repräsentieren? Wie viele Solitäre verträgt ein größtenteils auf Kleinmaßstäblichkeit orientierter Umbau des Quartiers Am Alten Markt? Die Umwandlung in ein Neues Quartier mit integriertem Leitbautenkonzept ist im September 2010 von den Potsdamer Stadtverordneten beschlossen worden, um gerade diese Kleinmaßstäblichkeit langfristig zu erreichen. Dieser Beschluss wird zur Zeit aufgeweicht. Außerdem sind mit der Nikolaikirche und dem Stadtschloss zwei bedeutende Monumente und Solitäre im künftigen Zentrum gesetzt, die meines Erachtens keinen weiteren Solitäre in unmittelbarer Umgebung vertragen. Neben der Neubebauung dieser drei Blöcke stellt sich also zunächst die Frage nach der Legitimation von Abrissen des Staudenhofs und des ehemaligen Hauses der Lehrerbildung (zur Zeit FH Potsdam). Diese Gebäude sind seinerzeit als Ensemble von Solitären errichtet worden, wurden aber bewusst in Maßstab, Proportion und Geschossigkeit gegen den nach dem Krieg noch ablesbaren historischen Stadtgrundriss errichtet, wodurch ein qualitativ hochwertiger und lebendiger öffentlicher Raum auf dem Terrain der ehemaligen Altstadt nicht generiert werden konnte, auch schon aus Gründen der künstlich geschaffenen topographischen Unterschiede zwischen Platz der Einheit und Altem Markt von nahezu einem Vollgeschoss. Dazu tragen die Gebäude in ihrer Monofunktionalität und der fehlenden Nutzungsdifferenzierung nicht zu einem lebendigen Innenstadtquartier bei und geben der Nikolaikirche nicht die unabdingbar erforderliche stadträumliche Fassung, wie dieses die Vorgängerbebauung tat. Dieser vorhandene öffentliche Raum ist nicht deshalb als hochwertig anzusehen, weil man ihm eine Art erfolgreichen modernen Städtebau der Nachkriegszeit andichtet oder die Frage auf die erbrachten Planungs- und Bauleistungen einer Aufbaugeneration reduziert. Auch ist die in Potsdam häufig vorgetragene Argumentation, dass die Errichtung von Gebäuden und der damit verbundene materielle Aufwand und die eingebrachte menschliche Arbeitsleistung bei der Errichtung der Gebäude schon einen Wert an sich darstellt und deshalb deren Abriss verwerflich sei, vordergründig moralisierend. Niemand möchte hier menschliche Leistungen schmälern, jedoch die ihnen zugrundeliegenden politischen Entscheidungen und nicht diskursiv entstandenen Konzepte erlauben eine kritische Reflektion. Hier geht es eher um den Anspruch auf die städtebauliche Deutungshoheit und um mangelnde Toleranz gegenüber einem Architekturbegriff, der um die vor die Moderne zurückgreifende geschichtliche Betrachtung erweitert ist. In den aktuellen Debatten zur Wiederherstellung beziehungsweise Anlehnung an historische Stadtgrundrisse in Deutschland wird vielfach vordergründig argumentiert, dass gerade ein großer Teil der DDR-Architektur diskussionslos zur Disposition stehe, was keineswegs der Fall ist. Es geht nicht um eine Verurteilung dieser Architektur, weil man ihr gegebenenfalls eine Mittäterschaft an dem vergangenen politischen System attestiert. Auch zahlreiche westdeutsche Metropolen sind durch die Nachkriegsbebauung geschunden, so fasste beispielsweise im Jahr 2008 der Magistrat der Stadt Frankfurt/Main den Beschluss, das im Herzen der Stadt im Jahr 1970 erbaute technische Rathaus – eine Art Betonfestung - abzureißen, um auf dem freiwerdenden Areal die historische Stadttextur baulich zurückzugewinnen. Der Grundstein für die auf dem historischen Stadtgrundriss basierenden Rekonstruktionen aber auch Neubebauungen wurde im Herbst 2011 von der Bürgermeisterin selbst gelegt. Niemand spricht hier vom ausschließlichen Zwang zur Rekonstruktion, sondern einer diskursiven Befassung mit Geschichte der Baukunst. Der pauschalisierend vorgetragene angebliche Generalangriff einer scheinbar nur rückwärts gewandten Potsdamer Bürgerschaft auf die Nachkriegsarchitektur der Stadt schließt einen ganz wesentlichen Aspekt der Betrachtung aus. Es geht immer und nur um die individuelle kritische Bestandsaufnahme einer spezifischen Situation, eines einzelnen Hauses, Ensembles oder Quartiers und deren Einordnung in das Ganze – nämlich in den Grundriss und öffentlichen Raum der Stadt. Pauschalverurteilungen sind hier fehl am Platz und würden auch die große Zahl an positiven Aufbaubeispielen diskreditieren. Ein Blick nach Münster, Danzig, Stettin oder Warschau zeigt positive Gegenbeispiele.

UN    VERWECHSELBARES POTSDAM Die zuletzt häufiger vorgetragene Behauptung, dass das DDR-Erbe in dieser Auseinandersetzung kaum repräsentiert ist, kann so nicht bestehen. Denken wir an den Erhalt und Umbau der Bibliothek, an den Zwischenbau am Alten Rathaus und anderes mehr. Der enorme Fortschritt der laufenden Architektur-Debatten ist doch, dass sie reichhaltiger geworden sind und zum reinen Zwang modern und zeitgenössisch zu bauen, vielfach aber selbstdarstellerisch und modisch zu wirken, der Aspekt der Geschichtsbetrachtung und Geschichtseinbindung hinzugekommen ist. Es kommt also genau darauf an, welches Gesicht wir der Stadt Potsdam geben wollen, jenseits kurz gedachter vordergründiger Zwänge, jenseits gerade hilfreicher politischer aber kurzlebiger Zugeständnisse, jenseits rein ökonomischer Interessen, und darauf, verantwortungsvoll zu handeln und kommenden Generationen einen städtischen Raum zu geben, der einmalig für diesen Ort begreifbare auratische Qualitäten formuliert, anstelle von missverständlichen Brüchen, und der – wie die noch vorhandenen über Jahrhunderte gewachsenen Gebäude und Quartiere – architektonische und stadträumliche Qualität repräsentiert, die unverwechselbar, einmalig und identifizierbar ist. Der Diskurs zur Stadtarchitektur muss frei von Ideologie, politischen Strategien, Moral und Geschmack sein, sich also nicht an kurzfristig gedachten Strömungen orientieren, sondern auf Langfristigkeit und seine baukünstlerisch visuelle Wirkung und Strahlkraft angelegt sein. Potsdam, diese einzigartige Stadt am Wasser, könnte durch die Rehabilitierung des historischen Stadtgrundrisses – in Gänze und nicht partiell – zu jener inhaltlichen wie architektonischen Bedeutung zurückfinden, die ihrer historischen nationalen wie internationalen Ausstrahlung entspricht. Der Alte Markt rund um den Obelisken sollte sich mit der Herstellung der ursprünglichen Platzkanten und einer kleinteiligen Bebauung für viele unterschiedliche neue Nutzer und auch Eigentümer zu einem lebendigen, sozialverträglichen Innenstadtquartier entwickeln. In das Quartier rund um die Nikolaikirche könnte wieder vielfältiges städtisches Leben für Bewohner und Besucher einziehen. Nach der Errichtung des neuen Landtages im Stadtschloss, der angestrebten architektonisch anspruchsvollen Haveluferbebauung und der stadträumlichen Fassung nicht nur seitlich, sondern auch hinter der Nikolaikirche besteht die Chance, ein unverwechselbares Ensemble von Rang und großer Lebendigkeit entstehen zu lassen. Diese Chance sollte keinesfalls durch kurzfristig gedachtes politisches Kalkül aufs Spiel gesetzt werden.

Prof. Ludger Brands (Jahrgang 1957) lehrt seit 1993 an der „Potsdam School of Architecture“, von 2006 bis Februar 2012 war er Studiengangsleiter. Brands arbeitet als Architekt in Potsdam.

Ludger Brands

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