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DDR-Architektur in Potsdam: Die letzten Unikate

Das architektonische Erbe der DDR in Potsdam ist umstritten. Ein neues Buch versucht, sich der Ostmoderne sachlich zu nähern.

Von Peer Straube

Potsdam - Der Staudenhof-Wohnblock. Die Fachhochschule am Alten Markt. Das Mercure-Hotel. Beim Klang der Namen dieser Gebäude denkt man sofort an erbitterte Debatten, an Grabenkämpfe, an Streit. Kaum etwas spaltet die Potsdamer so sehr wie der Umgang mit dem baulichen Erbe aus DDR-Zeiten.

Der Marburger Kunsthistoriker und Potsdam-Kenner Christian Klusemann hat dieser Ostmoderne nun ein Buch gewidmet. „Das andere Potsdam“ soll im Frühjahr erscheinen und die Diskussion versachlichen – so jedenfalls wünscht es sich der Herausgeber. Das Buch ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts am Kunsthistorischen Institut der Marburger Philipps-Universität, das vor dem Hintergrund der Diskussionen um den Wiederaufbau der Potsdamer Mitte und der damit zwangsläufig verbundenen Abrisse von DDR-Bauten entstanden war.

Besonderheiten der DDR-Bauten

Ziel sei eine Publikation gewesen, die die Planungs- und Baugeschichte der Potsdamer Ostmoderne aus den 1960er- und 1970er- Jahren, aber auch Bauten aus anderen Jahrzehnten der DDR nachvollzieht und ihre Besonderheiten beschreibt, sagt der 34-jährige gebürtige Münsteraner, der selbst acht Jahre lang in Potsdam gelebt hat. Dabei sollte auch der Frage nachgegangen werden, ob die jeweiligen Gebäude tatsächlich – wie vielfach angenommen – ausschließlich auf die Tilgung alles Barock-Preußischen abzielten oder nicht auch Rücksicht auf die historischen Stadtstrukturen genommen haben. Beschrieben werden insgesamt 26 teils noch erhaltene, teils bereits abgerissene Gebäude und Ensembles aus allen Epochen der DDR-Architektur, darunter das Haus des Reisens, das Rechenzentrum, das Café Seerose und die Schwimmhalle am Brauhausberg.

Das Buch macht deutlich, wie sehr sich die städtebaulichen Prämissen des SED-Regimes im Laufe der Zeit verschoben haben. So setzte man in den 1950er-Jahren noch darauf, allzu gravierende Einschnitte in die historisch gewachsene Stadtstruktur zu vermeiden. Im Gegenteil: Der Wiederaufbau von Stadtschloss und Garnisonkirche standen nicht zur Disposition, in der Wilhelm-Staab-Straße wurden hinter den noch stehenden originalen Fassaden neue Wohnungen gebaut – die „erste Barockstraße der DDR“ – oder neue Fassaden in einer historisierenden Fantasiearchitektur kreiert.

Billiger als ein Wiederaufbau

Die Abkehr von dieser Linie ließ indes nicht lange auf sich warten: 1957 bereits forderte Walter Ulbricht, Ruinen abzureißen, wenn ein Neubau billiger als ein Wiederaufbau wäre. Nur wenige Monate später forderte ein SED-Abgeordneter in der Stadtverordnetenversammlung, dass ein „sozialistisches Potsdam“ entstehen müsse und keine Barockstadt. Als Folge kam es zu einer Abrisswelle, der unter anderem die Alte Post an der Ecke Friedrich-Ebert- und Yorckstraße, der Plögersche Gasthof in der Schloßstraße und schließlich das Stadtschloss zum Opfer fielen. Die 1960er-Jahre standen dann im Zeichen der sozialistischen Stadtplanung, die auf Historisches bekanntlich wenig bis keine Rücksicht mehr nahm. Allerdings sollte das alte Potsdam nicht gänzlich ausgelöscht werden, eher strebte man eine Verbindung zwischen Alt und Neu an. Was aber nicht ins Bild passte, wie Stadtschloss und Garnisonkirche, musste letzten Endes weichen.

In die Dekade der 1960er-Jahre fällt die Errichtung einiger der umstrittensten Gebäude der Ostmoderne, darunter das Haus des Reisens, das Rechenzentrum und das Mercure-Hotel, damals Interhotel Potsdam. Oft als klotziger Gegenentwurf zur später abgerissenen Garnisonkirche geschmäht, erfährt der Leser des Buchs indes auch weniger bekannte Details. So war das Hotel noch zu Beginn der 1960er-Jahre nicht als Ersatzdominante konzipiert – es sollte vielmehr die Innenstadtsilhouette bereichern und neben der damals noch zum Wiederaufbau vorgesehenen Garnison- und auch zur Nikolaikirche bestehen können. Dazu kam es bekanntlich nicht. Doch in dem sozialistischen Bauprojekt zeigt sich auch, wie ambivalent die DDR mit ihrem preußischen Erbe umging: So gab es in dem Hotel ein barock eingerichtetes „Knobelsdorff-Appartement“ – eine Anspielung auf die einstige Nähe des inzwischen abgerissenen Stadtschlosses, dessen Architekt Knobelsdorff war. Klusemann zählt das Hotel zwar nicht zu den „herausragenden Bauten der Ostmoderne“, verweist aber auf den Umstand, dass es sich trotzdem um ein Unikat handelt.

Sinneswandel im Umgang mit historischen Gebäuden

Obwohl sich die radikale Veränderung in der Potsdamer Mitte in den 1970er-Jahren fortsetzte und ihren Höhepunkt erreichte, begann in dieser Dekade auch ein erneuter Sinneswandel im Umgang mit den historischen Bauten. Als Beispiel führt Klusemann etwa die Sanierung der Klement-Gottwald-Straße (heute Brandenburger Straße) an. Bei der Rekonstruktion der Häuser sei man damals so genau gewesen, dass selbst Überformungen aus dem 19. Jahrhundert wieder zurückgebaut wurden.

Demgegenüber wurde im gleichen Zeitraum mit dem Komplex aus dem Institut für Lehrerbildung (heute Fachhochschule) und der Bibliothek sowie dem daneben liegenden Staudenhof-Wohnblock ein Gebäudeensemble errichtet, das vielen als größter Fremdkörper im historischen Stadtbild gilt. Auch hier finden sich laut Klusemann indes Reminiszenzen ans historische Potsdam – etwa durch die Farbgebung in sogenanntem „Potsdam-Gelb“, in dem auch Schloss Sanssouci gestrichen ist und durch gestalterische Elemente wie etwa die vertikalen Wandvorlagen – ein Motiv, das sich auch im „Barock-Klassizismus“ findet. Der Komplex sei in der DDR architektonisch einmalig gewesen, schreibt Klusemann. Doch trotz der Massigkeit des Gebäudes trieb die DDR-Oberen offenbar die Sorge um, der Komplex könne gegenüber der Nikolaikirche nicht bestehen: Ein SED-Sekretär warnte bereits Ende der 1960er- Jahre, als noch an der Beseitigung der Kriegsschäden an der Kirche gearbeitet wurde: „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass eine gewaltige Wirkung erzielt wird, wenn das Portal der Kirche fertiggestellt ist.“

FH-Abriss sei nicht mehr abzuwenden

Daran, dass der bereits vor Jahren beschlossene, aber umstrittene Abriss der Fachhochschule noch abzuwenden ist, glaubt Klusemann nicht – auch wenn er sich einen Erhalt durchaus vorstellen könnte. Lieber noch sähe er allerdings für den ebenfalls zum Abriss vorgesehenen Staudenhof-Wohnblock eine Zukunft. Auch dieser Bau sei zwar „nicht schön“, räumt Klusemann ein, doch sein zeitgeschichtlicher Wert mache ihn erhaltenswert. Dieses Gebäude unterscheide sich nämlich ebenfalls von den standardisierten Plattenbauten der damaligen Zeit. „Da steckt viel Herzblut drin“, sagt Klusemann. So beschrieb der Architekt Hartwig Ebert noch vor wenigen Jahren in einem Interview, dass er wegen der geforderten Unverwechselbarkeit des Hauses noch Probleme mit dem Wohnungsbaukombinat Potsdam bekommen habe. Er wolle den volkseigenen Betrieb mit seinem Entwurf wohl in den Ruin treiben, so der Vorwurf.

Nicht alle einst stadtbildprägenden Gebäude finden sich jedoch in dem Buch. So fehlen etwa der Komplex aus Schuhkaufhaus und Basar am Platz der Einheit, der dort stand, wo sich heute die Wilhelm-Galerie erhebt. Auch das ebenfalls längst abgerissene Fernmeldeamt der Post in der Straße Am Kanal ist nicht vertreten. Zu beiden habe es leider keine ausreichenden Informationen gegeben, erklärt Klusemann. Abgesehen davon sei man bei der Zusammenstellung der Gebäude auf Vollständigkeit bedacht gewesen, konzentriert habe man sich aber im weitesten Sinne auf die Innenstadt.

Eine ausdrückliche Lanze für den Erhalt von Ostmoderne um jeden Preis bricht der Autor nicht, doch mahnt er, sorgfältig abzuwägen: Es sei doch erstrebenswert, nicht eine Architekturepoche als die einzig richtige zu deklarieren, sondern ein „abwechslungsreiches Bild der Stadt zu bewahren, das erst durch die Ablesbarkeit aller Facetten ihrer Historie, den schönen und den hässlichen, authentisch und spannend erscheint“.

Christian Klusemann, „Das andere Potsdam. 26 Bauten und Ensembles aus den Jahren 1949-1990“ erscheint voraussichtlich am 18. April 2016 und kostet 16,90 Euro

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