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Mysteriöser Krater im Wald bei Fahrland. Der Krater hat einen Durchmesser von etwa 120 m und stammt vermutlich von Munitionssprengungen der in der ehemaligen DDR stationierten Sowjetischen Armee.

© Repro

Das Unwahrscheinliche in Betracht ziehen: Das Rätsel um den Krater von Fahrland

120 Meter Durchmesser, 13 Meter tief: Auf Luftbildern der Döberitzer Heide hat der Heimatforscher Helmut Matz einen gewaltigen Trichter entdeckt. Wie ein Detektiv hat er dessen Geheimnis gelüftet.

Von Carsten Holm

Potsdam - Es ist Mittwoch, der 27. Dezember 2017, ein kalter, regenfreier Wintertag. Nur 1000 Meter hoch zieht eine einmotorige Cessna ihre Bahnen über die Döberitzer Heide, sie ist im Auftrag der in Prenzlau residierenden Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg (LGB) unterwegs. Eine Digitalkamera fotografiert Meter um Meter – in einer Qualität, die nach der Umsetzung in ein sogenanntes digitales Geländemodell (DGM) jeden Graben und jede Mulde ab einer Tiefe von 50 Zentimetern erkennen lässt. Die Fotos werden im landeseigenen Kartennavigator „Brandenburgviewer“ archiviert.

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Es ist ein großer Zufall, dass der Caputher Heimatforscher Helmut Matz auf diese Aufnahmen stößt, als er den Navigator durchstöbert. Er vergrößert sie auf der DGM-Ebene und macht nah am Ortsende von Fahrland eine Entdeckung, die ihn fasziniert. Sichtbar wird die Struktur des Areals ohne Bäume und Sträucher – und plötzlich tut sich vor seinen Augen ein nackter Krater auf. Durchmesser: rund 110 Meter. Tiefe: 13,5 Meter. Auf dem Grund eine Sohle, am Rand eine vier Meter hohe Rampe. „Ein so großer Krater dort? So etwas habe ich mir nicht vorstellen können“, sagt Matz. Der 68jährige, zu DDR-Zeiten studierter Bauingenieur und nach der Wende drei Jahrzehnte Haustechniker bei der Hoffbauer-Stiftung in Hermannswerder, will den Fall lösen.

Der Ermittler führt die PNN zur Tatortbesichtigung. Ein Namensvetter, der Fahrlander Ortsvorsteher Stefan Matz (parteilos), wandert mit. Treffpunkt in der Kienhorststaße, über den Wanderweg geht es in Richtung Döbritzer Heide. Stefan Matz kennt die Gegend eigentlich gut, er war hier oft mit seinem Mountainbike unterwegs. Aber der Krater ist auch ihm unbekannt. Weiter führt die Tour über die kleine Speckdammbrücke, dann ein sandiges Stück in schöner Landschaft bergan und bald nach links in ein Waldstück. Intensiv riecht es nach Holz, Erde und Laub. Nach einiger Zeit taucht plötzlich die Rampe auf. Sie ist etwa 50 Meter lang und führt zum Krater. „Ein bisschen unheimlich ist das hier schon“, sagt der Ortsvorsteher.

Der Hobbyforscher Matz scheint hier jeden Baum zu kennen. Zitterpappeln, Rotbuchen, wenige Birken, Kiefern und Robinien strecken ihre Kronen im Krater gen Himmel. „Mit den Kiefern lässt sich das Alter der Bäume gut bestimmen“, sagt er, „sie legen Jahr für Jahr neue Quirle an, einen Kranz von Zweigen um den Stamm.“ Er zählt und rechnet vor: Die Kiefern sind 30 bis 35 Jahre alt – gewachsen also, als die Russen den Truppenübungsplatz nicht oder kaum noch nutzten, bevor sie die DDR bis 1994 verließen. Vorher hätten die Bäume dort nicht gedeihen können. Nun ist Matz einen kleinen Schritt weiter.

Ungewöhnlicher Neigungswinkel

Der Ortsvorsteher Matz steigt hinab zur Sole und kehrt beeindruckt zurück: „Eine völlig andere Akustik dort unten. Die Umgebungsgeräusche sind weg, man hört nur noch Flugzeuge.“ Der Forscher Matz inspiziert unterdessen Kraterrand und Rampe: „Der Neigungswinkel der Rampe stimmt nicht mit dem des Kraters überein. Sie muss aufgeschoben worden sein, als es den Krater schon gab.“ Er zeigt auf einige Mulden: „Eindeutig Stellungen für Soldaten.“ Aber wie ist der Krater entstanden? Warum wurde die Rampe aufgeschüttet? Wer brachte sich in den Mulden in Deckung? Und, vor allem: Wovor?

Der Forscher Matz will all das aufklären. Er stellt Hypothesen auf und verwirft sie. Stellt neue Hypothesen auf und verwirft auch die. Ist das riesige Erdloch nach dem Abwurf einer Weltkriegsbombe entstanden oder die Folge der Selbstzündung eines Blindgängers? Matz schüttelt den Kopf: „Beides würde nicht zu einem so großen Krater führen.“ Er ist sich ziemlich sicher. Und er wird Recht behalten. Erfahrungswerte aus der Welt der Bomben sprechen dagegen. Als im Dezember 2011 ein 100-Kilo-Kaventsmann, ein Blindgänger, im Landkreis Spree-Neiße ohne Fremdeinwirkung explodiert, tut sich ein Loch mit zehn Metern Durchmesser auf. Aber es sind eben nur zehn, nicht hundert Meter. 

Alien-Landeplatz und Raketenbasis ausgeschlossen

Wer an einem Tatort ermittelt, muss auch Unwahrscheinliches in Betracht ziehen. Ein Landeplatz für Aliens? „Quatsch“, sagt Matz. Eine versteckte Raketenbasis? Nein, die waren zumeist mobil. Ein Meteoriteneinschlag vielleicht? „Das habe ich mich tatsächlich gefragt“, sagt Matz. Was er entdeckt hat, widerlegt diese Theorie zunächst nicht. Kleine Meteoroide auf Kollisionskurs mit der Erde verglühen oder zerplatzen beim Eintritt in die Erdatmosphäre. Größere Körper rasen mit mehr als 200.000 Kilometern pro Stunde auf irdischen Boden zu. Sie formen sogenannte Einschlagkrater, die wie das Nördlinger Ries in Bayern fast kreisförmig sind. Durchmesser dort: 24 Kilometer. Und wie vielleicht, wenn auch weitaus kleiner, den Fahrlander Krater? Wissenschaftler wissen, dass alle Himmelskörper des Sonnensystems mit fester Oberfläche von Kratern übersät sind – könnte irgendein Meteorit in grauer Vorzeit also Kurs auf Fahrland genommen haben?


Die PNN fragen Roger Heinlin, seit bald 30 Jahren Experte beim LGB für Luftaufnahmen. Als er im Brandenburgviewer im rechten Menu die Kartenebene „DGM” anklickt, dann in der Ortssuche „Kienhorststraße, Fahrland” eingibt, muss er den Ausschnitt nur noch vergrößern – und kann bald links in den Krater schauen. Die geographischen Koordinaten für den Trichter innerhalb des Brandenburgviewers: Ost: 367124, Nord: 5816153. In Google-Maps: 52.47944357414921, 13.043365230178983. Heinlin hat mannigfache Erfahrung bei der Auswertung von Luftaufnahmen, er war schon als NVA-Soldat Spezialist dafür: „Ganz klar kein Meteorit, da müsste in der Mitte ein kleiner Punkt sein, wo der Einschlag stattfand“, sagt er.

Wichtiger Hinweis auf Bildern von 1952

Matz wird bei den Ermittlungen von seinem Schwager, dem 71jährigen Potsdamer Wolfgang Mörtl, unterstützt. Der promovierte Mathematiker lehrte lange Zeit an der Hochschule in Zittau, nun suchen die beiden Männer bei der Aufklärung der Causa Krater nach Hilfe. Die Arbeit ist mühsam. Die Stadtverwaltung weiß nichts, im Potsdam Museum ist nichts bekannt, auch bei der Bundeswehr nicht. Dann kommt ein wichtiger Hinweis von Martin Conrad, einem der besten Kenner der Gegend. Er hat Luftbilder aus dem Jahr 1952 gesehen: keine Spur von einem Krater. Es ist ein erster Meilenstein auf dem Weg zur Lösung des Rätsels. Denn nun scheint klar, dass die Vertiefung nach 1952 entstanden sein muss, als die Russen Herren des Geländes waren.

Jetzt werden die Ermittlungen international ausgeweitet, Conrad knüpft Verbindungen nach Russland. Er macht den früheren Rotarmisten Sergej Tschikow ausfindig, der in der Döberitzer Heide stationiert war. Die Kommunikation über ein Sprachprogramm ist schwierig, die Botschaft des Russen aber eindeutig: Pioniere hätten in der Mitte des Kraters „Sprengstoff ohne Schale“ zur Explosion gebracht.

Plötzlich knallte es

An der Kraterforschung beteiligt sich auch der Ortsvorsteher Matz. Er bittet auf Facebook um sachdienliche Hinweise, bald meldet sich ein Zeitzeuge. Michael Schulze, 42, Inhaber des Marquardter Landgasthofs „Zum Alten Krug“, erzählt den PNN: „Ich war 1992 oder 1993 Schüler der Fahrlander Regenbogenschule. Ohne jede Vorwarnung knallte es plötzlich so gewaltig, dass das ganze Schulgebäude wackelte.“ Fenster, so der Gastronom, seien nicht zu Bruch gegangen, „aber viel fehlte da nicht“. Die Schule liegt etwa 3,5 Kilometer vom Krater entfernt. 

„Die Rote Armee hat dort beim Abzug aus Ostdeutschland Munition gesprengt“, sagt Schulze, „das haben russische Soldaten erzählt, und fast der ganze Ort hat es gewusst.“ Wochenlang, Tag für Tag, seien die Explosionen zu hören gewesen. Seine Erinnerungen trügen nicht. Es war die Zeit, in der die Westgruppe der russischen Truppen der DDR „Do swidanija“ sagte, auf Wiedersehen. Der Abzug von 337.800 Soldaten und mehr als 670.000 Tonnen Munition bis 1994 war im Zwei-Plus-Vier-Vertrag von 1990 zwischen den vier Siegermächten sowie der Bundesrepublik und der DDR beschlossen worden.

Helmut Matz
Helmut Matz

© Andreas Klaer

Später kommt heraus, dass die Russen manches heimlich vor Ort entsorgten. Christoph Meißner, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst, weiß, dass die Russen vor dem Abzug „Munition vergraben und gesprengt“ haben. Diese Praxis hätten sie später gegenüber dem deutschen Verbindungskommando „zugegeben“. Bekannt geworden sei dies insbesondere vom Truppenübungsplatz in Burg bei Magdeburg, „so wurde aber auch an anderen Orten verfahren“.

Sprengmeister Mike Schwitzke hat eine Erklärung

Bei dem komplizierten Puzzle hilft Mike Schwitzke, 49. Mörtl kontaktiert ihn, er ist Truppführer beim Kampfmittelbeseitigungsdienst der Polizei und kennt das Gelände gut, er hat dort mit seinem Team Munition aus den Weltkriegen und der Nachkriegszeit aus der sandigen Erde geholt. Über den Krater sagt Schwitzke den PNN: „Da wird wohl die russische Armee am Werk gewesen sein. Für Sprengübungen haben sie vermutlich das Erdreich mit Raupen gleichmäßig hochgeschoben. Unten auf der Sohle wurde dann zu Übungszwecken gesprengt.“ So etwas gebe es auf den Schießplätzen etlicher Truppenübungsplätze in West- und in Ostdeutschland.

Auch für die ominöse Rampe hat Schwitzke eine Erklärung: „So sieht eine typische Zündstelle aus. Von dort aus wurde gezündet, was unten im Krater lag.“ Und die Vertiefungen auf der Rampe, die wie kleine Schützengräben aussehen? Die seien für Soldaten ausgehoben worden, die am sogenannten Gewöhnungssprengen teilnehmen mussten, sagt Schwitzke: „Sie sollten sich in Deckung, aber in unmittelbarer Nähe zu einer Detonation an die Eindrücke gewöhnen und ihre Angst davor verlieren.“ War die Druckwelle oben in den Gräben spürbar? „Ja, auf jeden Fall.“

Schwitzkes Analyse deckt sich mit der des Luftbild-Spezialisten Heinlin vom LGB. Er identifiziert die größeren Mulden als Schutzmulden für Kraftfahrzeuge und Mannschaftsunterstände. Es ist für ihn eindeutig, dass die Erde im Krater „hochgeschoben“ worden sei, „damit Splitter von Explosionen nicht in die Schützengräben flogen.“ Was er dann erzählt, klingt nicht sehr gemütlich: „Die gut erkennbaren kleineren Gräben neben der Rampe waren Erdlöcher für eine Person. Typ ,Schützenmulde, liegend’.”

Der Krater ist zu sehen unter bb-viewer.geobasis-bb.de, bei der Ortssuche am besten die Adresse "Am Großen Graben" eingeben, in den Menüpunkten rechts dann unter "Digitales Geländemodell" alle drei verfügbaren Häkchen setzen. 

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