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Das Klinikum "Ernst von Bergmann" in Potsdam.

© Ottmar Winter

Exklusiv

Das steht im RKI-Bericht zum Corona-Ausbruch im Potsdamer Klinikum: Lage im Bergmann dramatischer als bekannt

Das Coronavirus hat sich so stark ausgebreitet, dass das Klinikum längere Zeit nicht zu einem sicheren Normalbetrieb zurückkehren kann. Das RKI schlägt deshalb vor, das Bergmann zum zentralen Corona-Krankenhaus zu machen.

Potsdam –  Der Corona-Ausbruch im kommunalen Potsdamer Klinikum „Ernst von Bergmann“ (EvB) hat schon jetzt dramatische Folgen: 28 Menschen sind seit dem 26. März in Brandenburgs zweitgrößtem Krankenhaus nach Infektion mit dem Corona-Virus gestorben. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich viele von ihnen erst im Krankenhaus infiziert haben. 15 weitere Infizierte müssen derzeit auf der Intensivstation des Klinikums beatmet werden – und für die kommenden Wochen ist keine Entwarnung in Sicht. Das geht aus dem internen Bericht des Kriseninterventionsteams des Robert-Koch-Instituts (RKI) hervor, der den PNN exklusiv vorliegt. Die Experten hatten am 3. April, angefordert von Brandenburgs Gesundheitsministerium nach Amtshilfeersuchen der Stadt, das Klinikum inspiziert. 

Nach dem RKI-Untersuchungsbericht sind das Ausmaß des Corona-Ausbruchs sowie die Missstände und auch die Folgen der Krise im Klinikum weit größer, als Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) und die Klinik-Chefs bislang öffentlich eingeräumt haben. „Momentan hat das EvB mehr als 80 stationäre Covid-19-Patientinnen und Patienten, von denen ein großer Anteil aus dem geriatrischen Bereich stammt“, so der fünfseitige RKI-Befund. Diese Zahlen hatte die Stadt zwar genannt. Doch weiter heißt es: „Es muss in den kommenden Wochen mit einer hohen Anzahl an schweren Verläufen mit intensiv- und Beatmungspflichtigkeit gerechnet werden.“

Das RKI kommt zu einer drastischen Empfehlung

Schlimmer noch: Dem RKI-Bericht zufolge ist der Ausbruch im Klinikum nach wie vor nicht unter Kontrolle  - und auch in absehbarer Zeit nicht leicht unter Kontrolle zu bringen. Zwar habe das Klinikum angegeben, es gäbe sogenannte „weiße“ coronafreie Bereiche, die sicher seien, „aber die Wahrscheinlichkeit, dass Covid-19-Patientinnen und -Patienten dort liegen, erscheint angesichts der großen Anzahl an Covid-19-Patientinnen und Patienten im Klinikum als relativ groß“. Daher kommt das RKI zu einer drastischen Empfehlung: „Es sollte überlegt werden, das EvB als zentrale Klinik für Covid-19-Patientinnen und Patienten einzurichten.“ Damit würde das Bergmann-Klinikum zum Corona-Krankenhaus der Region oder sogar des Landes Brandenburg.

Wie dann mit den Stationen umgegangen werden würde, die das Klinikum als „weiße Bereiche“ bezeichnet, die aber nicht sicher sind, lässt das RKI offen. Als Varianten werden die "Umwandlung in Covid-19-Bereiche" oder die „Weiterverfolgung des Ziels Umwandlung in sichere ,weiße' Bereiche“ genannt. Dies, so der Bericht, „muss auf lokaler und regionaler Ebene besprochen und entschieden werden“.

Die Stadt Potsdam teilte am Sonntagabend mit, derzeit sei „weder von der Landeshauptstadt Potsdam noch vom Land Brandenburg geplant“, durch gezielte Verlegungen von Covid-19-Patienten in das Klinikum daraus ein reines Corona-Krankenhaus zu machen.

Ein Patient am Fenster im Potsdamer Klinikum "Ernst von Bergmann". 
Ein Patient am Fenster im Potsdamer Klinikum "Ernst von Bergmann". 

© Ottmar Winter

Der Vorschlag, das Bergmann-Klinikum zum Corona-Krankenhaus zu machen, ist das Fazit des Berichts des RKI-Interventionsteams. Das verschwieg Oberbürgermeister Schubert jedoch, als er am vergangenen Dienstag die Handlungsanweisungen des Gesundheitsamts an das Klinikum auf Basis der RKI-Empfehlungen vorstellte und die Staatsanwaltschaft einschaltete. Sie soll laut Schubert unabhängig überprüfen, ob mutmaßliche Meldeverstöße dreier Ärzte und vermutetes Organisationsversagen der zweiköpfigen Geschäftsführung, bestehend aus Steffen Grebner und Dorothea Fischer, strafrechtlich relevant sind. Schubert hatte gegen die fünf Personen Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.

Wie konnte es soweit kommen?

Das Potsdamer Bergmann-Klinikum ist eines von 103 Krankenhäusern in Brandenburg und Berlin. Kein anderes hat – und zwar nicht einmal im Ansatz - mit einem Corona-Ausbruch in dieser Dimension zu kämpfen. Aber wie konnte es soweit kommen? Der RKI-Bericht zeichnet ein erschreckendes Bild, wie sich das Virus im Klinikum ausbreiten konnte - sogar nach dem ersten großen Ausbruch in der Geriatrie mit unter anderem 33 infizierten Patienten, der nach Klinikangaben am Abend des 27. März mit Laborbefunden bekannt geworden war.

Im RKI-Bericht heißt es: „Durch die nach Bekanntwerden des nosokomialen Ausbruchsgeschehens erfolgten, mehrfachen Umzüge ganzer Stationen und Bereiche mit zahlreichen zu diesem Zeitpunkt bekannten und noch nicht bekannten Covid-19-Patientinnen und Patienten, kann es zu weiteren Übertragungen gekommen sein.“ Und: „Auch ist die Aufbereitung von ganzen Stationen sehr aufwendig und kaum ohne große Wahrscheinlichkeit von weiteren Übertragungen durch die Umwelt möglich (Sars-CoV-2 überlebt wahrscheinlich >72 Stunden auf toter Materie).“ Nosokomial heißt, es handelt sich um Krankenhaus-Infektionen.

Mit anderen Worten: Während draußen bereits Kontaktsperren galten, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, wurden im Klinikum Patienten einzeln, aber auch mit ganzen Bereichen und sogar Stationen hin- und her verlegt. An anderer Stelle im Bericht heißt es: „Seit dem 27.3.2020 wurden Covid-19-Patientinnen und Patienten vorübergehend in weiteren Bereichen des Hauptgebäudes untergebracht.“ Bestätigt waren laut RKI-Befund am 27. März neben der Geriatrie auch Infektionen unter anderem in der Urologie, der Nephrologie und der Allgemeinchirugie.

RKI fordert "strukturierte Testung"

Laut RKI-Bericht vom 6. April hat noch niemand einen genauen Überblick, wohin wann welche Patienten bewegt worden sind – infizierte und nicht-infizierte. Das RKI mahnt daher im Bericht, das Klinikum müsse eine „Linelist und Zeitschiene“ führen, „da sonst kein Überblick über das Geschehen gewonnen werden kann“. Dazu gehörten „unter anderem die Angaben zu Zeit, Ort und Person (Personal und Patientinnen und Patienten), Aufnahmedatum, Station, Datum Verlegung auf andere Station, Kontaktpersonenstatus (…)“ sowie bei Infizierten Erkenntnisse zur Herkunft der Sars-CoV-2-Infektion und Dokumentation der Behandlung. Außerdem müsse es eine „strukturierte Testung und nachvollziehbare Dokumentation sowie Zusammenführung der Laborbefunde für das Personal“ geben, so der Bericht.

Dorothea Fischer, medizinische Geschäftsführerin des Klinikums, und Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) bei der Pressekonferenz zur Corona-Lage am 30. März 2020.
Dorothea Fischer, medizinische Geschäftsführerin des Klinikums, und Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) bei der Pressekonferenz zur Corona-Lage am 30. März 2020.

© Andreas Klaer

Das RKI mahnt auch an, dass das Klinikum positive Corona-Tests „unverzüglich und vollständig“ an das Gesundheitsamt melden muss – dies ist nach Infektionsschutzgesetz binnen einer 24-Stunden-Frist vorgeschrieben. Wer dies nicht tut, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Nach Angaben der Potsdamer Amtsärztin Kristina Böhm seien die Meldungen des Klinikums über 14 Tage unvollständig gewesen. Nach Angaben von Böhm hätte man ohne Meldeverstöße ein größeres Zeitfenster gehabt, den Ausbruch zu erkennen und zu bekämpfen. Noch spricht es kein Verantwortlicher offen aus, aber das hätte vielleicht Leben retten können. Ungeklärt ist, warum das Rathaus die Meldeverstöße nicht verfolgte. 

Der Geschäftsführung des Klinikums trauen die RKI-Experten offenkundig nicht zu, den Corona-Ausbruch allein professionell in den Griff zu bekommen. Die RKI-Empfehlung: „Eine im Ausbruchsmanagement kompetente Person wird in die Leitung des Krisenstabs integriert.“ Im Krisenstab vertreten sein sollen laut RKI auch die Krankenhaushygiene und der betriebsärztliche Dienst – was vorher offenbar nicht der Fall war. Die Stadt hat dies inzwischen auch angewiesen und den Einsatz externer Experten angekündigt.

Aufnahmestopp soll "dringend" bestehen bleiben

Seit dem 1. April gilt ein Aufnahme- und Verlegungsstopp für das Bergmann-Klinikum. Damit steht das Schwerpunkt-Krankenhaus mit 1100 Betten, das rund eine halbe Million Brandenburger medizinisch versorgen soll, außer für akut lebensbedrohliche Fälle nicht mehr zur Verfügung. Rettungswagen fahren das Krankenhaus nicht mehr an. Es ist von der Leitstelle abgemeldet, heißt es im Bericht. Das RKI empfiehlt „dringend“, den „Aufnahme- und Verlegungsstopp weiterhin aufrechtzuerhalten, bis die Versorgung von Patientinnen und Patienten in einem Bereich gewährleistet werden kann, der mit großer Wahrscheinlichkeit zu diesem Zeitpunkt als auch in Zukunft als ,weiß‘ angesehen werden kann“. Und weiter: „Dies ist aktuell nicht der Fall, Grundvoraussetzung hierfür ist auch ein vollständiger Überblick über das Geschehen.“ Zudem sei das Ausbruchsgeschehen – mit 20 neuen Befunden am 4. April – „weiterhin aktiv“.

Derzeit sind nach letzten Angaben des Klinikums vom 7. April 103 Mitarbeiter positiv getestet. 83 Patienten sind infiziert (Stand 11. April), von ihnen werden nach Angaben der Stadt 18 auf der Intensivstation behandelt und 15 von ihnen beatmet. Nach Klinikangaben von Karfreitag werden derzeit insgesamt 148 Patienten ohne Coronainfektion im Klinikum behandelt.

Als der Aufnahmestopp verhängt wurde, hatten Stadt und Klinikum angekündigt, dass EvB-Personal im kleineren St. Josefs-Krankenhaus aushelfen wird, das nun viele Patienten aufnimmt, die sonst im Bergmann wären. Aus Sicht des RKI ist das derzeit unmöglich. Für Personal aus dem EvB gelte, „dass dieses nur dann in anderen Einrichtungen arbeiten kann, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass es Sars-CoV-2-negativ ist“. Davon könne jedoch „zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgegangen werden“.

Ebenfalls Ort eines Corona-Ausbruchs: Seniorenpflegestätte der EvB Care GmbH auf Hermannswerder in Potsdam.
Ebenfalls Ort eines Corona-Ausbruchs: Seniorenpflegestätte der EvB Care GmbH auf Hermannswerder in Potsdam.

© Andreas Klaer

Es besteht die Gefahr, dass das Virus vom Potsdamer Klinikum aus mit entlassenen Patienten weiterverbreitet wurde – in Einrichtungen, in denen Hochrisikogruppen leben, nämlich betagte Menschen mit Vorerkrankungen. Das RKI verlangt, dass alle Alten- und Pflegeheime, in die seit dem 13. März aus dem Bergmann-Klinikum Patienten verlegt wurden, „umgehend darüber informiert werden“, dass diese Patienten „ein erhöhtes Risiko haben Sars-CoV-2-positiv zu sein“. Die Ex-Bergmann-Patienten müssten getestet werden, „auch wenn sie keine Symptome haben“.

Seit Dienstag, dem 7. April, gibt es einen Ausbruch in einem Potsdamer Pflegeheim, 38 von 80 Bewohnern sind infiziert. Der Übertragungsweg ist unklar, das Heim wird von einer EvB-Tochter gemeinsam mit der Hoffbauer-Stiftung betrieben.

Das RKI fordert im Bericht, die „Ausbruchuntersuchung“ auf die anderen Standorte des Bergmann-Konzerns auszuweiten. Konkret werden neben der Psychiatrieklinik In der Aue in Potsdam-Babelsberg die Klinik in Bad Belzig sowie die Lausitzklinik in Forst genannt.

219 Infizierte auf 100.000 Einwohner

Im Lagebild „Corona“, das der Krisenstab der Landesregierung zweimal täglich erstellt, nimmt Potsdam einen einsamen Spitzenplatz ein: Auf 100.000 Einwohner kommen in Brandenburgs Landeshauptstadt 219 Infizierte (Stand 11. April 13 Uhr). In Berlin sind es 122, in Cottbus – wo Brandenburgs größtes Krankenhaus arbeitet – sind es 35 Infizierte auf 100.000 Einwohner. Das Land Brandenburg zählt 50 Tote nach Coronavirus-Infektion (Stand 11. April 13 Uhr) – 28 von ihnen starben im Bergmann-Klinikum.

Am 27. März – an diesem Abend gingen am Klinikum erstmals in großer Anzahl positive Testergebnisse von Patienten ein - hatte die Stadt den zweiten Corona-Todesfall vermeldet. In der Mitteilung wurde Oberbürgermeister Schubert zitiert. Er wünsche sich, „dass wir die Erklärungsmuster, er wäre ohnehin an seinen anderen Krankheiten gestorben, aus den Debatten verbannen“, heißt es dort. Und weiter: „Wir dürfen nicht abstumpfen und müssen trotz der Situation menschlich bleiben.“

Bundeswehr soll in Potsdam helfen

Zu Beginn der Pandemie hatte Schubert versucht, das Land zu schnelleren und strengeren Einschränkungen zu drängen und war in Potsdam vorgeprescht. Jetzt ist die von ihm regierte Landeshauptstadt überfordert, die Lage in Potsdam allein unter Kontrolle zu bringen. Schubert hat in der Not deshalb nach PNN-Informationen jetzt sogar Hilfe der Bundeswehr angefordert. Brandenburgs Krisenstab hat einen Antrag bei der Bundeswehr auf Hilfeleistung "im Namen der Landeshauptstadt Potsdam gestellt", heißt es im "Lagebild Corona" des Landes vom 11. April. Die Stadt benötige „unterstützendes medizinisches Personal für die Bewältigung der Ausbruchsereignisse der vergangenen Tage“.

Nachtrag: Nach einer "Bitte um Richtigstellung" des Pressestelle der Landeshauptstadt Potsdam vom 12.4.2020, 18.50 Uhr, haben wir diesen Beitrag am 13.4.2020 um 10 Uhr ergänzt.

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