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Das Buch von Ludwig Sternaux ist neu aufgelegt worden

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Das Bild von Potsdam vor 100 Jahren: Alte Zeiten, gute Zeiten

1924 veröffentlichte Ludwig Sternaux seine Streifzüge durch Potsdam und beklagte darin die leere Hülle der Stadt, die der Wechsel zur Demokratie hinterlassen habe. Nun ist das Buch neu erschienen.

Es ist ruhiger geworden in dieser leidvollen Zeit. Jemand hat die Pausentaste gedrückt. Mancher Streit vergangener Tage ist in den Hintergrund getreten. Auch in Potsdam: Die langen Auseinandersetzungen um das Gesicht dieser Stadt, um ihr Selbstverständnis, sind in der Öffentlichkeit angesichts der Pandemie zwar nicht verschwunden, aber weniger präsent als vor einem Jahr. 

Sternaux erkundet vor allem Hohenzollernparks

Mit der Identität Potsdams rang einst auch Ludwig Sternaux, als er vom nahen Berlin aus in den Jahren nach der Revolution von 1918 mehrfach die Stadt an der Havel besuchte. Diese Streifzüge waren die Grundlage für seinen Band „Potsdam - Ein Buch der Erinnerung“. Die erste Auflage erschien 1924 im Berliner Edwin Runge Verlag. Jetzt ist das Werk im Verlag „Die Mark Brandenburg“ neu aufgelegt worden. Der Journalist und Literat Sternaux erkundet darin die Innenstadt, aber vor allem die Hohenzollernparks mit ihren Schlössern. Und er spürt dem Geist des Ortes nach. Der genius loci jener Zeiten, in denen Potsdam durch monarchische Hand zu einer bedeutenden Stadt reifte, schien für den Autor in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zwar noch in der Architektur greifbar. Aber der Literat haderte damit, dass der Staat – mittlerweile eine Republik – jetzt anders tickte, war dieser doch nicht mehr auf die Krone ausgerichtet. 

Die Zäsur war für ihn schwer zu ertragen

Sternaux liebte Potsdam. Und trauerte um die Stadt. Er sah sie nach dem Abgang der Monarchie ihres Sinnes beraubt. Denn mit der Revolution verlor Potsdam seine Funktion als Residenz des preußischen Königs und deutschen Kaisers. Für den schreibenden Potsdam-Liebhaber aus der Reichshauptstadt war diese Zäsur nur schwer zu ertragen. Im Kapitel über das Stadtschloss konstatiert Sternaux, bedrückend sei „vor allem die Sinnlosigkeit einer Residenz ohne Hof und Hofhaltung“. So liest sich sein Buch als ein großer melancholischer Bericht über die Vergangenheit einer Stadt, die in der Gegenwart irgendwie entseelt sei. Der Geist des Ortes: ausgehaucht. Im November 1918 sei zerstört worden, „woran das Herz ein Leben lang geglaubt“, bekennt Sternaux. Trotz dieser Moll-Klänge dürfte das Buch für die meisten Leser heute, immerhin knapp 100 Jahre nach der Ersterscheinung, keineswegs ein Stimmungskiller sein. Wünscht sich doch kaum noch jemand die Monarchie zurück. 

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Sternaux schwelgt in seinem Band in der Historie Potsdams. Und vor allem: Detailreich lässt er die bauliche Entwicklung der Stadt vor dem Auge der Leser lebendig werden. Sein Interesse gilt dabei allerdings vornehmlich den Herrschern Brandenburgs und Preußens und der von ihnen initiierten Bauten und Parks. Einige Vorkenntnisse sollte man bei der Lektüre mitbringen. Denn ein klassisches Geschichtsbuch ist das Werk nicht, eher so etwas wie ein Strippenzieher zwischen den als bekannt vorausgesetzten grundlegenden Fakten. 

Schreibstil "so graziös wie sensibel"

Das kundige Baden in der Historie ist bei Sternaux zugleich ein Bad in der Sprache. Der Publizist Klaus Bellin bescheinigt ihm im Nachwort der kürzlich erschienenen Neuauflage, er schreibe „so graziös wie sensibel, sehr anschaulich und manchmal mit lyrischem Überschwang“. Da „glüht“ schon mal „uferwärts der braune Wald auf“, sogar „die Fortuna schmollt mit sich selbst“ und „verhaltenes Schluchzen quält die Kehle“ der Kaiserin. Wenn dann allerdings, wie Sternaux über das Neue Palais schreibt, in allen Zimmern Seelen weinen oder ein Mosaik im Boden Grabeskälte atmet – nun ja, dann zeigt dies eben die emotionale Betroffenheit des Autors, der es nicht verwinden kann, dass Friedrichs Palais am Westende des Parks Sanssouci nun „totes Museum geworden“ ist.

Potsdam kämpft weiter mit Brüchen

Tempi passati? Ja, längst vergangen sind die Zeiten, da man sich erst daran gewöhnen musste, dass die Monarchie abgedankt hat. Aber auch heute kämpft Potsdam mit Brüchen – solchen in Geschichte und Architektur. Und wer sich jetzt, nach jahrzehntelanger Demokratieerfahrung, darüber wundert, dass vor 100 Jahren so manche Deutsche mit der Weimarer Republik fremdelten, findet bei Sternaux vielleicht eine Erklärung. Zumindest zeigt das Buch, wie jenen Menschen damals zumute gewesen sein konnte, die vormals fest hinter der Krone standen – und in Potsdam zudem die herr(schaft)lichen Bauten der Monarchie immer noch täglich zu Gesicht bekamen.  

Auch mit einigen Legenden räumt Sternaux in diesem Potsdam-Buch auf. Am berühmtesten dabei: Die Geschichte vom angeblichen Streit zwischen Friedrich dem Großen und dem Müller von Sanssouci. Der König soll sich am Geklapper der Windmühle nahe seinem Sommerschloss gestört haben, so jedenfalls eine Version dieser vermeintlichen Streitgeschichte. Sternaux verwendet genau einen Halbsatz darauf, die – nett klingende, aber leider unwahre – Anekdote ins Reich der Legende zu verbannen. 

Ebenfalls als historisch zumindest schief erweist sich die Behauptung, Friedrich II. habe das Neue Palais bauen lassen, um der Welt zu zeigen, dass seine Kassen nach dem Siebenjährigen Krieg keineswegs leer waren. Es stimmt zwar, dass Friedrich den prachtvollen Schlossbau als Fanfaronade, also Prahlerei, bezeichnet hat. Auch wird es ihm sehr gefallen haben, mit dem Schloss so bald nach dem Krieg andere Herrscher zu beeindrucken. Jedoch verweist Sternaux zu Recht darauf, dass Planung und Entwurf für das Palais bereits aus der Zeit vor Beginn des Krieges stammten. 

Forschung widerlegte Legende um Zeltzimmer

Nicht ganz korrekt ist hingegen, was Sternaux über das Zeltzimmer im Schloss Charlottenhof schreibt. Der Raum sei aus Höflichkeit gegenüber Alexander von Humboldt „halb als Zelt, halb als Schiffskabine maskiert“ worden. Humboldt war Kammerherr am preußischen Hof. Auch wenn sich die Geschichte bis in unsere Tage erhalten hat, wonach das eigentümlich anmutende Zimmer extra für den Globetrotter Humboldt so unkonventionell eingerichtet worden sei, so ist dies dennoch durch Forschungen widerlegt worden. 

In der Neuauflage fehlen Marquardt und Paretz

Ludwig Sternaux, der für das alte Potsdam so schwärmte, hat mehrere Bücher über diese Stadt geschrieben. In der nun vorliegenden Neuauflage seines 1924 erschienenen Werkes fehlen die Kapitel über Marquardt und Paretz, worauf der Verlag hinweist. Sie sollen in einem späteren Sternaux-Band über die weitere Umgebung Potsdams erscheinen. Der Schriftsteller hatte mit seinen Erkundungen nicht an der Stadtgrenze Halt gemacht. So finden sich auch Kapitel über die Pfaueninsel und Glienicke im Buch. Die Neuauflage enthält zudem historische Potsdam-Aufnahmen des bekannten Fotografen Max Baur. Eines seiner Fotos ziert auch den Einband des neuen Buches, der optisch einen etwas freudlos-düsteren Eindruck macht - vermutlich eine Reminiszenz an Sternaux und seine Trauer um das verlorene Potsdam der Hohenzollernzeit

Angaben zur Person des Autors finden sich im Buch nur im Nachwort von Klaus Bellin. Demnach wurde Sternaux 1885 in Berlin geboren, wo er 1938 auch verstarb. Er studierte Jura und Literatur, arbeitete bei mehreren Verlagen, schrieb für Zeitungen, unter anderem den Berliner Lokal-Anzeiger, und publizierte Bücher. Sternaux, so schreibt Bellin, habe sein Leben lang Fontane gelesen. Der märkische Großschriftsteller sei sein Lehrmeister geworden. Stilistische Gemeinsamkeiten lassen sich dennoch eher nicht finden. Sternaux hatte seine ihm ganz eigene Tonlage entwickelt - schwärmend, trauernd, um die große Geste nicht verlegen.

Sternaux erinnert an Nikos Kazantzakis

Und Georg Hermann, der andere Literat und Wanderer durch das Potsdam der 1920er-Jahre? Er führte weniger Überschwang in der Feder als Sternaux, schrieb mit seinem „Spaziergang in Potsdam“ ein sanft-humoriges von Feinsinn geprägtes Buch. Sternaux indes erinnert in der Sprache und mit seinem die Vergangenheit locker durchdringenden Blick an Nikos Kazantzakis, der seine griechische Heimat so wunderbar atmosphärisch beschreiben konnte. Der Grieche allerdings ließ das Pendel der Emotionen nicht gar so stark ausschlagen. 

Das alte Potsdam, um das Ludwig Sternaux in den Jahren nach der Revolution von 1918 trauerte, war mit den Architekturanleihen und der Einbettung in die Landschaft tatsächlich auch immer ein Stück Griechenland, eben ein preußisches Arkadien. Und dies ist die Stadt noch heute. Das meiste von damals hat sich erhalten. Auch Sternaux würde dies vermutlich so sehen. Schon vor knapp 100 Jahren notierte er immerhin: „Potsdam lebt, ob es gleich tot ist. Die Residenz nur, die Garnison sind gestorben.“ 

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