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Zwei Gebäudeteile des Klinikums "Ernst von Bergmann" in Potsdam.

© Ottmar Winter

Coronavirus in Potsdam: Das Klinikum und die Versäumnisse

Wie das kommunale „Ernst von Bergmann“-Klinikum mit dem Coronaausbruch im Krankenhaus und seinen Ursachen umgeht, wirft weiterhin viele Fragen auf.

Potsdam - Das kommunale Potsdamer Klinikum „Ernst von Bergmann“ sieht weiterhin keine Mängel und eigenen Versäumnisse in der Vorbereitung des Krankenhauses auf die Coronapandemie und im Umgang mit dem schweren Coronaausbruch im Klinikum. Im Bergmann-Klinikum sind seit dem 26. März 45 Menschen im Zusammenhang mit einer Sars-CoV-2-Infektion gestorben.

So meldete sich das Klinikum jetzt in einer Reaktion auf die PNN-Berichterstattung zur Konstituierung der vom Aufsichtsrat des Klinikums eingesetzten Untersuchungskommission mit einer Stellungnahme zu Wort.

Darin heißt es unter anderem, im Bericht des Interventionsteams des Robert Koch-Instituts (RKI), das am 31. März von Stadt und brandenburgischem Gesundheitsministerium wegen des Coronaausbruchs im Klinikum zur Hilfe gerufen worden war, „werde mit keinem Wort von irgendwelchen Mängeln oder Versäumnissen gesprochen“. Das RKI gebe lediglich Handlungsoptionen und -empfehlungen, der Bericht sei insofern keine „Mängelliste“, so das Klinikum.

Das sehen eine breite Mehrheit der Potsdamer Stadtverordneten, Krankenhaus-Experten und auch der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) als alleiniger Gesellschaftervertreter des Klinikums jedoch deutlich anders. Schubert sprach beispielsweise bei der Pressekonferenz zur Beurlaubung der bisherigen Klinikum-Geschäftsführung Steffen Grebner und Dorothea Fischer im Nachgang des Virusausbruchs mehrfach von den im RKI-Bericht aufgeführten „Mängeln“.

Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) verkündet am 23. April 2020 die Beurlaubung der Geschäftsführung des Klinikums "Ernst von Bergmann".
Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) verkündet am 23. April 2020 die Beurlaubung der Geschäftsführung des Klinikums "Ernst von Bergmann".

© Andreas Klaer

Die „Verfehlungen vor Ort“ seien „gravierend und unentschuldbar“, sagte gar der SPD-Gesundheitsexperte und Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach. Das Klinikum hätte „sehr viel früher mehr Leute testen müssen und hätte, bis das Testergebnis vorliegt, die Betroffenen isolieren müssen“, so der Gesundheitswissenschaftler und Mediziner Lauterbach, der seinen Abschluss in Epidemiologie an der US-Universität Harvard machte. In Potsdam hätten „weder die frühe Testung“ funktioniert, noch „die Isolation während getestet wurde“. Lauterbach, der angibt, auch derzeit selbst in vielen Kliniken unterwegs zu sein, hält das Geschehen im Potsdamer Klinikum für eine „Rarität“. „Ein so sorgloses Umgehen mit der Erkrankung, dass sich mehr als 100 Mitarbeiter sogar infizieren konnten, das ist schon außergewöhnlich“, sagte Lauterbach Ende April gegenüber dem ZDF-Magazin „Frontal 21“.

Detaillierte Anweisungen des RKI

Die als „Handlungsoptionen und -empfehlungen“ titulierten Aufzählungen im RKI-Bericht decken gleichsam auf, was das Potsdamer Klinikum zuvor in Vorbereitung auf die Coronapandemie und im Umgang mit dem Ausbruch den Untersuchungen des RKI nach versäumt sowie mangelhaft umgesetzt hatte.

So heißt es dort unter anderem: „Eine im Ausbruchsmanagement kompetente Person wird in die Leitung des Krisenstabs integriert.“ Im Krisenstab vertreten sein sollen laut RKI zudem auch die Krankenhaushygiene und der betriebsärztliche Dienst – einschlägigen Publikationen zur Umsetzung von Pandemieplänen nach eine Selbstverständlichkeit, doch auch das war vorher nicht der Fall. Dies hatte direkte Auswirkungen auf Kenntnis von und Umgang mit infizierten Mitarbeitern im Klinikum sowie auf die Strategie im Umgang mit Infektionen bei Patienten und Personal.

Auch schreibt das RKI, das Klinikum müsse eine „Linelist und Zeitschiene nach Rücksprache mit dem Gesundheitsamt“ führen und fügt dafür sogar Beispiele hinzu, „da sonst kein Überblick über das Geschehen gewonnen werden kann“. Es folgen detaillierte Anweisungen dazu, wie die Infektionen dokumentiert werden müssen – was das Klinikum zuvor nicht entsprechend getan hatte, wie auch die laut Stadt und Gesundheitsministerium über mehrere Tage nicht vollständigen Meldungen nach Infektionsschutzgesetz belegen.

Das RKI führt in seinem Bericht außerdem Folgendes an (Auszüge aus dem Bericht vom 6. April 2020):

Sowohl der betriebsärztliche Dienst als auch die Krankenhaushygiene werden integraler Bestandteil des Krisenstabes des Krankenhauses (Krankenhauseinsatzleitung), insbesondere um folgende Anforderungen kompetent erfüllen zu können:

  • Strukturierte Testung und nachvollziehbare Dokumentation sowie Zusammenführung der Laborbefunde für das Personal, Beteiligung an der konzeptionellen Entwicklung einer Teststrategie für besonders vulnerable Bereiche, wie bspw. Personal in der Hämatologie und Onkologie, dies erfolgt unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Laborkapazitäten und sollte für den Bereich der Hämatologie/Onkologie mindestens alle 7 Tage erfolgen, nach Möglichkeit in kürzeren Abständen
  • Führen einer Linelist und Zeitschiene nach Rücksprache mit dem Gesundheitsamt (siehe Beispiele im Anhang), da sonst kein Überblick über das Geschehen gewonnen werden kann, hierzu gehören u.a. die Angaben zu Zeit, Ort und Person (Personal und Patientinnen und Patienten), Aufnahmedatum, Station, Datum Verlegungen auf andere Stationen, Kontaktpersonenstatus (wie Datum Exposition, Exposition zu wem etc.), mitgebracht oder nosokomial erworben, Datum Probenentnahmen (zu diesem Zeitpunkt auf welcher Station) und Befunde auf SARS-CoV-2, durchgeführte LungenCT mit Datum und Befund, Datum Entlassung, Verlegung und Tod, Datum ITS Aufnahme und Datum Beatmungspflichtigkeit etc. Da im EvB eine elektronische Patientenakte etabliert ist, können evtl. große Teile der Linelist und des Zeitschiene elektronisch erzeugt werden.
  • Patientinnen und Patienten, die in den 14 Tagen vor dem 27.03.2020 in Alten- und Pflegeheime verlegt wurden, müssen von dem Klinikum identifiziert werden, damit diese umgehend darüber informiert werden können, dass diese Patientinnen und Patienten ein erhöhtes Risiko haben, SARS-CoV-2 positiv zu sein. Diese Personen müssen auf SARS-CoV-2 untersucht werden, auch wenn sie keine Symptome haben, da es sich hier um besonders vulnerable Patientinnen und Patienten und Bereiche handelt und eine Weiterverbreitung in diesen Einrichtungen vermieden werden muss. (…)
  • Umstrukturierungen und Kohortierungen in anderen als den aktuell vorgesehenen Bereichen zur Versorgung der verschiedenen Patientengruppen erfolgen in enger Abstimmung und Absprache mit dem GA und werden von diesem begleitet. Durch die nach Bekanntwerden des nosokomialen Ausbruchsgeschehens erfolgten mehrfachen Umzüge ganzer Stationen und Bereiche mit zahlreichen zu diesem Zeitpunkt bekannten und noch nicht-bekannten COVID-19-Patientinnen und -Patienten, kann es zu weiteren Übertragungen gekommen sein.  Auch ist die Aufbereitung von ganzen Stationen ist sehr aufwendig und kaum ohne große Wahrscheinlichkeit von weiteren Übertragungen durch die Umwelt möglich (SARS-CoV-2 überlebt wahrscheinlich >72 Stunden auf toter Materie).
  • Das Ausbruchgeschehen im EvB ist weiterhin aktiv mit ca. 20 neuen Befunden am 04.04.2020 unter Personal (unter anderem weiteren Nachweisen in der Aue) und 84 stationären COVID19-Patientinnen und -Patienten, sodass dringend empfohlen wird, den Aufnahme- und Verlegungsstopp weiterhin aufrechtzuerhalten bis die Versorgung von Patientinnen und Patienten in einem Bereich gewährleistet werden kann, der mit großer Wahrscheinlichkeit zu diesem Zeitpunkt als auch in Zukunft als "weiß" angesehen werden kann. Dies ist aktuell nicht der Fall, Grundvoraussetzung hierfür ist auch ein vollständiger Überblick über das Geschehen, d.h. eine entsprechend mit dem GA abgestimmte Linelist und Zeitschiene (siehe oben). 
  • Die Ausbruchuntersuchung sollte auf die anderen Liegenschaften des EvB ausgedehnt werden (Erwachsenenpsychiatrie in der Aue, Bad Belzig, Lausitz Klinik Forst). (...)
  • Es sollte überlegt werden, das EvB als zentrale Klinik für COVID-19-Patientinnen und Patienten einzurichten. Wie mit den Stationen, die als „weiß“ gelten, aber auf denen mit großer Wahrscheinlichkeit noch SARS-COV-2 positive Patientinnen und Patienten liegen (vllt. abgesehen von der Hämatologie/Onkologie), umgegangen werden soll (Umwandlung in COVID-19-Bereiche oder Weiterverfolgung des Ziels Umwandlung in sichere „weiße“ Bereiche), muss auf lokaler und regionaler Ebene besprochen und entschieden werden. (GA = Gesundheitsamt, d. Redaktion)

Die Formulierung im aktuellen PNN-Bericht, das Klinikum habe „den Ausbruch zu spät erkannt und deshalb nicht adäquat reagiert“, bezeichnet das Klinikum in seiner Stellungnahme als falsch und behauptet, dies ergebe sich nicht aus der Pressemitteilung des Klinikums vom 18. April 2020.

In der Mitteilung heißt es wörtlich: „Im Zeitraum vom 13. bis 26. März ist im Klinikum Ernst von Bergmann eine kritische Entwicklung im Rahmen der Corona-Pandemie nicht ausreichend erkannt worden. Dabei sind tatsächlich nachgewiesene und registrierte Infektionen bei einzelnen Mitarbeitern nicht in einen inhaltlichen Zusammenhang gebracht und tiefgreifend analysiert worden.“ Dies betreffe insbesondere die Bereiche Nephrologie, Urologie, Geriatrie und Allgemeinchirurgie. Und weiter: „Damit hätten im Rückblick unter Umständen noch fundiertere Entscheidungen getroffen werden können.“ Die Geschäftsführung „bedauert dies sehr“.

Zudem wird in der Mitteilung der mittlerweile beurlaubte Geschäftsführer Grebner wie folgt zitiert: „Wir stellen uns als Geschäftsführung unserer Verantwortung. Wir haben für das Misstrauen des Gesundheitsamtes und des Oberbürgermeisters absolut Verständnis – auch für Verfügungen und Anordnungen. Wir werden etwaige Versäumnisse – insbesondere im Zeitraum vom 13. bis 26. März – transparent aufarbeiten und aktiv informieren. Zugleich wird das Klinikum die Kooperation und den Austausch mit dem Gesundheitsamt und der Stadt weiter intensivieren.“

"Umgehend noch heute"

Zur Berichterstattung der PNN über die Konstituierung der Untersuchungskommission schreibt das Klinikum in seiner Stellungnahme: Das Thema habe „im Augenblick sowohl intern als auch extern bei der Politik und der Untersuchungskommission eine so hohe Aufmerksamkeit, dass wir das so nicht stehen lassen können“. Daher, so heißt es in der E-Mail vom 15. Mai 2020, werde das Klinikum seinen Medienrechtsanwalt einschalten, wenn die PNN die entsprechenden Passagen nicht „umgehend noch heute“ korrigiere.

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