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Leere Stühle. Nicht nur Gastronomen benötigen Corona-Soforthilfe  von der ILB.

© Andreas Klaer

Coronakrise in den Firmen: Langes Warten auf Soforthilfe

Bei der ILB sind schon 74.487 Rettunganträge eingegangen. 300 der 600 Angestellten überprüfen sie. Und viele Unternehmer haben noch keinen Bescheid.

Von Carsten Holm

Potsdam - Auf den Staat ist Mark Baier in diesen Tagen nicht gut zu sprechen. Der 44 Jahre alte Potsdamer hat im Februar die Cafeteria im Oberstufenzentrum für Technik in Teltow übernommen, er versorgte täglich 300 Schüler und 50 Lehrer. Doch sechs Wochen später blieb der Herd kalt. Der Solounternehmer schloss seine Cafeteria wegen Corona.

Am 26. März hat Baier bei der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) einen Antrag auf einen nicht rückzahlbaren Zuschuss gestellt, Geld hat er bis heute nicht bekommen. Erst am 25. April, vier Wochen und zwei Tage nach seinem Antrag, forderte die ILB ihn auf, die Gewerbeanmeldung nachzureichen. 

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Seit fünf Wochen ist er blank. „Großspurig hat die Politik angekündigt, 9000 Euro für Solounternehmer bereitzustellen”, sagt Baier, „ich muss Monat für Monat 400 Euro Miete, 400 Euro Unterhalt für meinen Sohn, 200 Euro Krankenversicherung, dann noch Steuer und Versicherung für das Firmenauto zahlen. Ich weiß nicht wovon.”

Die ILB entscheidet über die Anträge auf Soforthilfe.
Die ILB entscheidet über die Anträge auf Soforthilfe.

© Andreas Klaer

So wie Baier geht es vielen. Bund und Länder hatten sich darauf geeinigt, kleinen und mittleren Unternehmen, die wegen der staatlich verordneten Schließung in einen Liquiditätsengpass gerieten, Sofortzuschüsse zu gewähren, die nicht zurückgezahlt werden müssen: Für bis zu zehn Mitarbeiter 9000 Euro, 15 000 für bis zu 15, 30 000 für bis zu 50 und 60 000 Euro für bis zu 100. Erstattet werden können etwa die Pacht für die Geschäfte sowie Kosten für Leasingverträge, Versicherungen und Telefon.

Grundsicherung soll Lebenshaltung sichern

Baier fühlt sich dennoch vom Staat alleingelassen. Wie nämlich Firmeninhaber persönlich über die Runden kommen, bleibt ihnen überlassen. Zuschüsse für Lebenshaltungskosten wie die Miete der Privatwohnung oder das täglich Brot gibt es nicht, die ILB verweist auf die Zuständigkeit der Grundsicherung, die einmal Sozialhilfe hieß. Personalkosten werden ebenso nicht erstattet, weil dafür die Bundesagentur für Arbeit mit Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld zuständig ist. „Würde mich meine Familie nicht über Wasser halten, wäre ich jetzt pleite, obwohl ich nichts für Corona kann”, sagt der Gastronom.

Justus von der Werth betreibt unter anderem das Café Eden am Park Sanssouci.
Justus von der Werth betreibt unter anderem das Café Eden am Park Sanssouci.

© Carsten Holm

Sein Schicksal teilen viele. An zwei der schönsten Orte in Potsdam tischt Justus von der Werth für Gäste auf. Er betreibt das Café Eden am Park von Sanssouci und das Mühlenhaus an der Mühle. Von der Werth hat Mitarbeitern den Lohn sonst auch während des Winters gezahlt, um sie zu halten. Das kostete ihn von November bis Februar rund 12 000 Euro. Jeweils ab März kamen die Gäste, und er konnte Geld zurücklegen für den nächsten Winter. Das Virus zerstörte sein Geschäftsmodell, er musste Mitarbeiter entlassen. Am 27. März beantragte er bei der ILB einen Zuschuss. Er rechnete mit 9000 Euro, aber bekam bisher nichts. Er ist enttäuscht, weil er, anders als zunächst verkündet, die Personalkosten nicht zur Liste der erstattungsfähigen Aufwendungen zählen. Im Mühlenhaus hat er jetzt nur Kosten, keine Einnahmen, im Café Eden konnte er wegen des Außer-Haus-Verkaufs immerhin sechs Mitarbeiter wiedereinstellen. „Weil der Staat Unternehmern keine Lohnzuschüsse zahlt, treibt er sie schlimmstenfalls in die Grundsicherung”, sagt er, „mit all den Versprechungen passt das nicht zusammen”.

Torsten Rüdiger von der Mühle weiß immer noch nicht, ob er finanzielle Hilfe vom Land erhält.
Torsten Rüdiger von der Mühle weiß immer noch nicht, ob er finanzielle Hilfe vom Land erhält.

© Carsten Holm

Gegenüber In der Mühle wartet Torsten Rüdinger auf den Zuschuss der ILB. Er hat den Antrag am 30. März gestellt, das Geld fehlt immer noch. Sein Mühlenladen gehört zur gemeinnützigen Mühlenvereinigung Berlin-Brandenburg, rund 65 000 Besucher kommen im Jahr zu ihm. Die Mühle zählt wie der Orgelbau, die Passionsspiele in Oberammergau und die Morsetelegrafie zum sogenannten immateriellen Kulturerbe der deutschen Unesco-Kommission. Aber das nützt Rüdinger auch nichts. Immerhin ist sein Laden nach sechs Wochen Zwangspause seit dem 1. Mai wieder geöffnet.

Antrag vor fünf Wochen: Keine Reaktion von ILB

Die ausbleibenden Finanzspritzen der ILB zerren an den Nerven. Dietmar Teickner, Chef des Lakritzkontors in der Jägerstraße, hat am 27. März einen Zuschuss beantragt. Ohne Reaktion. Sein Ostergeschäft fiel aus, es fehlt Umsatz in fünfstelliger Höhe. Teickner verzichtet jetzt auf eine Privatentnahme vom Geschäftskonto, um seine Mitarbeiter bezahlen zu können. Er hat kein Verständnis dafür, dass es erst hieß, auch die Personalkosten und Umsatzverluste seien erstattungsfähig, nun jedoch allein Betriebskosten. „Das waren leere Versprechungen”, sagt Teickner.

300 der 600 ILB-Mitarbeiter sitzen derzeit über den Soforthilfe-Anträgen. 
300 der 600 ILB-Mitarbeiter sitzen derzeit über den Soforthilfe-Anträgen. 

© Andreas Klaer

Auch in der Kommentar-Rubrik auf der Homepage der ILB machten Bürger ihrem Ärger Luft. „Helmut Potsdam” schrieb über einen Bekannten, der nach drei Wochen Geld bekommen habe: „Ich hab’ noch nix gehört. Wie ich schon sagte: Tombola. Irgendwie macht einen das völlig bekloppt.”

Tatsächlich versucht die ILB, eine Herkulesaufgabe zu stemmen. Pressesprecherin Ingrid Mattern legt auf Anfrage der PNN die Zahlen offen: „Wir hatten bis vorigen Donnerstag 74.487 Anträge. Und wir haben bis zu 300 unserer 600 Mitarbeiter in einer Sechs-Tage-Woche ausschließlich für die Antragsbearbeitung eingesetzt.” 

45.998 Anträge bislang bewilligt

Würden alle Unterlagen korrekt eingereicht, könne in 30 Minuten über einen Antrag entschieden werden, nicht selten aber fehlten Unterlagen. Die bisherige Bilanz: 45.998 Anträge bewilligt, knapp 300 abgelehnt. Mehr als 80 Prozent der Zuschüsse flossen in kleine Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten, insgesamt bereits 424 Millionen Euro. „Wir hoffen, die restlichen rund 30 000 Anträge in den nächsten Wochen abarbeiten zu können. Wer bis zum 15. April einen Zuschuss beantragt hat, sollte ihn, wenn er bewilligt wird, bis zum 15. Mai auf seinem Konto haben”, sagt die Sprecherin. Weil es um Steuergelder gehe, habe die ILB etwa „geprüft, ob die Unternehmen auch wirklich existieren und sie in Brandenburg wohnen.”

Anders als in Berlin. Dort wurden Zuschüsse ohne wirkliche Prüfung schnell ausgezahlt. Finstere Gestalten waren helle. Schon am 22. April ermittelte das Landeskriminalamt in 71 Fällen wegen Subventionsbetrugs. Immerhin gelang es den Fahndern, 18 000 Euro einzuziehen. Die soll sich der frühere Prediger einer längst geschlossenen Moschee erschlichen haben. Die Checks der Anträge in Potsdam machen offenbar Sinn: Aus der ILB-Zentrale an der Babelsberger Straße sind solche Fälle bislang nicht bekannt geworden.

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