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Klinikum "Ernst von Bergmann" in Potsdam.

© Sebastian Gabsch

Corona-Ausbruch im Potsdamer Klinikum: Bergmann-Verantwortliche im Visier der Strafjustiz

Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft zum Corona-Ausbruch im Bergmann. Beurlaubte Klinik-Chefs und drei leitende Mediziner stehen im Verdacht. Es geht auch um den Verdacht der fahrlässigen Tötung.

Potsdam - Im Potsdamer Bergmann-Klinikum sind bei dem heftigen Corona-Ausbruch im März zahlreiche Patienten an und mit Covid-19 gestorben. Insgesamt rund 350 infizierte Patienten und Mitarbeiter zählt das Krankenhaus. Kam es dazu, weil einzelne Verantwortliche des Klinikums im Vorfeld und im Umgang mit dem Ausbruch Fehler gemacht, Sachverhalte falsch eingeschätzt und notwendige Vorbereitungen versäumt haben? Diesem schwer wiegenden Verdacht geht ab sofort die Potsdamer Staatsanwaltschaft nach.

Sie hat nach wochenlanger Prüfung am Montag Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung sowie der fahrlässigen Körperverletzung gegen die vorerst für sechs Monate beurlaubte vormalige Klinikum-Geschäftsführung sowie drei leitende Ärzte aufgenommen. Dabei handelt es sich nach PNN-Informationen um den kürzlich abgesetzten Ärztlichen Direktor und Chefarzt der Infektiologie Thomas Weinke sowie die Krankenhaus-Hygienikerin und die Chefärztin der am stärksten vom Ausbruch betroffenen Geriatrie.

Ermittlungen können Monate dauern

Es gehe um einen Anfangsverdacht, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Wilfried Lehmann am Montag den PNN. Bislang habe die Staatsanwaltschaft keine eigenen Ermittlungen angestellt. Dies beginne nun, man werde den Verdacht gegen die fünf Beschuldigten überprüfen. Das könne mindestens Monate dauern, sagte Lehmann. Über konkretes Vorgehen wollte er nicht sprechen: „Wir tun jetzt alles Erforderliche.“

Der beurlaubte kaufmännische Geschäftsführer des Klinikums "Ernst von Bergmann" in Potsdam Steffen Grebner.
Der beurlaubte kaufmännische Geschäftsführer des Klinikums "Ernst von Bergmann" in Potsdam Steffen Grebner.

© Ottmar Winter

Involviert ist die Staatsanwaltschaft seit dem 6. April. An diesem Tag hatte das Potsdamer Gesundheitsamt wegen nicht oder zu spät gemeldeter Corona-Infektionen und Verdachtsfällen Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen drei Klinikum-Ärzte eingeleitet. „Pflichtgemäß“ habe das Gesundheitsamt diese Verfahren der Staatsanwaltschaft vorgelegt, weil es Anhaltspunkte für Straftaten gesehen habe, teilte die Behörde mit. Den beschuldigten Ärzten werde vorgeworfen, gegen die Meldepflicht nach Infektionsschutzgesetz verstoßen zu haben. Dadurch soll es dem Potsdamer Gesundheitsamt „nicht möglich gewesen sein, Rückschlüsse auf eine epidemiologische Lage zu ziehen“ – also das starke Infektionsgeschehen im Klinikum zu bemerken – und Maßnahmen zur Verhinderung oder Begrenzung eines Ausbruchs zu ergreifen oder anzuordnen, durch die „möglicherweise Infektionen oder gar der Tod von Patienten hätte verhindert werden können“, so die Staatsanwaltschaft. Möglicherweise hätten sich die Ärzte durch ihr Verhalten auch wegen eines Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz strafbar gemacht.

Hat Geschäftsführung nicht rechtzeitig gehandelt?

Der beurlaubte kaufmännische Geschäftsführer Steffen Grebner und die medizinische Geschäftsführerin Dorothea Fischer stehen laut Staatsanwaltschaft im Verdacht, „schon im Vorfeld des Ausbruchsgeschehens“ und auch danach „die geeigneten und ihnen möglichen organisatorischen Maßnahmen entweder nicht oder nicht rechtzeitig ergriffen zu haben“. Gegen sie hatte das Gesundheitsamt am 7. April Ordnungswidrigkeitenverfahren erlassen und auch diese an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. An diesem Tag hatte das Interventionsteam des Robert Koch-Instituts seinen Bericht an die Stadt übermittelt, laut dem es zahlreiche organisatorische und strukturelle Mängel im Klinikum gab.

Die beurlaubte medizinische Geschäftsführerin des Klinikums "Ernst von Bergmann" Dorothea Fischer.
Die beurlaubte medizinische Geschäftsführerin des Klinikums "Ernst von Bergmann" Dorothea Fischer.

© Ottmar Winter

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die beurlaubte Geschäftsführung, es möglicherweise versäumt zu haben, in der Krankenhauseinsatzleitung - also im Corona-Krisenstab des Klinikums - eine „im Ausbruchsmanagement kompetente Personen“ installiert zu haben. Der Corona-Ausbruch habe möglicherweise auch deshalb nicht verhindert oder zügig eingedämmt werden können, weil es bei strukturierten Tests und einer „nachvollziehbaren Dokumentation“ strukturelle Defizite gegeben habe, so der Verdacht.

Anfangsverdacht auf Basis der Aktenlage

All dies geht aus Sicht der Staatsanwaltschaft aus Unterlagen des Gesundheitsamts und der Stadt hervor, die sie angefordert habe. Dazu gehört auch der von den Interims-Chefs des Klinikums beauftragte „Abschlussbericht“ mit einer Ausbruchsanalyse. Darin wird klar, dass das Klinikum den Ausbruch, der in der Nephrologie (Nierenheilkunde) begonnen hat, fünf Tage zu spät und dann unvollständig an das Gesundheitsamt gemeldet hat. Damit konnte sich das Virus möglicherweise fünf Tage weiter teils ungehindert im Klinikum ausbreiten. Zudem zeigt die Analyse, dass vielleicht Ärzte das Virus ins Klinikum gebracht haben. Insgesamt 213 infizierte Mitarbeiter zählte das Klinikum, darunter 43 Ärzte und 150 Pflegekräfte.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). 
Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). 

© Ottmar Winter

Mitte April hatte die Deutsche Stiftung Patientenschutz Strafanzeige unter anderem wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen das Klinikum gestellt. Es sei für die Patienten „richtig und wichtig“, dass jetzt ermittelt werde, sagte am Montag Stiftungsvorstand Eugen Brysch auf PNN-Anfrage. So könnten auch Schadenersatzforderungen leichter durchgesetzt werden. Brysch betonte, die beurlaubte Klinikleitung habe bestritten, dass die Dimension des Ausbruchs oder der Tod von Patienten hätte verhindert werden können. Sie habe die Patientenschutz-Stiftung sogar zu einer Unterlassungserklärung zwingen wollen.

Reaktionen der Stadtpolitik

Die Fraktionschefs der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung begrüßten die Aufnahme der Ermittlungen großteils. Die Reaktionen von SPD und CDU zeigten jedoch deutlich, wie angespannt die politische Lage zwischen dem Oberbürgermeister und seiner eigenen Fraktion ist, die im Fall Bergmann zeitweise mit der CDU gemeinsame Sache zu machen scheint, obwohl sie offiziell mit Grünen und Linken kooperiert.

SPD-Fraktionschef Daniel Keller betonte am Montag, Oberbürgermeister Schubert habe „gemeinsam mit den Fraktionsvorsitzenden beraten und dann entschieden, die Ermittlung an die Staatsanwaltschaft abzugeben, um eine unabhängige Untersuchung durchführen zu lassen“. Daher solle die Politik die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht kommentieren.

Der vormalige SPD-Fraktionschef und jetzige Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Pete Heuer ging in einem Kommentar im sozialen Netzwerk Facebook auf direkten Konfrontationskurs mit Schubert. Er warf ihm dort vor, dass die Stadtverordneten „trotz Nachfragen am 30. März“ erst am 1. April informiert worden seien. Als die "direkten Vorwürfe" aufgekommen seien, hätten Stadtverordnete sofort die Abgabe an die Staatsanwaltschaft verlangt. Heuer weiter: „Ich kann es auch deutlicher formulieren. Ohne die Forderung der Stadtverordneten wäre es nicht geschehen.“

Schubert reagierte auf diesen Angriff so: „Ich würde mir von Einzelnen bei ihren Aussagen mehr Sorgfalt und weniger haltlose Behauptungen wünschen, um Menschen in dem Verfahren nicht zu beschädigen.“ Dies gelte gerade jetzt, da die Staatsanwaltschaft ermittle.

Nach PNN-Recherchen hatte die Stadt die Ordnungswidrigkeitenverfahren ohne Aufforderung der Stadtverordneten eingeleitet; am 6. April wollte die Verwaltung die beschuldigten Ärzte vor Abgabe der Verfahren an die Staatsanwaltschaft noch anhören, während die Fraktionschefs sich für die sofortige Übergabe der Verfahren aussprachen. So geschah es dann auch.  Am 30. März und 1. April hatte sich vor allem gezeigt, dass die Lage im Klinikum außer Kontrolle geraten war, das Gesundheitsamt verhängte den Aufnahme- und Verlegungsstopp.

"Saubere rechtsstaatliche Aufarbeitung"

CDU-Fraktionschef Götz Friederich sagte, er erhoffe sich „eine saubere rechtsstaatliche Aufarbeitung der Sachverhalte der letzten Wochen und Monate“. In den Ermittlungen würden „sicherlich auch Verhältnisse und Gegebenheiten“ und „Zusammenhänge zwischen Klinikum und Stadt bzw. Stadtverwaltung“ betrachtet werden.

Der Verdacht, dass „durch erhebliche Organisations- und Hygienemängel im Klinikum letztlich Menschen verstorben sind“, liege nahe, sagte am Montag Lutz Boede, Fraktionsgeschäftsführer von Die Andere. Das Klinikum brauche einen Neustart - je früher, desto besser. 

Grünen-Fraktionschefin Janny Armbruster sagte, es müsse umfassende Transparenz hergestellt werden, „die notwendig ist, um das Vertrauen in das Krankenhaus und seine Führung in Gänze wieder herbeizuführen“.

Linke-Fraktionschef Stefan Wollenberg meinte, die Einleitung von Ermittlungen sei folgerichtig. "Allerdings sollten wir erst die Ergebnisse beurteilen, nicht schon den Verdacht." Künftig müsse im Klinikum "das Wohl und die Sicherheit der Patienten bei allen Prozessen und Entscheidungen im Mittelpunkt stehen - und zwar ausschließlich".

Die FDP begrüßte die Ermittlungen, betonte jedoch, dass die Geschehnisse auch „Fragen nach der politischen Verantwortung des Oberbürgermeisters und der städtischen Vertreter im Aufsichtsrat“ aufwerfen. Der Hauptausschuss müsse transparenter informiert werden. 

Für die AfD sagte Chaled-Uwe Said, man sehe die Einleitung der Ermittlungen „als völlig gerechtfertigt an“. Derzeit gehe die AfD aber nicht davon aus, dass die kaufmännische Krankenhausleitung fahrlässig gehandelt habe.

Die Klinikum-Aufsichtsratschefin Brigitte Meier (SPD) bedankte sich am Montag bei den Mitarbeitern des Klinikums, die gemeinsam mit der neuen Geschäftsführung „intensiv an der schrittweisen Wiederinbetriebnahme“ des Klinikums gearbeitet hätten. „Der Blick sollte nun in die Zukunft gerichtet werden“, so Meier. Die Frage „von möglichen Verantwortlichkeiten in der Vergangenheit“ liege jetzt in den Händen der Staatsanwaltschaft.

Hinweis der Redaktion: Wir haben am 16. Juni 2020 um 13.10 Uhr das Zitat von Pete Heuer verändert. Es war zunächst nicht korrekt wiedergegeben. Er hatte bei Facebook geschrieben: „Ich kann es auch deutlicher formulieren. Ohne die Forderung der Stadtverordneten wäre es nicht geschehen.“

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