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Erst am Donnerstag sind nach Auskunft der Stadtverwaltung Bergmann-Daten im Gesundheitsamt eingegangen.

© Ottmar Winter

Corona-Affäre in Potsdam: Was hat das Klinikum zu verbergen?

Die Stadt muss dem städtischem Krankenhaus drohen, um Daten zu erhalten. Fragen der PNN bleiben unbeantwortet.

Potsdam – In der Corona-Affäre gerät das kommunale Potsdamer Klinikum „Ernst von Bergmann“ immer stärker unter Druck. Es häufen sich Hinweise von verschiedenen Seiten, wonach das Klinikum die Gefahr einer Ausbreitung des Coronavirus bis zuletzt massiv unterschätzt haben könnte. Vor dem Ausbruch, der nach der Version der Klinikumgeschäftsführung in der Nacht vom 27. zum 28. März angeblich erstmals bekannt geworden sein soll, sind nach PNN-Recherchen grundlegende Standards im Umgang mit der Virusgefahr nicht umgesetzt worden.

Die Beantwortung einer detaillierten Liste von 18 Fragen (siehe unten) der PNN lehnt das Klinikum bislang ab. Es werde „auf Grund der laufenden Aufarbeitung sowie der laufenden Ordnungswidrigkeitsverfahren“ zu den Fragen „nicht öffentlich Stellung nehmen“, teilte eine Sprecherin mit. Zudem sei das Klinikum „mit der strukturierten Aufarbeitung der Fakten und der Auswertung des Ausbruchsgeschehens beschäftigt“. Dies erfolge „in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt Potsdam“, so die Klinikumsprecherin. Die Daten würden „dann dem Gesundheitsamt Potsdam zur Verfügung gestellt“. Das war am Dienstag.

Verhältnis zwischen Stadt und Klinikum ist eskaliert

In den letzten beiden Tagen ist das Verhältnis zwischen Stadt und Klinikum jedoch eskaliert. Trotz zweifacher Aufforderung des Potsdamer Gesundheitsamts sowie der Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 25 000 Euro samt 24-Stunden-Ultimatum durch die Amtsärztin hat die Klinikum-Geschäftsführung Daten zu den Infektionen im Krankenhaus und deren Verlauf zunächst nicht an das Gesundheitsamt übergeben.

Erst nach zusätzlich erteilter Weisung des Gesellschafters in Person von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) vom Mittwoch sind nach Auskunft der Stadtverwaltung am Donnerstag Bergmann-Daten im Gesundheitsamt eingegangen. Ob es sich dabei tatsächlich um die per Infektionsschutzgesetz vorgeschriebenen Daten handelt, konnte die Stadt noch nicht sagen.

Oberbürgermeister Mike Schubert.
Oberbürgermeister Mike Schubert.

© Ottmar Winter

Entscheidende Daten fehlen

Am Donnerstagnachmittag waren angesichts der skandalösen Vorgänge um das Bergmann-Klinikum Oberbürgermeister Schubert, die Gesundheitsbeigeordnete Brigitte Meier (SPD), die Amtsärztin Kristina Böhm, Mitglieder des Krisenstabs sowie die Krankenhaushygienikerin zum „Aufsichtsgespräch“ auf Abteilungs- und Referatsleiterebene ins Gesundheitsministerium einbestellt worden. 

Denn entscheidende Daten fehlen auch im Ministerium, das als oberste Gesundheitsbehörde die Sonderaufsicht über das Potsdamer Gesundheitsamt führt. „Wir haben gesehen, dass das Potsdamer Gesundheitsamt zu Beginn des Ausbruchsgeschehens selbst große Schwierigkeiten hatte, die erforderlichen Daten zu bekommen“, sagte der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Gabriel Hesse, auf PNN-Anfrage. „Trotz mehrfacher Aufforderungen“ habe das Amt das Ministerium „aber immer noch nicht im notwendigem Umfang informiert“. Deshalb habe man zu dem „aufsichtlichen Gespräch“ geladen.

Bislang hatte Potsdams Amtsärztin Böhm angegeben, das Klinikum habe eine sogenannte „Linelist“ mit Daten zum Infektionsgeschehen innerhalb des Krankenhauses nicht geführt. Auch das Interventionsteam der Bundesbehörde Robert Koch-Institut, das nach dem Corona-Ausbruch nach Amtshilfeersuchen von Oberbürgermeister Schubert und Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) das Klinikum am 3. April inspizierte, erlangte offenbar keine Kenntnis einer „Linelist“.

Kein Überblick

So stellte das RKI in seinem Bericht vom 6. April fest, niemand habe bislang einen genauen Überblick, wann welche Patienten wohin bewegt worden sind – infizierte und nicht-infizierte. Das RKI mahnt daher im Bericht, das Klinikum müsse eine „Linelist und Zeitschiene“ führen, „da sonst kein Überblick über das Geschehen gewonnen werden kann“.

Die Stadt hat aber inzwischen die Erkenntnis, dass die Daten sehr wohl vorliegen. Das Bergmann-Klinikum habe sich aber geweigert, die Daten der Vorgänge vor dem 2. April herauszugeben – unter anderem mit dem Argument, sich angesichts der laufenden Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht selbst belasten zu wollen.

Die Daten der „Linelist“ sollen unter anderem Auskunft darüber geben, wie viele Patienten zu welchem Zeitpunkt infiziert waren und wohin sie jeweils verlegt worden sind. Dabei geht es der Stadtspitze und dem Gesundheitsamt nach PNN-Recherchen vor allem um den Zeitraum zwischen den ersten Covid-19-Fällen im Klinikum Anfang März und der Infektion zahlreicher Patienten spätestens am 28. März – aktuell werden 75 Infizierte stationär behandelt. Aus diesen Daten könnten wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, um das Corona-Cluster am Klinikum zu bekämpfen, hieß es.

Geriatrie massiv von Ausbruch betroffen

Auch die vom Klinikum nicht beantworteten PNN-Fragen befassen sich mit dieser Phase, insbesondere mit dem Infektionsgeschehen auf der Geriatrie. Die Station mit durch das Virus hochgefährdeten Menschen ist massiv von dem Ausbruch betroffen. 

Unbeantwortet durch das Klinikum ist, ob PNN-Informationen zutreffen, wonach mehr als drei Viertel aller Patienten, die bis zum 26. März in der Geriatrie des Klinikums stationär behandelt worden sind, Corona-infiziert sind. Unbeantwortet ist auch die Frage, was der Auslöser für die Corona-Abstriche bei allen Geriatrie-Patienten war, die am Donnerstag, dem 26. März, vorgenommen wurden. Und ebenfalls unbeantwortet ist die Frage, ob zu diesem Zeitpunkt möglicherweise bereits zahlreiche Patienten auf der Geriatrie naheliegende Covid-19-Symptome zeigten – Husten, Fieber, Lungenentzündungen.

Das Klinikum reagiert auf diese Frage nicht. Stattdessen wurde inzwischen mehrfach angegeben, es seien in der Nacht zum Samstag, dem 28. März, überraschend viele positive Testergebnisse auch aus der Geriatrie eingegangen, woraufhin man entschieden habe, „alle stationären Patienten sofort zu testen“. Es sei „überraschend“ gewesen, dass „die Mehrzahl dieser neuen positiv-getesteten Patienten zum Zeitpunkt der Testung keinerlei Symptome aufwies“. Warum man jedoch mit der Testung in der Geriatrie begann, bleibt offen.

Wurden Covid-19-Fälle in die Geriatrie verlegt?

Nach PNN-Recherchen sollen trotz der Bedrohung durch das gefährliche Virus besonders für die hochbetagten, vorerkrankten Menschen zwischen dem 22. und 27. März Patienten neu in die Geriatrie aufgenommen oder dorthin verlegt worden sein – auch aus Bereichen des Klinikums, von denen Covid-19-Fälle bekannt gewesen sein sollen, so der Urologie, Nephrologie und Chirurgie.

Gleichsam stellen sich Fragen zum Umgang mit diesen Geriatrie-Patienten: Sind die potenziellen Kontaktpersonen ersten Grades von bestätigten Corona-Infizierten auf der Geriatrie isoliert worden, um sicher zu gehen, dass sie das Virus nicht auf die Station mitbringen? Sind sofort Corona-Tests durchgeführt worden, um herauszufinden, ob die Menschen sich nicht bereits angesteckt haben?

Als generelle Praxis gibt das Klinikum an: „Vorsorglich wurden symptomfreie Kontaktpersonen nicht nur räumlich isoliert, sondern auch getestet.“ Ob dies auf der Geriatrie geschah und wenn ja, ab wann, bleibt unbeantwortet. Ebenso beantwortet das Klinikum die Frage nicht, ob es tatsächlich bis zum 25. März Gruppentherapien auf der Station gegeben hat, an denen jeweils mehrere Patienten gemeinschaftlich in einem Raum teilgenommen haben sollen. Zum Vergleich: Am 19. März hat die Stadt Potsdam per Eindämmungsverordnung die Parks und Grünflächen geschlossen, damit es keine Menschenansammlungen gibt; am 23. März trat landesweit die Kontaktsperre mit 1,5 Metern Mindestabstand in Kraft.

Seit 1. April gilt der Aufnahmestopp

Dem Gesundheitsministerium offiziell gemeldet wurde das „auffällige“ Infektionsgeschehen im Klinikum erst am Montag, dem 30. März. Er habe dazu bei der morgendlichen Lagebesprechung des dortigen Krisenstabes informiert, hatte Oberbürgermeister Schubert erklärt. Zwar habe er dazu bereits am Vorabend mit Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) telefoniert, jedoch habe es sich dabei nicht um eine offizielle Unterrichtung gehandelt. Ihm hätten zudem keine konkreteren Informationen vorgelegen außer, dass es eine auffällige Steigerung bestätigter Infektionen gebe.

Danach ordnete das Gesundheitsamt am 1. April einen Aufnahme- und Verlegungsstopp für das Klinikum an. Am 6. April lieferte das RKI seinen Bericht zum Klinikum ab, am 7. April schaltete Schubert die Staatsanwaltschaft ein. Sie prüft seither, ob mutmaßliche Meldeverstöße dreier Ärzte und vermutetes Organisationsversagen der zweiköpfigen Geschäftsführung strafrechtlich relevant sind.

Am Donnerstag meldete die Stadt, dass im Klinikum weitere vier Menschen nach Corona-Infektion verstorben sind. Damit sind seit 26. März bereits 35 Tote zu beklagen.

++ Der Fragenkatalog der PNN +++

  • 1. Trifft es zu, dass mehr als drei Viertel der Patienten, die bis zum 26.3. in der Geriatrie des Klinikums „Ernst von Bergmann“ stationär behandelt wurden, Corona-infiziert sind? Wie viele sind es genau? 
  • 2. Trifft es zu, dass etwa jeder Zehnte, der vor etwa zwei Wochen/bis zum 26.3. auf der Geriatrie des Klinikums „Ernst von Bergmann“ behandelt worden ist, inzwischen verstorben ist? Wie viele Menschen sind es genau?
  • 3. Wie hoch ist der Anteil der Mitarbeiter der Geriatrie, die mit dem Virus infiziert sind? Wie viele Mitarbeiter sind es genau? Davon wie viele Ärzte?
  • 4. Stimmt es, dass leitendes medizinisches Personal der Geriatrie ebenfalls infiziert ist?
  • 5. Trifft es zu, dass Patienten auf der Geriatrie bereits in der Woche bis zum 27.3. eindeutige Covid-19-Symptome zeigten – Husten, Fieber, auffällige Lungenentzündungen? Wie viele Patienten der Geriatrie betraf dies? War das der Anlass, die Abstriche aller Patienten zu veranlassen?
  • 6. Wie viele Patienten der Geriatrie wurden zwischen dem 26.3. und dem 1.4. als positiv getestet auf die Covid-Station verlegt?
  • 7. Wie viele Patienten der Geriatrie wurden zwischen dem 26.3. und dem 1.4. als Corona-Verdachtsfälle auf die Covid-Station/in den grauen Bereich verlegt?
  • 8. Wie viele Patienten werden derzeit auf der Geriatrie als nicht-infizierte Patienten behandelt?
  • 9. Trifft es zu, dass zwischen dem 22.3 und dem 27.3. Patienten auf die Geriatrie neu aufgenommen oder dorthin verlegt worden sind? Wenn ja, wie viele, warum und unter welchen Vorkehrungen?
  • 10. Trifft es zu, dass mindestens bis zum 25.3. Patienten, die von anderen Stationen (Urologie, Nephrologie, Chirurgie) auf die Geriatrie verlegt wurden und potenzielle Kontaktpersonen ersten Grades von bestätigten Corona-Infizierten auf diesen anderen Stationen waren, auf der Geriatrie weder abgestrichen oder isoliert worden sind? Wie viele waren es?
  • 11. Zu Frage 9: Trifft es zu, dass leitendes medizinisches Personal des Klinikums gegen das Screening (Abstrichtests) und die Isolation der potenziellen Kontaktpersonen ersten Grades entschieden hat?
  • 12. Trifft es zu, dass mindestens bis zum 25.3. in der Geriatrie Gruppentherapien mit mehreren Patienten in einem Raum durchgeführt worden sind? Wenn ja, warum?
  • 13. Trifft es zu, dass ein Großteil der Patienten in der Geriatrie bis zum 27.3. in Zwei- und Drei-Bett-Zimmern untergebracht war? Wie viele Patienten waren es, wie viele waren in Ein-Bett-Zimmern untergebracht?
  • 14. Zu Frage 12: Trifft es zu, dass die Betten in Drei-Bett-Zimmern einen Abstand von rund 80 cm zueinander haben? Wie groß ist der Abstand?
  • 15. Trifft es zu, dass nach Verlegung von Covid-19-Verdachtsfällen oder bestätigt infizierten Patienten auf die Covid-Stationen deren Krankenzimmer auf der Geriatrie und in anderen Stationen nicht desinfiziert worden sind? Wenn ja, warum? 
  • 16. Zu Frage 14: Trifft es zu, dass die Hygienevorgaben im Bergmann-Klinikum eine solche Desinfektion noch in der Woche vor dem 28.3. nicht vorsahen? 
  • 17. Wie viele der 28* mit Corona-Infektion im Klinikum Verstorbenen waren zuvor aus anderem Grund stationär im Klinikum in Behandlung? Das Klinikum hatte diese Frage am 8.4.2020 so beantwortet: „Alle bislang im KEvB Verstorbenen COVID-positiven Patienten hatten schwere Begleiterkrankungen.“ Ist daraus zu schließen, dass alle Verstorbenen vor ihrer Infektion mit dem Coronavirus wegen anderer Erkrankungen in stationärer Behandlung im Bergmann-Klinikum gewesen sind? 
  • 18. Haben Angehörige von nach Corona-Infektion im Klinikum Verstorbenen rechtliche Schritte gegen das Klinikum und/oder den Gesellschafter angekündigt? Wenn ja, wann und wie viele?

*Die Fragen wurden dem Klinikum am 14. April gestellt. Mittlerweile sind im Bergmann-Klinikum nach Corona-Infektionen 35 Menschen verstorben.

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