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Choreografin Eun-Me Ahn kommt nach Potsdam: „Wer deprimiert ist, bewegt sich nicht“

Dreimal wurde verschoben, jetzt feiert die berühmte südkoreanische Choreografin mit den Tanztagen 30. Geburtstag. Und beschäftigt sich mit der Generation der Millennials.

Potsdam - Eine Woche, bevor sie in Potsdam mit ihrem Stück „Dragons“ Deutschlandpremiere feiern wird, schickt die Choreografin Eun-Me Ahn Grüße aus der Bretagne. Im Rahmen einer Residenz ist sie gerade am Théâtre de la Ville in Paris zu Gast, vor der Reise nach Deutschland will sie sich noch ein bisschen ausruhen. 

Ein Skype-Interview ist dennoch drin. In rosa Mütze und buntem T-Shirt lässt sie über den Bildschirm die Drachen tanzen, in Miniatur. Die freundlichen, kichernden, und die großen, furchteinflößenden. Eun-Me Ahn braucht dafür nur Gesicht und Hände.

Es ist der vierte Anlauf für einen Besuch der Tanztage im 30. Jubiläumsjahr, dreimal grätschte die Pandemie dazwischen. Ihr Stück „North Korea Dance“ sollte die Ausgabe 2020 eröffnen, im Mai 2021 war das Stück zu sehen, aber nur als Stream. Sie selbst konnte wieder nicht kommen.

Die Tanztage feiern nun fulminant ihren Geburtstag

Jetzt reist Eun-Me Ahn tatsächlich an. Allerdings mit einem neuen Stück: „Dragons“. Mit dem internationalen Glamour, den die südkoreanische Produktion im Gepäck hat, streben die 30. Tanztage ihrem Höhepunkt entgegen. Die Ausgabe steht eigentlich im Zeichen coronakonformer Entschleunigung: Auftakt war am 25. Mai, Schlussgong ist am 19. Dezember.

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Im Frühjahr und Sommer erinnerten nur vereinzelt Aufführungen daran, dass hier gerade Geburtstag gefeiert wird, jetzt kommt es Schlag auf Schlag. Vor wenigen Tagen war Jan Martens mit „Elisabeth gets her way“ zu Gast, eine Deutschlandpremiere. Am gestrigen Freitag folgte Nadia Beugré mit „Quartier libre“. In der kommenden Woche dann noch zwei Hingucker: Maren Strack feiert mit „Ersatzteillager“ eine Uraufführung im Kunstraum, und Emmanuel Eggermont zeigt seine Performance „Abbération“ als deutsche Erstaufführung.

Und mittendrin, am Mittwoch, „Dragons“ von Eun-Me Ahn. Getanzt wird im großen Saal des Hans Otto Theaters. Das Stück ist das Ergebnis ihrer Residenz am Pariser Théâtre de la Ville. Dort wollte man sich mit „Millennials“ beschäftigen, der Generation der nach dem Jahr 2000 Geborenen. Ob sie dazu nicht eine Idee hätte? Im Moment nicht, sagte sie, aber gebt mir Zeit, dann habe ich hundert.

Zuvor hatte Eun-Me Ahn mit Alten gearbeitet, schuf 2011 „Dancing Grandmothers“, auch mit Menschen mit Behinderung. Früh, seitdem sie zwölf war, beschäftigte sie sich mit traditionellem koreanischen Tanz, studierte in Seoul und an der Tisch School of the Arts in New York. Seit 1988 hat sie ihre eigene Company. Nach dem Jahr 2000 war sie mehrfach bei Pina Bausch in Wuppertal zu Gast, arbeitete überhaupt viel in Europa. 

In Südkorea ist Ahn berühmt und auch in Europa ist sie ein bekannter Name

Für „Dancing Grandmothers“ ist Eun-Me Ahn von Journalisten mit dem Ehrentitel „Pina Bausch von Seoul“ bedacht worden, aus europäischer Sicht ein Ritterschlag. Aus koreanischer Sicht wohl kaum nötig: 2000 bis 2003 leitete sie die Daegu City Dance Company, die wichtigste Institution für zeitgenössischen Tanz in Südkorea. Eun-Me Ahn gilt als die, die den klassischen koreanischen Tanz in die Moderne überführt hat.

Die intensive Auseinandersetzung mit Jugend war neu für sie. Aber bald wusste sie, wie sie das machen würde: als ein Generationenporträt mit Millennials aus fünf asiatischen Ländern. 2018 entstand die Idee, 2019 begannen die Castings. 2020, sie wollte gerade vor Ort mit den Proben beginnen, kam Corona.

Plötzlich war es nicht mehr möglich, gemeinsam zu proben – aber deshalb aufgeben? Keine Option. „Wir mussten alle von Grund auf die Dinge neu lernen“, sagt sie. „Auch ich als Choreografin.“ Proben vor dem Bildschirm also. Das war erst zäh, ungewohnt, aber dann auch sehr, sehr lustig, sagt Eun-Me Ahn. Sie entwickelten gemeinsam eine visuelle Sprache, deren Bausteine sie sich gegenseitig vortanzten. Neun Monate lang. So lange probt sie sonst nie. „Aber es war eine gute Zeit“, sagt Eun-Me Ahn. „Ich habe unglaublich viel gelernt.“

„Für die Millennials ist die Bildschirmrealität doch teilweise genauso real wie das Leben selbst.“

Sie glaubt an die schöpferische Kraft positiver Energie. „Wer deprimiert ist, bewegt sich nicht.“ Also: Nicht jammern, dass der Entstehungsprozess von „Dragons“ nicht laufen konnte wie geplant, sondern umdenken, neu denken. So kam sie auf die Idee, auf der Bühne mit Hologrammen zu arbeiten: Körper und Formen, die wirklich scheinen, aber nur aus Licht gemacht sind. Aber sind sie deswegen weniger wirklich? „Für die Millennials ist die Bildschirmrealität doch teilweise genauso real wie das Leben selbst.“

Dass das Stück „Dragons“ heißen würde, war früh klar. In Asien kommen Drachen in unzähligen Geschichten vor, auf vielfältigste Art und Weise. Anders als im europäischen Kontext verkörpern sie nicht nur das eine: den bösen, teuflischen Widersacher. In Asien sind es kraftvolle, energiegeladene Wesen, sagt Eun-Me Ahn, sie stehen für Feuer und Neubeginn. „So ist das auch mit den jungen Tänzern auf der Bühne. Sie stehen für die Zukunft.“ Auch sie, Eun-Me Ahn, wird auf der Bühne als Tänzerin wieder mit dabei sein. Lange Traditionslinien im Gepäck, aber visuell mitten drin in der Zukunft.

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