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Inhaber Lutz Lehmann muss sein Café in Potsdam-Golm schließen.

© Andreas Klaer

Café in Golm: "Herr Lehmann" muss schließen

Das beliebte Café gegenüber dem Universitätscampus Golm macht zu. Ostrock-Legende Andy Büsser stand hier auf der Bühne, es gab schräge Partys und Kickerturniere. Jetzt kam die Kündigung des Mietvertrags. Ein Besuch. 

Potsdam - „Die Kündigung hat mir komplett die Existenz weggehauen“, sagt Lutz Lehmann und schenkt nach. Noch läuft das Bier aus dem Zapfhahn, aber nicht mehr lange. Einige Freunde haben sich zum Abschied eingefunden. Es ist das letzte Wochenende, danach wird das „Herr Lehmann“ für immer schließen.


2014 habe er sich mit dem damaligen Eigentümer des alten Bahnhofsgebäudes geeinigt, erzählt Lutz Lehmann. „Über einem Apfelkuchen“ hätten die beiden Männer verhandelt, und sich auf Anhieb richtig gut verstanden. Mit einem Handschlag sei der Deal besiegelt worden – old-school. Einen schriftlichen Vertrag habe es nie gegeben. Der Eigentümer, den Lehmann liebevoll „mein Mäzen“ nennt, habe ihm die Räume zu „gnadenlos guten Konditionen“ überlassen. Doch inzwischen habe der Mäzen die Immobilie an seine Kinder übertragen, sagt Lehmann etwas bitter. Die hätten dem Café im Sommer gekündigt. Doch auch bei einem mündlichen Mietvertrag gilt die Kündigungsfrist. Deshalb blieb eine Galgenfrist bis zum Jahresende.

Gemütlich ist es im "Herr Lehmann".
Gemütlich ist es im "Herr Lehmann".

© Andreas Klaer

Mit der Zeit überzeugte er viele Golmer

Auf einmal lacht Lehmann. Wenn ein Güterzug vorbeidonnerte, stoppten die Gespräche, erinnert er sich. Doch das habe nicht gestört, sondern zum besonderen Ambiente beigetragen. „Gemeinsam schweigen muss man erstmal können.“ Für manches Date sei diese erzwungene Stille aber eine schwere Prüfung gewesen, erinnert sich der Wirt lachend.

Lutz Lehmann ist eigentlich kein Gastronom, sondern studierter Diplom-Kommunikationswirt. Und vor allem ein Hans Dampf in allen Gassen. Am Anfang sei es etwas schwierig gewesen, mit der alteingesessenen Bevölkerung, gibt der 54-jährige zu. Viele Golmer hätten skeptisch reagiert, als er das Haus leuchtend orange strich und darin „schräge“ Partys veranstaltete. Doch mit der Zeit hätten sich viele überzeugen lassen. 

Noch einmal gibt Lehmann die alten Geschichten zum Besten. Als er zur Weltmeisterschaft 2014 ein Public Viewing veranstalten wollte, sei das TV-Signal zu schwach gewesen. Da habe ein Gast ausgeholfen. Der Forscher aus dem Institut für Physik und Astronomie gegenüber habe eine Richtantenne gebaut und damit die Veranstaltung gerettet. Diese Form des kreativen Miteinanders hat für Lutz Lehmann die Seele seines ungewöhnlichen Cafés ausgemacht, das für ihn immer auch ein „Begegnungsort“ war. Nicht weniger als „Tradition und Moderne“ sollten sich hier begegnen, Dorf und Stadt, Alt und Jung. Künstler hätten mit Anwohnern gesprochen, Professoren mit Studierenden diskutiert, Biobauern Marketingexperten kennengelernt. Und all das habe immer „auf Augenhöhe“ stattgefunden, das betont Lehmann. 

Ein großer Verlust für Potsdam

Es gab Kicker- und Tischtennisturniere für die Jugend. Aber auch eher Seltsames, wie einen wissenschaftlichen Vortrag mit Musikbegleitung. „Ein angehender Doktor erzählte schlaue Sachen über Künstliche Intelligenz und neuronale Netzwerke“, erinnert sich Lehmann. Dazu habe der Musiker Andy Büsser, „eine Rocklegende aus dem Osten“, auf der Jazz-Gitarre gespielt. „Es sollte ja nicht zu dröge sein“, sagt Lehman. Den Erfolg des Cafés möchte er gar nicht als persönlichen Verdienst sehen: „Ich schaffe nur einen Raum“.
Vor drei Jahren eröffnete ein Musiker ein Tonstudio im Keller. Das sollte eigentlich zum Proberaum ausgebaut werden. Ortsvorsteherin Kathleen Krause (SPD) findet es sehr schade, dass daraus nichts mehr wird: „Es gibt einen enormen Bedarf an Proberäumen in Potsdam“, sagt sie. Die Schließung des „Herr Lehmann“ sei insgesamt ein großer Verlust für Golm: „Hier fand alles statt.“

Das "Herr Lehmann" in Golm von außen. 
Das "Herr Lehmann" in Golm von außen. 

© Andreas Klaer

Wenn Lutz Lehmann einmal krank war, was selten vorkam, seien freiwillige Helfer eingesprungen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, sagt Krause. 

Einmal gab es auch Ärger

Nur einmal habe es Ärger gegeben, als sich Anwohner von der anderen Seite der Gleise über Ruhestörung durch zu laute Elektromusik beschwerten. Doch der Fall sei schnell geklärt und die Musik leiser gedreht worden, sagt die Sozialpädagogin, die an dem Abend selbst vor Ort war.

Wie geht es nun weiter? Ein neuer Mieter könnte in den Räumlichkeiten ein „schickes Restaurant“ eröffnen, vermutet Lehmann. „Aber das sind nur Gerüchte“. Das Inventar des Cafés wird er nun zum Teil verkaufen, den Rest verschenken. Das Holz der Außenanlage zum Beispiel werde er dem Campusgarten der Fachhochschule spenden. Es sei denn, der neue Mieter möchte es haben. „Sibirische Lärche, nicht unerheblich an Wert“, fügt er hinzu.

Vielleicht geht er ganz

Und was wird aus Lutz Lehmann selbst? „Mal sehen, was der Arbeitsmarkt bietet“, sagt er. „Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste“. Vielleicht werde er Herbergsleiter in Norddeutschland, er sei da schon in Gesprächen. 

Christoph Kluge

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