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Café Hr. Lehmann im Bahnhof Golm: Latte Macchiato statt Fahrkarte

2014 übernahm Lutz Lehmann den alten Golmer Bahnhof. Er soll Café und Kneipe, Dorfzentrum und Studententreffpunkt werden. Ein Besuch.

Potsdam - Zeitunglesen am Bullerofen, dabei Kaffeetrinken und Leute beobachten – im alten Bahnhof Golm kein Problem. Der Unterschied zu früher ist, dass die wenigsten Leute heute hier auf einen Zug warten. Jedenfalls nicht vornehmlich. Der alte Bahnhof ist seit Langem schon Kneipe, erst jahrelang „Gasthaus zum Schaffner“ und jetzt „Hr. Lehmann“. Café und Bistro, Eventlocation und Treffpunkt für alle, die hier in Golm leben, studieren oder arbeiten. Inhaber Lutz Lehmann würde gern ein richtiges Dorfzentrum draus machen. „Es wird schon“, sagen die zwei Männer, die hier an einem Mittwochmittag sitzen. Mit Zeitung und Kaffee, bis der Chef persönlich das Essen bringt. Hähnchengeschnetzeltes mit Kokosmilch, Asiagemüse und Reis. „Sag mir nachher, ob das mit der Kokosmilch zu viel oder zu wenig war“, bittet er seinen Stammgast.

Lehmann lernt gerne dazu. 2014 übernahm der Gastronom und PR-Berater die Immobilie. Zu der Zeit, als er sich bereits innerlich vom Café im Volkspark verabschiedete. Das Café war schön – aber lief nur im Sommer. Davon könne man in der Gastronomie nicht leben, 2015 machte er dort zu. Der Bahnhof könnte das ganze Jahr über funktionieren, hofft der Inhaber. Erstens gibt es hier die Studenten, dann die vielen Mitarbeiter der diversen Forschungseinrichtungen. Und – ein Dorf brauche ein Zentrum. Jedenfalls hat er viele Ideen, wie er seine Dörfler mitnehmen könnte. Damit er nicht übersehen wird, hat er das Haus damals knallorange angestrichen. Die Denkmalbehörde schickte sofort einen Brief, ob das sein Ernst sei. „Aber hier ist nichts mit Denkmalschutz“, sagt Lehmann und grinst. „Hier redet mir keiner rein.“ Graue Haare macht es trotzdem. Lehmann schuftet. Eine Mitarbeiterin kommt abends, den Rest macht er allein, selbst und ständig. „Mein Wohnzimmer ist hier“, sagt er.

Das Objekt stand ein paar Jahre lang leer 

Auf den Bahnhof wurde er aufmerksam, als ein Lieferant ihm den Tipp gab. Schau dir das mal an, sagte er. Nach ein paar Jahren Leerstand war das Objekt entsprechend heruntergekommen. Er baute um, renovierte, machte das meiste selbst. Wände aufbrechen, Tresen bauen. Deckenverkleidung rausreißen, neuer Fußboden rein. Alles weitgehend dem originalen Grundriss nachempfunden. In der ehemaligen Bahnhofshalle mit dem originalen, gesprenkelten Steinboden steht eine lange Tafel. Im früheren Schalterbereich hinter einer halbhohen Mauer befindet sich die Lounge, mit Klavier, Plüschmöbeln und Ofen.

„Meine Schwester hat hier als Fahrkartenverkäuferin gearbeitet“, erzählt ein alter Golmer. Er selbst sah sich als Kind hier vom Bahnsteig die Dampfloks an, die damals noch fuhren. Vor ein paar Jahren wurde der Bahnhof neu gestaltet, die Brücke abgerissen und eine Unterführung gebaut, die Bahnsteige wurden 300 Meter weiter verlegt. Statt Dampfloks schweben hier alle 15 Minuten die roten Züge der Regionalbahn vorbei, fast lautlos. Ins „Hr. Lehmann“ kommen deshalb auch viele Eisenbahnfreaks, wie er sie nennt. Die stehen dann auf der Terrasse zwischen Haus und Gleisbett und erklären Lehmann detailliert die technischen Anlagen, Signale, Weichen, was auch immer, er staunt, was die alles wissen.

Bouletten, indisches Essen, Kuchen - und buntes Programm

Lehmann selbst gehört in die Küche. Auf der Karte hat er Burger und Flammkuchen, Tagesgerichte von indisch bis vegetarisch, Potsdamer Sauenhain-Würstchen oder Gänsekeule. Ein Teller prächtiger handgemachter Bouletten steht auf dem Tresen, daneben, unter der Tortenhaube, Käse-Apfelkuchen. Selbst gebacken. Sonntagnachmittag ohne Kuchen – unvorstellbar. Und so langsam beißen die Golmer an. Der Ortsbeirat hat sich hier schon mal getroffen, und vor Kurzem veranstaltete Lehmann eine Ü35-Party, auf Wunsch der Dorfdamen. Solche Partys soll es jetzt regelmäßig geben. Die Musikpädagogikstudenten aus Haus sechs machen hier ab und zu Jazz, im Sommer draußen auf der Terrasse, wo man quasi auf dem alten Bahnsteig sitzt. Lehmann weiß, dass das Haus nur mit Programm funktionieren kann. Mit Musik, Schauspielabenden, Filmvorführungen. Am 20. Januar und 3. Februar werden im Bahnhofssaal Sehsüchte-Kurzfilme gezeigt. Ende Januar gibt es Livemusik von Pulse, einer Potsdamer Pink Floyd Coverband, am 30. April Tanz in den Mai mit den Big Beat Boys, die auch das Sommerfest im Juni bespielen.

Im Frühling ist zunächst wieder Trödelzeit, Lehmann hatte schon im Volkspark erfolgreich Flohmärkte veranstaltet, nun auch hier. Der Unterschied: Am Bahnhof Golm gibt es nicht nur Kindersachen und Spielzeug, sondern den echten Trödelkram, Platten und Bücher, Kleinmöbel, Nippes, schräges Zeug eben, sagt Lehmann. Manches hat er dort gleich selbst für sein Restaurant gekauft.

"Verkehrstechnisch super Lage"

Während dieses anläuft und immer mehr Gäste aus Uni und Instituten herfinden, baut Lehmann bereits das Obergeschoss des Bahnhofsgebäudes zu einer Pension aus. Womit er nicht dienen kann, sind Auskünfte zum Zugfahrplan. Obwohl diese nur wenige Meter hinter der Terrasse abfahren, bequemer geht’s nicht. Die Busse nach Potsdam halten vor dem Haus. „Verkehrstechnisch super Lage“, witzelt Lehmann gerne gegen seine Unternehmersorgen an. Man kann den alten Bahnhof auch für private Feiern mieten – und braucht dann kein Taxi für die Heimreise.

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