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Im richtigen Licht? „1000 Jahre und ein Vierteljahrhundert“ lautet der Titel der Ausstellung zur Stadtgeschichte auf dem Bauzaun rund um das ehemalige FH-Gebäude am Alten Markt. Reflektiert werden dabei indes nur die vergangenen 25 Jahre in Potsdam. Eröffnet wurde die Schau am Samstag im Rahmen der Licht-Installation „Unterwegs im Licht“.

© Ronny Budweth

Landeshauptstadt: Bunte Fassaden und alte Geschichten

Als Teil der Installation „Unterwegs im Licht“ wurde am Samstag eine Open-Air-Ausstellung zur Stadthistorie eröffnet

Wer weiß heute noch, wo der schiefe Turm von Potsdam stand? Mancher wird sich dunkel erinnern. Den vielen zugezogenen Neu-Potsdamern dürfte diese Geschichte hingegen weitgehend unbekannt sein. Wer wissen will, was es mit diesem Kuriosum auf sich hat, kann dies ab sofort am Bauzaun in der Friedrich-Ebert-Straße zwischen dem Alten Markt und der Straße Am Kanal nachlesen. Seit Samstagabend ist hier die Open-Air-Ausstellung zur Stadtgeschichte „1000 Jahre und ein Vierteljahrhundert“ zu sehen. Bis zum Jahresende soll sie laufen.

Mit Kunstnebel und einem riesig langen, roten Vorhang, den man am Samstag während der Eröffnung der Schau langsam vom Bauzaun zog, wurde das Ereignis zelebriert. Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) und andere heutige und einstige Kommunalpolitiker, darunter Jakobs’ Amtsvorvorgänger Horst Gramlich (SPD), kommentierten die Bildtafeln oder ließen sich vor dem Mikrofon ein paar persönliche Erinnerungen entlocken. Die ganze Veranstaltung war programmatisch eingebettet in die Aktion „Unterwegs im Licht“. Nunmehr zum fünften Mal hatte man für diese Inszenierung mit Scheinwerfern verschiedene Gebäude der Landeshauptstadt stimmungsvoll in bunten Farben angestrahlt. So zeigte sich das Barberini in grün, gelb und etwas blau. Geradezu zauberhaft mutete die Mittelstraße im Holländischen Viertel an. Einige der Ziegelsteinfassaden hatte man dezent, aber wirkungsvoll illuminiert. Einzig die parkenden Autos störten die Kulisse, die wie aus einem Märchenfilm daherkam.

Im Zentrum des kommunalpolitischen Interesses jedoch stand freilich die Ausstellung am Bauzaun in der Friedrich- Ebert-Straße, hinter dem zurzeit das einstige Gebäude der Fachhochschule abgerissen wird, um Platz für eine kleinteilige Blockbebauung zu schaffen. Die Schau am Zaun wirft ein Schlaglicht auf die Veränderungen der letzten 25 Jahre in der brandenburgischen Landeshauptstadt: Vom Alten Markt über die Russische Kolonie bis hin zum Wissenschaftsstandort Golm werden verschiedene Stadträume betrachtet. Warum man mit dem Titel der Ausstellung, der zugleich das Motto der diesjährigen Potsdamer Jahreskampagne ist, zwar ausdrücklich auf 1025 Jahre Potsdam verweist, dann aber nur die Entwicklung der Stadt in den letzten 25 Jahren näher betrachtet, wird wohl ein Geheimnis des Potsdamer Rathauses bleiben. Bei diesem Ausstellungsinhalt hätte man statt „1000 Jahre und ein Vierteljahrhundert“ wohl besser einen anderen Titel wählen sollen. Die letzten 25 Jahre – das sind schließlich nur 2,44 Prozent der Zeitspanne, die vergangen ist, seit die Siedlung Poztupimi erstmals in einer Schenkungsurkunde des Kaisers Otto III. im Jahre 993 Erwähnung fand.

Verstecken müssen sich die jüngsten 25 Jahre in der langen Stadtgeschichte jedenfalls nicht. Hat sich Potsdam doch in dieser Zeit kräftig entwickelt. Eingefallene Häuser der barocken Innenstadt wurden gerettet, das Antlitz des Alten Marktes wandelte sich in dieser Zeit komplett, die Sowjetsoldaten zogen ab und Potsdam war 2001 Austragungsort der Bundesgartenschau. Die vom Potsdamer Rathaus verantwortete Ausstellung, die der Grafikdesigner Peter Rogge gestaltet hat, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, wie man betont. Ob sich die Stadt allerdings damit einen Gefallen getan hat, die großen Streitpunkte der jüngsten Vergangenheit – Fachhochschulgebäude, Hotel Mercure sowie Garnisonkirche – gar nicht in den Fokus zu nehmen, darf bezweifelt werden. Vielleicht waren den Ausstellungsmachern diese Themen aber auch einfach noch zu aktuell für eine Retrospektive. Andererseits hatte Potsdams Marketing-Chefin Sigrid Sommer im vergangenen Jahr betont: „Wir wollen uns in der Ausstellung nicht um schwierige Themen drücken.“ Immerhin: Eine Tafel der Schau widmet sich einem traurigen Kapitel Potsdams aus dem Jahre 1993. Damals kam es zu einer gewaltsamen Räumung des Hauses Gutenbergstraße 105, das zuvor Hausbesetzer in Beschlag genommen hatten. Die Polizisten wurden vom Dach aus mit Ziegeln beworfen. Schließlich brannte dann sogar der Dachstuhl.

Besondere Ereignisse aus den letzten 25 Jahren Stadtgeschichte standen am Samstagabend auch im Mittelpunkt einer von Sigrid Sommer gemeinsam mit der Potsdamer Journalistin Natalie Gommert moderierten Gesprächsrunde unmittelbar vor der Ausstellungseröffnung. Auf dem Gelände zwischen der Bibliothek und der Ausstellung am Bauzaun hatte man dafür eine Bühne aufgebaut. So richtige Feststimmung zu 1025 Jahre Potsdam wollte indes nicht aufkommen, was nicht nur am kalten Wetter, sondern auch an manchen Wortbeiträgen lag. Der einstige Oberbürgermeister Horst Gramlich – schon damals nicht gerade als guter Redner bekannt – verlor sich teils in minutenlangen Erinnerungsstatements. Ein wenig wirkte die Veranstaltung so, als würde man in einer Unterhaltungsshow nun plötzlich die Arbeitsmarktstatistik analysieren oder eine Gesundheitsreform besprechen.

Als ehemaliges Stadtoberhaupt zeichnete Gramlich auf der Veranstaltung ein Bild von massiven sozialen Veränderungen Anfang der 1990er-Jahre. Viele Menschen wurden arbeitslos, mussten sich einen neuen Job suchen oder waren ganz aus dem Arbeitsmarkt gedrängt worden. „Es gab nicht nur Gewinner in der Wendezeit“, sagte Gramlich. Der heute 79-Jährige erinnerte sich zudem an das Jahr 1993, als Potsdam zur Tausendjahrfeier einlud. Im selben Jahr begann der heutige Oberbürgermeister Jann Jakobs seine Karriere im Potsdamer Rathaus als Jugendamtsleiter. Jakobs erinnerte am Samstag an etwas, das man sich heute in der boomenden Stadt kaum noch vorstellen kann, aber damals Realität war: Kinder- und Jugendeinrichtungen mussten geschlossen werden, denn es gab immer weniger junge Menschen.

Während der Ausstellungseröffnung am Samstagabend berichtete Jakobs auch von seiner persönlichen Nähe zur Russischen Kolonie. 13 Jahre habe er dort gewohnt – und zur Bewirtschaftung des Gartens sogar einen Trecker mit Fernlicht genutzt. Er sei „Landwirt im Nebenerwerb“ gewesen, scherzte Jakobs.

Kurz zuvor hatten am Samstag er und die anderen Honoratioren, darunter der ehemalige Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Helmut Przybilski (SPD), unter anderem die Ausstellungstafel mit dem „schiefen Turm von Potsdam“ passiert. Was es mit dieser Merkwürdigkeit auf sich hat? Die Gotische Bibliothek am Heiligen See war aufgrund eines Bombentreffers im Zweiten Weltkrieg in überaus deutlich sichtbare Schieflage geraten, so dass man sie Mitte der 1990er-Jahre bis zum Fundament abtragen musste, um sie anschließend wieder aufzubauen. Jetzt steht sie senkrecht.

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