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Heinz Kleger, Professor an der Universität Potsdam.

© Andreas Klaer

Bürgerbeteiligung in Potsdam: „In Potsdam läuft viel“

Der Politik-Professor Heinz Kleger spricht im PNN-Interview über den Umgang der Stadt mit bürgerschaftlichem Engagement, das Modellprojekt zum Thema Bürgerbeteiligung und das Bürgerbegehren zur Potsdamer Mitte.

Von Katharina Wiechers

Herr Kleger, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit dem Thema Bürgerbeteiligung. Warum sollte ich mich in meiner Stadt überhaupt engagieren? Reicht es nicht, zur Wahl zu gehen?

Zu meinem Begriff des Bürgers gehört bürgerschaftliches Engagement dazu. Die Betroffenen wissen doch am besten über spezielle Probleme Bescheid, etwa auf ein bestimmtes Quartier bezogen. Dieses lokale Bürgerwissen ist gefragter denn je.

In Potsdam läuft seit zweieinhalb Jahren das Modellprojekt „Strukturierte Bürgerbeteiligung“ – finanziert durch die Stadt. Ist Potsdam hier Vorreiter?

Mit anderen Kommunen zusammen, ja. In einigen Grün-regierten Städten wie Konstanz oder Tübingen ist das schon lange verankert. Aber man kann schon sagen: In Potsdam läuft vergleichsweise viel.

Das ist Oberbürgermeister Jann Jakobs zu verdanken?

Es war eine politische Entscheidung, das Modellprojekt zu starten, ja. Aber es war eine Reaktion auf jahrelange Auseinandersetzungen in Potsdam zum Thema Beteiligung, viele Aktive haben mehr Möglichkeiten verlangt. Daraufhin hat Jakobs dies zur Chefsache gemacht.

Zentrales Instrument des Modellprojekts ist die WerkStadt für Beteiligung, die als Anlaufstelle für Bürgerinitiativen funktionieren soll. Tut sie das?

Die WerkStadt funktioniert, das hat auch die Evaluation des Modellprojekts ergeben. Sie hat zum Beispiel die Neuen Nachbarschaften in Potsdam-West, die Bewohner des Musikerviertels oder die Kulturlobby Potsdam unterstützt. Das war ein Verdienst des externen Büros der WerkStadt. Aber es gibt ja auch ein internes Büro.

Wofür ist das zuständig?

Das interne Büro berät die Verwaltung, zum Beispiel hat es die Anwohnerversammlungen zu den Flüchtlingsunterkünften in Potsdam organisiert. Auch bei der anstehenden Bürgerbefragung zum Parkeintritt wird es die Verwaltung unterstützen. Das interne Büro wird bei den Verwaltungsmitarbeitern als neutrales Kompetenzzentrum akzeptiert.

Wissen denn die Potsdamer, dass sie sich an die WerkStadt wenden können?

Viele nicht, und das ist aus meiner Sicht ein großes Problem. Hier wurden tolle Strukturen geschaffen, doch noch viel zu wenige wissen davon. Auch der Beteiligungsrat ist noch nicht bekannt genug.

Der Beteiligungsrat ist ja ebenfalls ein Produkt des Modellprojekts. Sie waren von Anfang an als Experte dabei. Wie ist Ihr Fazit?

Viele Bürger konnten aus meiner Sicht nicht alle Prozesse so verfolgen wie sie wollten. Das hat vor allem zeitliche Gründe. Wir treffen uns einmal im Monat für zwei Stunden, bei der Vielzahl an Themen ist das natürlich nicht genug.

Der Beteiligungsrat soll ja verstetigt werden, am 14. September werden die Stadtverordneten das aller Voraussicht nach beschließen. Wie könnte sich die Arbeit des Gremiums verbessern?

Das Ziel sollte aus meiner Sicht sein, nicht unrealistisch zu viel zu wollen. Man sollte Prioritäten setzen, sich mehr auf Bottom-up-Ansätze konzentrieren, also auf Initiativen von unten, aus der Mitte der Bürgerschaft heraus. Wenn man zu viel auf einmal bewältigen will, wird es unübersichtlich, und das führt dann wieder zu einer Dominanz der Professionellen. Das ist nicht im Sinne der Bürgerbeteiligung. Recht bekannt ist ja der Bürgerhaushalt, den es seit 2005 gibt – derzeit läuft die Abstimmung über die Vorschläge.

Ist der Bürgerhaushalt ein Erfolg?

Definitiv. Der Bürgerhaushalt war der erste Schritt der Stadt Potsdam in Richtung einer Beteiligungskommune. Es hat lange gedauert, bis er in der Stadtgesellschaft verankert war. Inzwischen ist er aber angekommen und bekannt, und das nicht nur bei den Aktiven.

Nimmt die Stadt die Vorschläge aus dem Bürgerhaushalt ernst?

Ja, und das muss sie auch. Denn für Bürgerbeteiligung ist entscheidend, dass der Bürger sieht, dass sein Handeln einen Effekt hat.

Die 15 000 Potsdamer, die für das Bürgerbegehren unterschrieben haben, sehen womöglich keinen Effekt – die Stadt hat die Fragestellung für unzulässig erklärt. Welchen Einfluss könnte das auf den Willen der Bürger haben, sich einzubringen?

Einen verheerenden. Die Leute, die unterschrieben haben, müssen sich doch verschaukelt vorkommen. Da ist etwas schiefgelaufen, und das merken sich die Leute. Die Fragestellung hätte vorher geprüft werden müssen, nicht hinterher.

Wer hat das versäumt, die Initiative oder die Stadt?

Wer daran die Schuld trägt, kann ich nicht sagen. Klar ist aber, dass es dazu auf Landesebene eindeutige Regelungen geben muss. Das ist überfällig.

Wie stehen Sie denn prinzipiell zur direkten Demokratie?

Ich sehe das ambivalent. Direkte Demokratie hat den Vorteil, dass sie viele Leute erreicht. Aber sie setzt einiges an Bürgerwissen voraus und auch eine gewisse Kampagnenfähigkeit – gerade in der heutigen Mediengesellschaft. Von der Politik wird Kompromissbereitschaft verlangt, und die Bereitschaft, auch solche Ergebnisse zu akzeptieren, die ihr nicht passen.

Attestieren Sie Oberbürgermeister Jann Jakobs eine solche Bereitschaft? Man bekommt nicht gerade den Eindruck, dass er diese Art von Bürgerbeteiligung gutheißt.

Der Oberbürgermeister ist in diesem Fall ja nicht neutral und er hat auch das Recht, hier seine Meinung zu äußern. Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass die Beschlüsse zur Potsdamer Mitte schon vor Jahren gefallen und mehrmals bestätigt worden sind. Er ist den Initiatoren mit seinen Vorschlägen inzwischen ein Stück entgegengekommen.  

 

Die Zugeständnisse beziehen sich vor allem auf die Nutzung der neuen Gebäude. Abgerissen werden sollen die alten aber trotzdem. Ist das genug?

Ich könnte damit leben. Und die Vorschläge sind ja trotzdem ein Verdienst der Initiative, wenn auch indirekt. Wenn man jetzt noch das Mercure-Hotel stehen lassen würde, wären viele zufrieden, denke ich.

Sie mögen das Hotel-Hochhaus?

Wieso nicht? Man könnte ein originelles Dach daraufsetzen – Vorschläge dazu gab es ja schon – und schon hätte man einen zweiten Blickfang neben der Nikolaikirche. Das Mercure hat das Zeug zu einem originellen Wahrzeichen.

Die Fragen stellte Katharina Wiechers

ZUR PERSON: Heinz Kleger (63) ist seit 1994 Professor für Politische Theorie an der Universität Potsdam. Schon seit über zehn Jahren beschäftigt er sich wissenschaftlich mit dem Thema Bürgerbeteiligung, auch das 2013 gestartete Modellprojekt „Strukturierte Bürgerbeteiligung in Potsdam“ hat er begleitet. Zu dem Thema hat Kleger auch drei Schriften veröffentlicht. Die ersten beiden widmen sich der Entstehung des Modellprojekts und sind bei der WerkStadt für Beteiligung kostenfrei erhältlich (E-Mail-Kontakt: wfb@mitmachen-potsdam.de). Der dritte, etwas umfangreichere Band mit dem Titel „Bürgerbeteiligung zwischen Regierungskunst und Basisaktivierung“ muss hingegen kostenpflichtig im Buchhandel bestellt werden. Er kostet elf Euro.

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