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Briten lassen sich in Potsdam einbürgern: Der ganz persönliche Brexit

Vier Briten sind in Potsdam eingebürgert worden. Damit bildet sich auch in Potsdam ein Trend ab.

Von Valerie Barsig

Potsdam - Rachel Mariott ist wütend auf Theresa May und Boris Johnson. Großbritanniens Staatschefin und ihr Ex-Außenminister, so sagt sie, hätten sie zum Brefugee gemacht. Brefugee? „Das Wort setzt sich aus Brexit und Refugee, also Flüchtling, zusammen“, erklärt die 30-Jährige, die seit sechs Jahren in einer Kita in Drewitz als Englischlehrerin arbeitet. Seit dem gestrigen Mittwoch nicht mehr als Britin im Exil, sondern als Deutsche. Denn Mariott hat sich feierlich von dem Sozialbeigeordneten Mike Schubert (SPD) einbürgern lassen – gemeinsam mit drei weiteren Briten und 17 Menschen anderer Nationen, die von nun an deutsche Staatsbürger sind. Dabei zeigt sich in Potsdam ein Trend, der für ganz Brandenburg gilt: Immer mehr Briten wollen im Zuge des Brexits Deutsche werden.

Laut dem Landesamt für Statistik sind im vergangenen Jahr in Brandenburg insgesamt 765 Menschen eingebürgert worden. Die meisten von ihnen, 123 Personen, kamen aus Polen, auf Platz zwei landeten die Briten. Insgesamt 70 von ihnen entschlossen sich in Brandenburg, Deutsche zu werden. Seit dem Jahr des Brexit- Referendums 2016 nahmen insgesamt 97 Briten die deutsche Staatsangehörigkeit an – in den beiden Jahren zuvor waren es insgesamt lediglich vier.

„Wir können es nur besser machen, wenn wir drinnen bleiben“

Auch für Potsdam gilt der Trend: Zwischen 2006 bis 2016 haben sich laut Statistik der Stadtverwaltung vier britische Staatsbürger in Potsdam einbürgern lassen. Insgesamt nahmen 2016 zwölf Bürger aus Großbritannien an Beratungsgesprächen zum Thema Einbürgerung teil. Wie viele Briten sich im vergangenen Jahr einbürgern ließen, konnte die Stadt am gestrigen Mittwoch nicht mitteilen. Dieses Jahr sind es bis jetzt bereits vier.

2016 entschied sich auch Mariott für die deutsche Staatsbürgerschaft. „Ich habe die Ergebnisse der Wahl im Juni 2016 in Großbritannien verfolgt“, erzählt sie. Danach habe sie einen Termin im Einbürgerungsbüro ausgemacht. Bei der feierlichen Übergabe ihrer Urkunde im Saal des Standesamtes im Rathaus musste sie ihre Tränen unterdrücken. „Ich freue mich, dass ich mich geschützt habe“, erklärt sie. Sie empfinde Freude „aber auch Trauer, weil mein Land mich einfach stehen lässt“. Durch den Brexit fühlte sie sich gezwungen, ihre britische Staatsangehörigkeit aufzugeben. „Die sind wirklich so doof und ziehen das durch“, sagt Mariott, die in Leicester geboren wurde und auch bei der proeuropäischen „Pulse of Europe“-Bewegung aktiv ist. Europa sei so, wie es jetzt sei, nicht das beste, gibt sie zu. „Aber wir können es nur besser machen, wenn wir drinnen bleiben.“

Einfache Antworten auf schwere Fragen

Das sieht auch Paul Buckley so. Der 63-Jährige ist in Portsmouth geboren und fühlt sich als Europäer. Er lebt bereits seit 40 Jahren in Deutschland. Seine Frau ist Potsdamerin, wegen ihr zog er in die Stadt. Mit Deutschland fühlt er sich bereits verbunden, seit er mit 18 Jahren als Militärdienstleistender in Nordrhein- Westfalen stationiert war. „Ich bin damals in Deutschland erwachsen geworden“, erzählt er. Es gefiel ihm so gut, dass er blieb. Ein Wermutstropfen blieb: „Ich konnte in Großbritannien nicht mehr wählen“, sagt er. Denn wer 15 Jahre nicht mehr im Land lebt, verliert sein Stimmrecht. Als dann der Brexit kam, habe er eine persönliche Entscheidung treffen müssen. „Die Bevölkerung in Großbritannien hat mit dem Brexit einfache Antworten auf schwere Fragen bekommen“, sagt Buckley. Das sei ein Schnellschuss gewesen, den er nicht unterstützen könne.

Die Briten, die sich zur Einbürgerung entschlossen, sind aber nur ein kleiner Teil der neuen Staatsbürger: Insgesamt haben sich in diesem Jahr bislang 77 Menschen einbürgern lassen, im vergangenen Jahr waren es 122. Seit dem Jahr 1990 haben etwa 2700 Menschen aus 115 Ländern in Potsdam die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, die meisten von ihnen stammen aus der Ukraine, der Russischen Föderation, der Türkei, aus Polen und Vietnam. Wer sich einbürgern lassen kann, richtet sich nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz. Bewerber um die Staatsbürgerschaft müssen unter anderem die deutsche Sprache beherrschen und sich mit der Rechts- und Gesellschaftsordnung auskennen (siehe unten).

„In Potsdam fühle ich mich zu Hause“

Gepaukt und gebüffelt hat auch Mariott im vergangenen Jahr. „Ich musste mein Deutsch verbessern“, erzählt die 30-Jährige. Den Einbürgerungstest habe sie genau vor einem Jahr bestanden, das Datum des gestrigen Tages bedeute ihr also viel. „In Potsdam fühle ich mich zu Hause“, sagt sie. Mit der Stadt verbinde sie viele Familienerinnerungen, weil sie oft hier in Urlaub war. „Die Lebensqualität hier ist hoch“, sagt sie.

Die vielen Einbürgerungen in Potsdam seien ein Indiz, dass Potsdam eine tolerante Stadt sei, sagt Sozialdezernent Mike Schubert bei der gestrigen Feier. „Die Integration der verschiedenen Einwanderergruppen wird auch in Zukunft eine große Rolle spielen“, so Schubert. In Potsdam lebten Ende 2017 laut der Statistik des Potsdamer Bürgerservice 12 888 Ausländer, das sind 7,51 Prozent der Potsdamer Bevölkerung. Insgesamt 1570 von ihnen kommen aus Syrien, 1193 Menschen aus der Russischen Föderation, 958 aus Polen. Auch viele Ukrainer (719) und Rumänen (638) leben in Potsdam, außerdem 548 Menschen aus Afghanistan. Bei 258 in der Stadt lebenden Ausländern ist die Staatsangehörigkeit laut Angaben der Stadt bislang ungeklärt.

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Hintergrund: Voraussetzungen für die Einbürgerung

Wer deutscher Staatsbürger werden will, muss den Einbürgerungstest über die Rechts- und Gesellschaftsordnung in Deutschland schreiben, erklärt Ulrike Wildner (42), Leiterin des Standesamts in Potsdam. „Wer allerdings einen deutschen Schulabschluss erworben hat, ist von diesem Test befreit.“ In einer weiteren Prüfung muss das Sprachniveau B1 in Deutsch nachgewiesen werden. Zudem müssen Anwärter auf die Staatsbürgerschaft mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben. Auch da gibt es eine Ausnahme: Wer einenIntegrationskurs besucht hat, kann schon nach sechs Jahren eingebürgert werden. Voraussetzungen sind auch ein eigenes Einkommen und ein fester Wohnsitz in Deutschland. gkf

Mehr Infos beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

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