zum Hauptinhalt
Pflaster flüssig. Gegen Alzheimer sind Sprühpflaster bereits auf dem Markt. Auch nur zur Wundheilung ohne weitere Wirkstoffe werden die Sprays seit Längerem eingesetzt. Nach der finalen Erprobungsphase soll die neue Entwicklung helfen, die Auswirkungen von Parkinson zu begrenzen, sodass die Patienten auch im Alltag beweglich bleiben.

© Andreas Klaer

BioTech-Campus Hermannswerder: Pflaster aus der Sprühflasche

Auf Hermannswerder entwickelt die Firma epinamics eine Weltneuheit, die Parkinson-Patienten den Alltag erleichtern soll Per Crowdfunding sollen nun die klinischen Tests der Erfindung finanziert werden.

Hermannswerder - Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und das unkontrollierte Zittern von Körperteilen: Zwischen 250 000 und 280 000 Menschen im Land leiden laut der Deutschen Parkinsongesellschaft an der auch als „Schüttelkrankheit“ bekannten Erkrankungen des Nervensystems. In seltenen Fällen sind sie durch die Erkrankung sogar bewegungsunfähig. Heilbar ist Parkinson nicht, aber viele Symptome können erheblich gemildert werden. Eine Möglichkeit ist die Behandlung mit dem Wirkstoff Rotigotin, der über ein Pflaster abgegeben die Bewegungsfähigkeit der Patienten erhöht. Das tägliche Wechseln der vergleichsweise großen Pflaster ist aber nicht nur schmerzvoll, sondern für viele Erkrankte eine motorische Herausforderung: „Oft sind die Patienten ältere Menschen. Ein Pflaster mit zittrigen Händen abzuziehen, das schaffen viele nicht“, sagt Wolfgang Kehr, einer der Gründer der Berliner Firma epinamics, der derzeit in Potsdam an einer Alternative tüftelt, die dem zusätzlichen Leiden ein Ende setzen soll.

Auf dem BioTech-Campus in Hermannswerder entwickelt Kehr zusammen mit seinem Kompagnon Hans-Michael Thiede ein Sprühpflaster, das möglicherweise schon in zwei Jahren die herkömmliche Gewebevariante ersetzen kann. Neu sind Sprühpflaster zwar nicht – etwa zum Abdecken von Abschürfungen und Schnittwunden. Aber ein Sprühpflaster als Wirkstoffträger, das also über längere Zeit einen bestimmten Wirkstoff in den Körper bringen soll, ist nach Unternehmensangaben eine Weltneuheit. Im Unterschied zu klassischen Klebe-Pflastern wird es direkt auf die Haut gesprüht und trocknet dort innerhalb von 90 Sekunden vollständig ab. Es entsteht ein transparenter, flexibler sowie wasserdampfdurchlässiger Film, der das Rotigotin langsam in den Blutkreislauf der Patienten abgibt. Der Wirkstoff stimuliert die sogenannten Dopaminrezeptoren im Gehirn und erhöht damit die Bewegungsfähigkeit.

Noch müssen die Sprühpflaster an Patienten getestet werden

„Wir wollen Patienten helfen, die auf die Verwendung von Wirkstoffpflastern angewiesen sind, bei denen klassische Produkte aber aufgrund von Hautreizungen Probleme hervorrufen“, erläutert Kehr den Grundgedanken der Erfindung. Der Wissenschaftler hat mehr als 37 Jahre Erfahrung in der pharmazeutischen Industrie, leitete unter anderem bei der Schering AG im Bereich Psychopharmaka die Forschung. Thiede begann seine wissenschaftliche Karriere in den 1970er-Jahren ebenfalls bei Schering. Dort lernte er Kehr kennen. Später arbeitete Thiede am Campus Benjamin-Franklin der Berliner Charité. Die Krankheit Parkinson in Angriff zu nehmen, erschien ihnen am Naheliegendsten, da sie auf diesem Gebiet schon lange geforscht hätten, erzählen die beiden Wissenschaftler.

Gegründet wurde das Medizin-Start-up bereits 2006. Derzeit beschäftigt die Firma vier Mitarbeiter. Ausschlaggebend für die Wahl Potsdams als Forschungs- und Entwicklungsstandort sei gewesen, dass dort bereits Firmen angesiedelt seien, die auf ähnlichen Gebieten arbeiten, sagt Wolfgang Kehr. „Und natürlich die Nähe zur Universität Potsdam“, fügt Thiede hinzu. „Außerdem ist es hier schön ruhig, sodass wir uns voll auf unsere Arbeit konzentrieren können.“

Noch allerdings verdienen Kehr und Thiede nichts an ihrer Erfindung. „Wir sind gerade in der klinischen Entwicklung“, so Kehr. Sprich: Das Sprühpflaster als Wirkstoffträger soll in Krankenhäusern an Patienten getestet werden. „Anfang des Jahres haben wir bereits einen ersten Vertrag mit einer brasilianischen Firma abgeschlossen“, berichtet der Firmengründer. Diese werde zunächst die Tests für ein anderes epinamics-Produkt, das allerdings auf dem gleichen Prinzip basiert, übernehmen. „Dabei handelt es sich um ein Sprühpflaster, das bei der Behandlung von Alzheimer-Patienten eingesetzt wird“, berichtet Wolfgang Kehr.

Für das Sprühpflaster sind eine Reihe von Anwendungsgebieten denkbar

Für das Parkinson-Pflaster dagegen sind die beiden Unternehmer noch auf der Suche nach Privatinvestoren, die die zwei klinischen Studien finanzieren, die vor der Markteinführung nötig sind. Unter www.aescuvest.de können sich Interessierte ab einem Betrag von 250 Euro an der Crowdfunding-Kampagne beteiligen. Dass es keinen Sponsor gibt, mit dem das Verfahren deutlich verkürzt werden könnte, ist eine ganz bewusste Entscheidung: „Wir wollten niemanden, der uns reinredet“, so Kehr.

Sollte sich das Sprühpflaster durchsetzen, können sich die beiden durchaus eine Erweiterung am Standort Potsdam vorstellen. Derzeit hat die Firma auf Hermannswerder rund 300 Quadratmeter Laborfläche angemietet. „Am Standort gibt es noch weitere freie Flächen, die wir perspektivisch anmieten wollen“, so Kehr. Auch die Zahl der Mitarbeiter werde noch steigen.

An Ideen für weitere Einsatzgebiete für ihr Sprühpflaster mangelt es ebenfalls nicht. „Man kann sich durchaus andere Krankheiten neben Parkinson und Alzheimer vorstellen, in denen Sprühpflaster hervorragend zur Anwendung kommen könnten“, sagt Kehr. So zum Beispiel bei Patienten, die unter Vitamin-D-Mangel leiden und bei denen die Wirkstoffaufnahme über den Darm blockiert ist. Oder die Behandlung bei lokalen dermatologischen Krankheiten, bei Pilzen zum Beispiel. „Es gibt viele mögliche nächste Ziele“, so der Firmenchef. (mit mat)

Hintergrund: Die Parkinsonkrankheit

Parkinson zählt neben Alzheimer zu den am häufigsten auftretenden Erkrankungen des zentralen Nervensystems des Menschen und wurde erstmals 1817 durch den Engländer James Parkinson als sogenannte Schüttellähmung diagnostiziert. Die für die Parkinsonkrankheit besonders typischen Symptome sind Zittern, Sprachstörungen und Muskelsteifheit in Armen und Beinen.

Das liegt am Mangel des Botenstoffs Dopamin im Gehirn, der notwendig ist für die Steuerung von Körperbewegungen. Bei Parkinson sterben Zellen im Gehirn ab, die für die Produktion von Dopamin zuständig sind. Deshalb kann nur in verringertem Maß oder gar kein Dopamin mehr produziert werden. Oft sind die Patienten ältere Menschen, bei denen die Bewegungssicherheit sehr eingeschränkt ist.

Gleichwohl ist derzeit Studien zufolge ein alarmierender Anstieg von Erkrankungen bei 30- bis 40-Jährigen zu beobachten. Dabei dauert es oft Jahre, bis die Symptome zutage treten und die Krankheit diagnostiziert werden kann. Die Ursachen, weshalb beim Morbus Parkinson Zellen absterben, sind bisher nicht bekannt und eine Heilung ist noch nicht möglich. Jedoch kann eine Therapie dabei helfen, die Symptome in den Griff zu bekommen und damit die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten. 

Ute Swart

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false