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Beutekunst aus Potsdam: Die verschollenen Schätze der Preußenschlösser

Am 21. Januar erhält die Schlösserstiftung vier kostbare Beutekunst-Gemälde zurück. Mehr als 3000 Werke bleiben aber vermisst. Eine Spurensuche

Von Peer Straube

In die Sowjetunion abtransportiert. Für das Offizierskasino der Roten Armee ausgesucht. Als Kriegsbeute in der Eremitage in St. Petersburg registriert. Leihgabe an die Reichsfinanzdirektion, beim Luftangriff 1943 vernichtet.

Die Einträge gleichen sich. Tausende davon stehen im Verlustkatalog „Zerstört – entführt – verschollen“, den die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) vor gut zehn Jahren herausgegeben hat. Gelistet sind in dem dicken Wälzer alle Gemälde, die die SPSG seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vermisst. Rund 3000 sind es insgesamt. Fast alles befindet sich in Russland. Bis heute. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Sowjets zahllose preußische Kulturschätze mit nach Hause genommen – als Wiedergutmachung für die von den Nazis angerichteten Gräuel. Abgesehen von den Gemälden harrt die Stiftung bis heute außerdem der Rückgabe von mehreren Zehntausend wertvollen Möbeln und anderen Kunstgegenständen aus den Hohenzollernschlössern.

Dass die Schlösserstiftung etwas davon wiederbekommt, ist ein seltener Glücksfall. Ein solcher ist mit der Rückkehr des Gemäldes „Madonna mit Johanneskind“ jetzt eingetreten. Die Schlösserstiftung konnte es wie berichtet mithilfe des niederländischen Kunstdetektivs Ben Zuidema aufspüren und ankaufen. Am 21. Januar soll das Gemälde, das ursprünglich in der Bildergalerie von Sanssouci hing, zusammen mit drei weiteren wiederbeschafften Beutekunst-Bildern präsentiert werden. Es ist ein rarer Lichtblick.

Eine Rückgabe der wertvollen Gemälde lehnt Russland ab

Denn für die Schlösserstiftung bedeutet die weggeschaffte Kriegsbeute „massive ideelle Verluste“, wie Sprecher Frank Kallensee sagt. Die Gemälde, Skulpturen und Möbel fehlten bis heute in den Schlössern und Parks. „Das ist nicht zu ersetzen.“ Der materielle Wert der Kunstgegenstände lasse sich seriös nicht ermitteln. Ein prominentes Beispiel illustriert allerdings, um welche Summen es geht: „Tarquinius und Lukretia“ von Peter Paul Rubens. Allein dieses Gemälde wird auf rund 80 Millionen Euro geschätzt. Bis 1942 hing es in der Bildergalerie, dann wurde es – wie viele andere Bilder auch – aus Angst vor Luftangriffen nach Rheinsberg ausgelagert. 1945 nahm es ein russischer Soldat mit nach Hause, wo es schließlich von einem russischen Geschäftsmann erworben wurde. Dieser bot es Deutschland 2003 zum Rückkauf an. Auf deutsches Betreiben beschlagnahmte die russische Justiz das Gemälde, gab es später aber wieder frei. Eine Rückgabe des Bildes lehnt die russische Regierung nach wie vor ab – der Käufer habe das Rubens-Werk seinerzeit schließlich in gutem Glauben erworben und von der Vergangenheit des Bildes nichts gewusst.

EIN BEUTEKUNSTKRIMI:

Madonna kehrt nach Sanssouci zurück

Entführt, eingetauscht, weggesperrt – 70 Jahre dauerte die abenteuerliche Irrfahrt der „Madonna“ aus Potsdam. Erst  1945 im Auftrag von Josef Stalin aus Sanssouci entwendet, dann als Zahlungsmittel von Gazprom verwendet, gestrandet in Maastricht – zum Schluss bei einer Geldübergabe in einem Transporter - MEHR HIER

Der Fall steht exemplarisch für die Schwierigkeiten, vor denen die Schlösserstiftung beim Thema Beutekunst steht. Verhandlungen sind wegen Deutschlands Kriegsschuld heikel, die Sachlage oft hochkomplex. Bereits in den 90er-Jahren hatte das russische Parlament, die Duma, die aus Deutschland weggeschaffte Kunst vorsorglich zu Staatseigentum erklärt. Bilder, wie das Porträt Friedrich Wilhelms II. von Anton Graff, das seit Ende März 1946 zum Inventar des Moskauer Puschkin-Museums gehört, werden daher mit großer Wahrscheinlichkeit nie wieder nach Potsdam zurückkehren. Die Stationen, die Graffs Porträt durchlief, bevor es nach Moskau gelangte, ist ebenfalls beispielhaft für viele weitere Kunstwerke aus dem einstigen Besitz des preußischen Königshauses: Ursprünglich Bestandteil der Sammlungen des Schlosses Charlottenburg, wurde es im Krieg wahrscheinlich zunächst in einem Flakbunker in Berlin-Friedrichshain versteckt, danach wurde es in ein Küchengebäude des Schlosses Babelsberg ausgelagert. Die Gebäude im Park Babelsberg dienten der damaligen Schlösserverwaltung als wichtiger Evakuierungsort für ihre Kunstobjekte. Der Chef der Institution, Ernst Gall, hatte seinerzeit zahllose Transporte organisiert – unter anderem wurden auch Kunstwerke in Salzbergwerke in Thüringen und ins Kloster Lehnin gebracht. Gall bewahrte damit unzählige Kulturschätze vor der Zerstörung.

Raffke Hermann Göring: Auch die Nazis bedienten sich gern an den Kunstschätzen

Doch nicht alle Kunstgüter aus den preußischen Sammlungen sind als Kriegsbeute in die Sowjetunion gelangt. Auch die Nazis bedienten sich gern aus den Beständen. So wurden mit Porträts berühmter Feldherren nicht selten Wehrmachtsgebäude ausgestattet. Im Oberkommando der Wehrmacht am Standort Potsdam-Eiche etwa hing ein von Ernst Gebauer geschaffenes Bildnis von General Scharnhorst – nur ein Beispiel von vielen. Auch Hermann Göring, der bekanntlich alles an Kunst zusammenraffte, was nicht niet- und nagelfest war, schmückte seine Immobilien gern mit Stücken aus den Hohenzollern-Beständen. So wurde unter anderem eine Kopie von Anton Graffs berühmtem Porträt Friedrichs II. an den preußischen Ministerpräsidenten ausgeliehen. Wo dieses Bild und die anderen Leihgaben geblieben sind, ist bis zum heutigen Tag unklar.

Das Ausmaß der Verluste ist überwältigend: Mehr als die Hälfte der Gemälde, die sich vor 1945 in den preußischen Schlössern befanden, ging nach dem Krieg verloren. Besonders stark wurden die Potsdamer Schlösser geschröpft. Von den einst 180 Gemälden in der Bildergalerie etwa fehlt bis heute rund die Hälfte, auch das Neue Palais wurde um unzählige Bilder erleichtert – ein Teil dieser Verluste wurde anlässlich der großen Jubiläumsausstellung zum 300. Geburtstag Friedrichs II. im Jahr 2012 durch Schwarz-Weiß-Reproduktionen kenntlich gemacht. Sind es in den beiden genannten Schlössern vor allem die Maler der Renaissance und des Barock wie Rubens, Guido Reni oder Jan Brueghel, deren Bilder den Weg nach Osten antraten, betreffen die Verluste im Marmorpalais und in der Kleinen Galerie des Schlosses Sanssouci vor allem die Malerei des 18. Jahrhunderts, darunter Werke von Antoine Pesne, Nicolas Lancret und Jakob Philipp Hackert. Am ärgsten wurden die Sammlungen von Schloss Babelsberg und dem Flatowturm dezimiert – mehr als 80 Prozent der Bestände, darunter bedeutende Werke der Malerei des 19. Jahrhunderts, etwa von Carl Blechen, Franz Krüger und Eduard Gaertner, werden seit Kriegsende vermisst.

Einige wenige Schätze gelangten auf spektakulären Wegen zurück

Spektakuläre Rückführungen gab es seitdem nur vergleichsweise wenige. Die größte fand 1958 statt, als unter dem sowjetischen Staats- und Parteichef Chrustschow aus politischen Gründen ein Teil der Beutekunst an die DDR zurückgegeben wurde – neben der Dresdener Gemäldegalerie zählten dazu auch mehrere Hundert Kunstwerke aus den Potsdamer Schlössern. In den Jahrzehnten danach waren die Größenordnungen zwar weitaus kleiner. Wenn es aber gelang, Bilder aufzuspüren und an ihren angestammten Platz zurückzubringen, waren die Geschichten, die dahintersteckten, zumeist spektakulär. So wie 2010, als in Mühlenbeck bei Oranienburg zehn Gemälde wiederauftauchten, die aus der Bildergalerie neben Schloss Sanssouci stammten. Ein junger Mann hatte sie einem Berliner Kunsthändler angeboten, der den wahren Wert erkannte. Die Bilder waren 1942 ins Schloss Rheinsberg ausgelagert worden, die Frau des Kastellans nahm sie mit, weil sie sie vor dem Abtransport durch die Russen bewahren wollte. Später hielt sie aus Angst den Mund und versteckte die Bilder bei ihrer Schwester im Kleiderschrank und unterm Sofa. Gegen einen satten Finderlohn gab die Familie die Bilder an die Stiftung zurück.

Vor zweieinhalb Jahren gab US-Botschafter Philip D. Murphy der SPSG das verschwunden geglaubte Bild „Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers“ zurück. Das Gemälde aus der Werkstatt von Rubens stammte ebenfalls aus der Bildergalerie. Nach dem Krieg wurde es nach Russland gebracht, die Familie, die es besaß, wanderte später in die USA aus. Als die Nachfahren es verkaufen wollten, wurde die Herkunft des Bildes recherchiert – die Familie entschloss sich zur Rückgabe nach Potsdam.

Experten aus Potsdam beobachten den Kunstmarkt genau

Damit solche Glücks- keine Einzelfälle bleiben, beobachten Experten der Schlösserstiftung sorgfältig die Aktivitäten auf dem Kunstmarkt. So besuchten die Kustoden regelmäßig alle großen Kunstauktionen und Kunstmessen, etwa die Antiquitätenmesse „Tefaf“ im niederländischen Maastricht, sagt Stiftungssprecher Kallensee. Auch die großen Kunsthandelshäuser seien für das Thema Beutekunst inzwischen sensibilisiert. Rund eine halbe Million Euro hat die SPSG jährlich für die Wiederbeschaffung von Kunstwerken zur Verfügung. Das werde auch aufgebraucht, so Kallensee. Nicht immer übrigens für Beutekunst. So erwarb die Stiftung im vergangenen Jahr zwei Silbertabletts, die einst Friedrich II. gehört hatten. Friedrich Wilhelm III. hatte sie später verschenkt – an einen reichen Russen.

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