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Zehn Zentimeter, die es zu überwinden gilt. Auf das Podest mit dem Rednerpult wird eine Rampe mit acht Prozent Gefälle führen. Das ist zu steil, sagt der ABB.

© Finanzministerium

Landeshauptstadt: „Betonkopf 2013“ für Barrieren im neuen Landtag

Behindertenverband kritisiert zu steile Rampe zum Rednerpult im Plenarsaal. Potsdams Bauaufsicht verweigert Baugenehmigung

Innenstadt/Babelsberg - Der Plenarsaal des neuen Landtags in Potsdams Mitte wird nach derzeitigen Plänen nicht barrierefrei sein. Diese Auffassung vertritt der Allgemeine Behindertenverband Land Brandenburg e.V. (ABB). Aus diesem Grund hat der ABB dem Landesfinanzministerium und der Landtagsverwaltung am Freitag zu gleichen Teilen den Negativpreis „Betonkopf 2013“ verliehen. Die Preisverleihung in Abwesenheit der „Geehrten“ fand im Babelsberger Thalia-Kino statt. Konkret kritisiert der ABB eine geplante Rollstuhlrampe zum Erreichen des Rednerpultes, deren Gefälle acht Prozent betragen soll. Laut DIN-Norm dürfte es nur ein Neigungswinkel von sechs Prozent sein. „Mit dem Neubau des Landtages hätte die Möglichkeit bestanden, Bürger- und Minderheitsrechte, Gleichstellung und Inklusion sozusagen in Stein zu hauen, ihnen in einem Gebäude Ausdruck zu geben. Diese Chance ist vertan“, erklärte der stellvertretende VBB-Vorsitzende Karl Lehmann in seiner „Laudatio“. Gerade „Gebäude der Herrschenden“ seien „immer auch der Ausdruck des Zeitgeistes“.

Die kritisierte Rampe wurde nach Aussage der Pressesprecherin des brandenburgischen Finanzministeriums, Ingrid Mattern, noch nicht errichtet. Sie könne jedoch nicht anders als mit einem Winkel von acht Grad und einer Länge von sechs Meter gebaut werden. „Die Rampe müsste acht Meter lang sein, es sind aber keine acht Meter mehr bis zur Wand“, sagte die Ministeriumssprecherin. Grund dafür sei die Entscheidung, in den Außenmaßen der Knobelsdorff-Fassade des Potsdamer Stadtschlosses zu bauen. Sollte ein rollstuhlfahrender Abgeordneter nicht aus eigener Kraft das Rednerpult erreichen, werde ein Saaldiener unaufgefordert Hilfestellung leisten. Gerade diese nötige Hilfe in einem neuen Landtagsgebäude „war uns einen Betonkopf wert“, betonte ABB-Vize Lehmann.

In einer ersten Reaktion auf die Betonkopf-Verleihung erklärte Sprecherin Mattern den PNN, die Potsdamer Bauaufsicht habe die Acht-Grad-Steigerung genehmigt. In einer schriftlichen Stellungnahme heißt es: „Die Landeshauptstadt Potsdam hat die regelkonforme Bauausführung überwacht und genehmigt.“ Die Stadt Potsdam reagierte auf PNN-Nachfrage noch am Freitag: „Es erfolgte durch die Bauaufsicht keine Genehmigung einer Rampe mit einer Neigung von mehr als sechs Prozent.“ Die Bauaufsicht habe der Baufirma BAM im April 2013 vielmehr mitgeteilt, dass Rampen mit acht Prozent Gefälle und ohne Zwischenpodeste – um Plätze in den Stuhlreihen im Bereich der Rampe erreichen zu können – nicht genehmigungsfähig seien. Die BAM sei gebeten worden, bis Mitte Mai ergänzende Unterlagen einzureichen. Stadtsprecher Jan Brunzlow: „Wir werden das definitiv nicht genehmigen.“

Nach daraufhin erfolgter Rücksprache mit der zuständigen BAM-Architektin erklärte Ministeriumssprecherin Mattern, die BAM brauche bei der Potsdamer Bauaufsicht gar keine Genehmigung einzuholen, da die fragliche DIN-Norm nur „für allgemein öffentlich zugängliche Bereiche“ gelte, der Plenarsaal sei aber nicht allgemein zugänglich: „Es ist gar kein Genehmigungsverfahren nötig.“

Die Sprecherin des Finanzministers Helmuth Markov (Die Linke) erklärte weiter, in der Planungsphase für den Landtagsbau seien im Dachverband ABB organisierte Verbände beteiligt gewesen, so die Potsdamer Arbeitsgemeinschaft Barcelona. Potsdam war 2005 der „Erklärung von Barcelona“ beigetreten, welche die Barrierefreiheit zum Ziel hat. Der Landtagsneubau, so Ingrid Mattern weiter, werde in seinen großzügigen öffentlichen Bereichen den Bedürfnissen von Menschen mit oder ohne Behinderung barrierefrei gerecht. Im Plenarsaal werden zudem etwa 50 bis 60 Plätze – je nach Fraktionseinteilung – für Abgeordnete barrierefrei zu erreichen sein, „also weitaus mehr als jede DIN-Norm vorgibt“.

Unterstützung erhält das Finanzministerium durch den Landtagsabgeordneten Jürgen Maresch (Die Linke), der am Freitagnachmittag von sich aus mitteilte: „Ich bin hier ziemlich betroffen darüber, dass man ein Gebäude diskreditiert, das in jeder Weise den modernsten behindertenrechtlichen Ansprüchen gerecht wird.“ Katrin Rautenberg, Sprecherin des Landtages, erklärte gegenüber den PNN: „Wir sind noch nicht am Zug.“ Die technische Übergabe des neuen Landtagsgebäudes erfolge erst im September.

Wohl unter dem Eindruck des Preises, „über den wir uns nicht freuen“, deutete Markovs Sprecherin Ingrid Mattern am Abend die Möglichkeit eines Auswegs an: „Ich halte eine technische Lösung, etwa mit einem Fahrstuhl, für diskussionswürdig.“ Die Frage sei, ob ihr Chef, der Finanzminister, diese auch bezahlen werde.

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