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Markant. Das Landhaus Wilberg mit geschweiftem Giebel, das Atelierzimmer (o.) und das neu ausgebaute Dach.

© A. Klaer

Besonderheit in der Villenkolonie Neubabelsberg: Bayrisch Babelsberg

Das Landhaus Wilberg in der Villenkolonie Neubabelsberg ist saniert. Erbaut wurde es wohl im Jahr 1904 es für den Maler Martin Ludwig Wilberg – im Stil eines Bauernhauses aus dem Voralpenland.

Potsdam - Das Atelierzimmer ist leer. So hat das Licht Platz, sich auszubreiten. Es scheint nicht einmal die Sonne in diesem Moment, doch ist der Raum voller Helligkeit. So wird Martin Ludwig Wilberg ihn sich gewünscht haben, so wird er an diesem Ort gearbeitet haben. Ein wenig füllt auch er diesen möbellosen Raum mit dem mehr als mannshohen Sprossenfenster, der Maler aus dem brandenburgischen Havelberg, der zu den bedeutendsten seiner Zeit gehörte, zahllose Zeichnungen und Gemälde hinterließ. Und dieses Haus.

Das Landhaus Wilberg, Karl-Marx-Straße 35, auf dem Hang an der Spitzweggasse gelegen. Direkt nebenan Mies van der Rohes Erstling, das Haus Riehl, ein Bauwerk von 1907. Klassisch wirkt dieses, herrschaftlich. Ganz anders sein Nachbar, das Landhaus von Maler Wilberg. Es hat einen geschweiften Giebel, einen Vorbalkon und ein Blumenfenster, das Dach ragt weit über die Hauswände hinaus – kurz: Es sieht aus, als wäre es aus Bayern in Babelsberg gelandet. Tatsächlich, so erklärt Denkmalpfleger Jörg Limberg, seit gut zwei Jahrzehnten in der Potsdamer Verwaltung zuständig für die Villenkolonie Neubabelsberg, ist das Landhaus Wilberg „etwas wirklich Singuläres“. Mit anderen Worten: Nur Wilberg, der Künstler, war auf die Idee gekommen, sich ein Bauernhaus, wie es im Voralpenland üblich ist, in die noble Villenkolonie bauen zu lassen. Wer das Landhaus entworfen und geplant hat, ist unklar. Bauakten wurden bislang nicht gefunden, so ist auch das Baujahr – 1904 – eine Schätzung.

Architekt könnte Eugen Drollinger sein, letzter Baumeister von Ludwig II.

Doch Limberg hat eine Vermutung. Architekt könnte Eugen Drollinger sein, letzter Baumeister des Bayern-Königs Ludwig II. Drollinger verantwortete Ausbauten an Schloss Neuschwanstein, plante repräsentative Wohn- und Geschäftshäuser in und um München. Und in Potsdam möglicherweise das Landhaus Wilberg – nicht ganz ohne Vorbild.

In einem Bildband entdeckte Limberg zufällig ein Foto der Villa Pfister in Feldafing am Starnberger See, entworfen von Drollinger. Die Villa hat deutliche „motivische Ähnlichkeit“ mit dem Landhaus Wilberg, wie Limberg sagt. Der Denkmalpfleger verfolgte die Wege der beiden Künstler, er rechnet damit, dass sie sich einst kreuzten. Dass es so war, kann er bislang nicht belegen, aber es scheint wahrscheinlich: So absolviert Wilberg, geboren 1853 in Havelberg, seinen Militärdienst in Karlsruhe. Drollinger studierte dort. Wilberg erhielt in Karlsruhe Aufträge Porträts anzufertigen, unter anderem von Großherzog Friedrich von Baden – und verkehrte wohl in ähnlichen Kreisen wie Drollinger. „Vielleicht haben sie sich draußen beim Malen getroffen“, sagt Limberg.

In seiner Villa malte Wilberg nicht nur im Atelier - sondern auch im Treppenhaus

Wilberg hat auf vielen Zeichnungen und Gemälden das Voralpenland gemalt, die Landschaft, die Gehöfte. Er sei talentiert gewesen, sagt Limberg, insbesondere sein Vetter, der Landschaftsmaler Christian J. Wilberg, förderte ihn. Zunächst war Martin Wilberg an der Weimarer Kunstakademie Schüler bei Albert Baur, Karl Gussow und Charles Verlat, dann lehrte er an der Akademie zu Leipzig Ornamentzeichnen. Doch die längste Zeit arbeitete Wilberg als Lehrer an der Unterrichtsanstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums.

Daheim in Neubabelsberg malte Wilberg nicht nur in seinem Atelier. Er schmückte auch Wände im Treppenhaus – mit Gemälden. Dass sie heute wieder zu sehen sind, ist auch Jörg Limberg zu verdanken. Als die Sanierung des Denkmals vor mehr als zwei Jahren geplant wurde, ordnete Limberg die Untersuchung des Treppenhauses auf Wandmalereien an – sie mit Ornamenten zu verzieren, war vor 1900 durchaus üblich.

Was die Restauratorin Joana Pomm und ihre Kollegin Anette Sturm im Sommer 2015 fanden, war jedoch weit mehr als das Übliche: Wilberg hat im Erdgeschoss des Treppenhauses ein eindrückliches, 3,30 mal 1,60 Meter großes Freihand-Gemälde hinterlassen, mit Ornamenten und Wappen, mit zwei anmutigen Frauen in roten Gewändern und mit hellem Haar. An der linksseitigen Wand hat er weiter gemalt, dort finden sich drei Helme, dazu Wappentiere, Ornamente. Mit dem Skalpell legten Pomm und Sturm die Gemälde frei, entfernten die Schichten Malerfarbe, die darüber gestrichen wurden, und den Kalkschleier, konsolidierten und konservierten die Bilder in wochenlanger Arbeit. Schlussendlich ergänzten die Restauratorinnen, die ihr Handwerk beide an der Potsdamer Fachhochschule erlernten, die Gemälde. „Wir denken uns nichts aus“, sagt Sturm, das wäre nicht erlaubt. Aber da, wo klar ist, was fehlt, wird retouchiert; allerdings so, dass selbst der Laie erkennen kann, dass die neue Farbe das Bild nur lesbar machen soll. Der Fund sei „ein Schatz“, sagen die Restauratorinnen. Welche Bedeutung Wilbergs Wandgemälde hat, ist allerdings bislang nicht entschlüsselt.

1913 bot der Maler sein Haus zum Verkauf an

Nicht sehr lange nach Errichtung des Landhauses verkauft Maler Wilberg es schon wieder. Die Annonce findet sich in der Illustrierten „Sport im Bild“ – „die Yellowpress der Kaiserzeit“, so Limberg – aus dem Jahr 1913. „Villa Neubabelsberg“ lautet die Überschrift, gefasst in Jugendstil-Typographie. Darunter heißt es: „Herrlich gelegenes Grundstück mit prachtvollem Blick über Wald- und Wasserflächen soll wegen Verzugs nach außerhalb sehr preiswert zu M. 90,000 unter günstigen Bedingungen verkauft werden.“ Sieben herrschaftliche Zimmer habe die Villa. Ein Käufer findet sich offenbar. Wie Limberg recherchiert hat, wohnte in den 1920er-Jahren dort der Ingenieur R. Weber, später seine Witwe Klara Weber, geborene Venzke, ab 1927 auch Ingenieur Maximilian Esterer, ab 1934 der Reichsbankrat Rudolf Hübner. Wilberg zieht ins benachbarte Klein Glienicke. Dort auf dem Friedhof ist er auch begraben. Er starb 1936. Doch die Geschichte seines Landhauses geht weiter.

Mit Ende des Zweiten Weltkriegs ergeht es dessen Bewohnern wie den anderen in der Villenkolonie: Innerhalb von wenigen Stunden müssen sie die Häuser räumen, die Rote Armee rückt ein. Das Haus wird offenbar Grenzerkaserne, „es müssen hier 15 bis 20 Soldaten gehaust haben“, sagt Torben Siegmund, der als Architekt des Hamburger Büros UK von Ulrike Krages die Restaurierung geplant hat. Bauherren sind „Bild“-Herausgeber Kai Diekmann und seine Frau, Buchautorin Katja Keßler, die in Potsdams Berliner Vorstadt wohnen. Während der Sanierungsarbeiten sei ein alter Mann zum Haus gekommen, sagt Siegmund. Er habe erzählt, dass er dort einst stationiert gewesen sei. Die Wohnräume seien zu Soldatenstuben geworden, die Holzspinde an den Eingangsbereichen waren noch erhalten, als die kommunale Pro Potsdam das Haus vor Kurzem verkaufte.

Der VEB Stadtbau Potsdam baut um - und entfernt das Atelierfenster

1963, da befindet sich das Landhaus im DDR-Eigentum, wird es erneut umgebaut. Der VEB – volkseigene Betrieb – Stadtbau Potsdam macht daraus ein Wohnhaus mit fünf Wohnungen. Die Arbeiten werden ordentlich dokumentiert – was sich für Limberg und Architekt Siegmund als Glücksfall herausstellt. Den entscheidenden Hinweis gibt Hans-Jürgen Hurlin, Bausachverständiger und Nachbar. Er habe das Landhaus einst umgebaut, erzählt Hurlin dem Denkmalpfleger. Die Planzeichnungen sind archiviert – und zeigen den Originalzustand, Grundlage für die heutigen Arbeiten.

Der VEB Stadtbau entfernt damals vor allem das riesige Atelierfenster. Es bleibt ein kleines, der Raum wird mit einer Wand geteilt. Außen wirkt der Eingriff wie eine Fehlstelle. Und wohl auch innen. „Um das Atelierzimmer dreht sich doch das ganze Haus“, sagt Architekt Siegmund. Es gehört jetzt zu einer von drei luxuriösen Wohnungen mit doppelseitig verglasten Kaminen, gezielt in den Kontrast mit Sichtbeton gesetztem offenem Mauerwerk, geschickten Durchblicken. Insgesamt 460 Quadratmeter Wohnfläche sind es, die Bauarbeiten dauerten ein Jahr. Alles was erhalten ist, wurde aufgearbeitet. „Nichts ist dazu erfunden, alles ist authentisch“, sagt Siegmund. Im Treppenhaus, nahe dem Wandgemälde, hängen seit wenigen Tagen vier große Bilderrahmen. Darin sind Werke von Martin Ludwig Wilberg ausgestellt. Viele zeigen das Voralpenland, Hügel, Berge. Und bayrische Landhäuser.

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