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Volle Anklagebank: Das Verfahren gegen mutmaßliche Hausbesetzer wurde nach mehreren Etappen eingestellt.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Besetzung ohne strafrechtliche Folgen

Die Verfahren gegen 14 Potsdamer, die an der Hausbesetzung in der Stiftstraße beteiligt gewesen sein sollen, wurden vom Amtsgericht Potsdam eingestellt

Die Verfahren gegen 14 Frauen und Männer, die am 26. und 27. Dezember 2011 mutmaßliche des leer stehende Haus in der Stiftstraße 5 besetzt haben sollen, wurden am gestrigen Dienstag eingestellt. Rechtskräftig sind die Urteile des Amtsgerichts Potsdam, das sich auf einen fehlerhaften Strafantrag stützte, noch nicht. Und am Ende blieb die Frage: Warum hat die Staatsanwaltschaft in dieser Sache eigentlich mit dem Verfassungsschutz korrespondiert?

Auf der Anklagebank des Potsdamer Amtsgerichtes saßen in drei Verhandlungen insgesamt 14 Schüler, Studenten, Angestellte, Selbstständige, Deutsche, Chilenen und Kolumbianer, mehr oder weniger prominent verwurzelt in der linken Szene. Angestrengt hatte die Verfahren wegen Hausfriedensbruchs der Verein Landesanstalt für Innere Mission (Lafim) als damaliger Hausherr. Auf eine Einstellung der Ermittlungen gegen Geldbußen zwischen 250 und 600 Euro hatten die Angeklagten sich aus Prinzip nicht eingelassen – weder im Vorfeld noch in der Verhandlung. Auch gegen Strafbefehle hatten sie Einspruch eingelegt. Sie sehen ihre Handlung, die erst durch ein Sondereinsatzteam der Polizei beendet worden war, als einen Akt der Zivilcourage. Etwa 70 Unterstützer saßen im prall gefüllten Gerichtssaal teilweise auf den Heizkörpern oder trafen sich vor dem Justizzentrum in der Jägerallee. Dort wurde Kuchen und Kaffee verteilt.

Zur Einstellung gegen Geldbuße wäre die Staatsanwaltschaft wohl auch am gestrigen Dienstag bereit gewesen. In teilweise 40 Minuten dauernden, nichtöffentlichen „Rechtsgesprächen“ erörterte Richter Françcois-Atair Eckhardt mit Angeklagten, Verteidigung und Staatsanwaltschaft die Konstellation. Insgesamt fanden drei Verhandlungen statt, weil das Amtsgericht nicht über einen entsprechend großen Raum für 14 Angeklagte verfügt. Am Ende stand jeweils das gleiche Urteil: Die Verfahren werden eingestellt – aber die Kosten für Gericht und Anwalt tragen die Angeklagten selbst.

Denn zwar sah der Richter einen rechtswidrigen Hausfriedensbruch, die Angeklagten hätten also Anlass zur Strafverfolgung gegeben – deshalb tragen sie die Kosten. Doch der Strafantrag, bei Hausfriedensbruch zwingend nötig, ging nur als unsignierte E-Mail bei der Polizei ein. Dies reicht nach Auffassung des Richters nicht. Unter Juristen ist diese Frage aber umstritten – und höchstrichterlich noch nicht entschieden. Gut möglich, dass die Staatsanwaltschaft Berufung einlegt, um eine Klärung zu erreichen. Damit stiege das Kostenrisiko für die Angeklagten.

Für einen Paukenschlag sorgte in der letzten Verhandlung Verteidiger Felix Isensee. Er wollte Einsicht in die Handakte von Staatsanwalt Handtke nehmen, weil er dort Korrespondenz der Staatsanwälte mit dem Verfassungsschutz vermutete. Er könne seinen Mandanten nur ordentlich vertreten, wenn er die gesamten Ermittlungsergebnisse kenne, sagte er. In der offiziellen Akte allerdings findet sich nur ein Schreiben, das auf weitere Schreiben schließen lässt. Warum der Verfassungsschutz überhaupt beteiligt war, blieb am Dienstag unklar.

Schließlich beantragte Isensee Freispruch für seinen Mandanten. Er fragte, ob das Notstandsrecht nicht eine Möglichkeit sei, um auf Missstände aufmerksam zu machen, aus der die Politik sich herausgezogen habe – wie bei bezahlbarem Wohnraum in Potsdam. Damit brachte er hinter der juristischen die gesellschaftliche Komponente zum Vorschein, die die Hausbesetzer auch durch das Gerichtsverfahren in die Öffentlichkeit bringen wollten. Steffen B., Chef des Vereins für die Wagenhausburg auf Hermannswerder, verlas während seiner Verhandlung eine vierseitige Erklärung zu den Motiven der Besetzung: „Potsdam wird immer mehr zu einem Freiluftmuseum und in Verbindung damit wird Wohnraum für durchschnittlich Verdienende unerschwinglich.“

Alternative Lebensformen wie die Wagenhausburg oder Wohnprojekte spielten in der Verwertungslogik der Stadt „genauso wenig eine Rolle wie die Bedürfnisse aller anderen nicht so reichen, aber mitunter wesentlich schöneren Potsdamerinnen“. Kritik übte Steffen B. auch am Lafim. Der Verein, Mitglied im Diakonischen Werk der evangelischen Kirche, „stelle sich in der Öffentlichkeit gern als anerkannter Vertreter von Nächstenliebe und sozialem Engagement dar“. Dabei handele es sich lediglich um ein gewinnorientiertes Unternehmen. Ingmar Höfgen

Ingmar Höfgen

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