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Landeshauptstadt: Beruf und Berufung

Angelica Blechschmidt, ehemalige Chefin der deutschen „Vogue“, wohnt seit kurzem in Potsdam – und entdeckt nun die Leichtigkeit des Lebens für sich

Hätte ihr das jemand vor drei, vier Jahren vorhergesagt – Angelica Blechschmidt hätte vermutlich ein anmutiges, ein wissendes Lächeln aufgesetzt, mit dem Kopf geschüttelt und sich wieder dem Schreibtisch ihres Münchner Innenstadt-Büros zugewandt. Ein Leben ohne die „Vogue“? Für sie lange Zeit nicht vorstellbar, denn das legendäre Modemagazin war ihr „Kind“, ihre „Erfüllung“. Als Chefredakteurin begleitete sie die deutsche „Vogue“ von Anfang an. Seit der ersten Ausgabe im August 1979 saß sie Monat für Monat mit ihrer Redaktion zusammen und sichtete die neuesten Trends aus Mode, Kunst, Kultur und Interior Design. Dabei begann für sie der Redaktionsalltag morgens um 10 Uhr, und meist war es nach Mitternacht, bevor Angelica Blechschmidt in ihr Auto stieg, um nach Hause zu fahren, in ihr bayerisches Schloss 55 Kilometer von München entfernt. So ging das tagein, tagaus. 24 Jahre lang. Workaholic würde man jemanden wie sie wohl nennen.

Nun wohnt Angelica Blechschmidt in Potsdam, und wenn man sie fragt, ob sie ihn vermisst, den Job, der für sie mehr Berufung als Beruf war, antwortet sie unverzüglich mit einem Nein. „Jahrzehntelang war ich in meine Arbeit vertieft und hatte keine Chance für soziale Kontakte. Das kann ich nun endlich nachholen“, sagt sie und sitzt dabei ganz aufrecht auf einem Stuhl im Wohnbereich ihrer Villa in der Nauener Vorstadt, die Beine elegant übereinander geschlagen. In den großen, stilvoll eingerichteten Räumen mit den hohen Stuckdecken wirkt die zierliche Frau fast ein wenig verloren. Sie trägt ein schwarzes, knapp knielanges Kleid mit schmalen Trägern, auf den Schultern liegt wärmend ein schwarzes Jäckchen. Schwerer Goldschmuck ziert das Handgelenk, an den langen Fingern stecken große Ringe. Eine silberne Haarsträhne, die ihr Gesicht rahmt und inzwischen zu einer Art Markenzeichen geworden ist, verleiht ihrem Antlitz etwas Erhabenes.

Während sie von ihrer Arbeit in München erzählt, zündet sich Angelica Blechschmidt eine Zigarette an. Auf dem flachen Tisch vor ihr steht ein Glas Campari Orange, im Hintergrund läuft klassische Musik. Sie sei begeistert davon gewesen, deutschen Frauen jeden Monat das Leben zu verschönern. Sie dabei zu begleiten, erwachsen und selbständig zu werden. Ihnen Stilgefühl und Selbstbewusstsein zu vermitteln. Kurzum: ihnen zu helfen, „ein starkes Rückgrat zu bekommen“. Doch nun, da sie eine Generation begleitet hat, wolle sie selbst die Leichtigkeit des Lebens genießen. Deshalb auch der Umzug.

Es gibt nicht mehr viel, was in der 380 Quadratmeterwohnung noch an die Zeit bei „Vogue“ erinnert. Im Arbeitsbereich stapeln sich die gesammelten Jahrgänge des Magazins, chronologisch sortiert in meterhohen Regalen. Auf dem riesigen Schreibtisch liegen Abschiedsbriefe von Designern wie Karl Lagerfeld, Tom Ford oder Alberta Ferretti. Es seien „hinreißende“ Briefe mit vielen lieben Worten gewesen, die sie zu ihrem Ausstieg vor zweieinhalb Jahren bekommen habe, erzählt sie.

Es war der oft zitierte Zufall, der Angelica Blechschmidt im November 2004 nach Potsdam führte. Nachdem für sie der Entschluss feststand, mit dem Abschied von „Vogue“ einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, riet ihr ein langjähriger Freund zum Umzug in die brandenburgische Landeshauptstadt: Wolfgang Joop. Ihn kennt sie aus ihrer Zeit in Hamburg, wo sie aufgewachsen ist und an der „Meisterschule für Mode“ studierte. Schon damals hatte ihr Joop oft von der Schönheit Potsdams, seiner eindrucksvollen Architektur und der inspirierenden Idylle der vielen umliegenden Seen vorgeschwärmt. Und so folgte sie spontan seiner Empfehlung – obwohl sie die Stadt zuvor kein einziges Mal gesehen hatte.

Den Schritt von Bayern nach Brandenburg wagte sie gemeinsam mit ihrer Nichte, deren Mann und zwei Kindern – ihrer Familie, wie Angelica Blechschmidt sagt. Das Beispiel der unglücklichen Ehe ihrer Eltern vor Augen, hatte sie bereits im Alter von fünf Jahren „beschlossen, niemals im Leben zu heiraten, um von niemandem abhängig zu sein“. Daran hat sie sich bis heute gehalten.

Ihre Entscheidung nach Potsdam zu ziehen, bereut Angelica Blechschmidt bis heute nicht. Sie freue sich, in einer „so wunderschönen Gegend zu wohnen“, erzählt die Frau, die mit ihrer modischen Vorliebe für schlichte Eleganz in ewigem Schwarz vielen als Stil-Ikone gilt. Zwischen der Alexandrowka, dem Belvedere und dem Neuen Garten gelegen, befindet sich ihre Villa in einer exponierten Lage, in der auch Nachbarn wie Mathias Döpfner oder Friede Springer wohnen. Zudem gäbe es in der Stadt jeden Tag etwas neues zu entdecken: Das Marmorpalais, die neoklassizistischen Villen oder die beeindruckenden Schlösser, die sie ein wenig an ihr ehemaliges Zuhause in Bayern erinnern – all diese architektonischen Attraktionen begeistern sie. Gerne gehe sie auch mit ihrem Hund in den nahe gelegenen Wäldern spazieren, erzählt die gebürtige Dresdenerin – eine Form der Entspannung, für die Angelica Blechschmidt erst nach ihrem Weggang von der „Vogue“ Zeit fand. Und vielleicht auch deshalb wirkt sie nach Jahren der beruflichen Hektik so gelassen und klingt völlig entspannt, wenn sie von ihrer Idee eines großen Mode-Fotobands erzählt. Als erstes allerdings plant sie ein Buch über die „Fashion Family“, die sie ein Jahrzehnt in Mailand, Paris, New York fotografierte und in großen Berichten unter dem Titel „flash!“ sporadisch in der „Vogue“ veröffentlichte. Viele hunderttausend Fotos warten nun auf ihre Auslese.

Erst jetzt konnte sich Angelica Blechschmidt einen lang ersehnten Wunsch erfüllen, der sich mittlerweile zu einer neuen Leidenschaft entwickelt hat: „Ich arbeite so gerne mit meinen Händen“ – aus Gips formt sie filigrane Kunstwerke und kleine Figuren. Ihre erste, eine 35 Zentimeter hohe, feingliedrige Skulptur der legendären afroamerikanischen Tänzerin Josephine Baker, wurde kürzlich für ein Kunstmagazin abgelichtet.

Gerade arbeitet die Kunstliebhaberin an einem mit Blättern berankten Kreuz. Und wenn es der immer noch eng gesteckte Terminplan zulässt, dann besucht Angelica Blechschmidt gerne Ausstellungen, wie etwa die Schau der amerikanischen Fotografin Annie Leibowitz in der Berliner Galerie c/o. „Das Wort Langeweile werde ich in diesem Leben nicht kennen lernen“, sagt sie, lächelt und nippt an ihrem Glas Campari Orange.

Man glaubt es ihr sofort.

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