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Hinter Milchglas. Eine Patientin schildert ihren Alltag in einem engen Dreibettzimmer im Bergmann-Klinikum. 

© Ottmar Winter PNN

Bergmann-Klinikum in Potsdam: „Jetzt wird es bei uns wie in Italien“

Beim Corona-Ausbruch im Klinikum ist eine Patientin mit Sars-CoV-2 infiziert worden. Sie berichtet von der schwarzen Station - damit die Erkrankten dort mehr Fürsorge bekommen.

Potsdam - Sie schiebt das Handy mit der hellroten Hülle von einer Hand in die andere. Immer wieder fällt ihr Blick auf das Display. Das Telefon ist seit sieben Wochen die einzige Verbindung, die Marita L. zu ihrer Mutter Anna S. hat. Anna S. ist Patientin im Potsdamer Bergmann-Klinikum. Seit drei Wochen ist sie dort auf der schwarzen Station. Der Covid-Station. Sie gehört zu den Patienten, die während des schweren Corona-Ausbruchs im Klinikum mit dem gefährlichen Sars-CoV-2-Virus infiziert wurden. Sie fürchtete um ihr Leben. Sie ist noch immer nicht gesund. Doch als sei all dies nicht genug, werde ihrer Mutter in diesem Krankenhaus noch mehr Leid zugefügt, sagt ihre Tochter.

Marita L. ist eine gestandene Frau, seit 28 Jahren selbstständige Einzelhändlerin in Potsdam, ihr Geschäft ist anerkannt, sie engagiert sich in einem Potsdamer Verein. Sie sagt es nicht leichtfertig. Die Entscheidung, öffentlich über das Erlebte zu sprechen, ist ihr schwergefallen. „Ich möchte nicht nach Schuldigen suchen“, sagt sie. Aber sie will, dass sich etwas ändert im Bergmann, „damit es endlich aufhört“. Ihren richtigen Namen und den ihrer Mutter möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Anna S. habe Angst, im Klinikum, wo sie bleiben muss, solange das Virus in ihrem Körper steckt, sonst auch noch Anfeindungen ausgesetzt zu sein.

Überraschend auf die Geriatrie verlegt

Das Grauen inmitten der in der Pandemie erstarrten Welt beginnt für Marita L., als ihre Mutter sie am 25. März anruft. Ein paar Tage vorher, am 20. März, ist Anna S. plötzlich auf die Geriatrie verlegt worden. Am 10. März war sie ins Bergmann-Klinikum gekommen, eine geplante, unaufschiebbare schwere Operation. Eigentlich sollte diese schon früher stattfinden, doch es hatten medizinische Teile gefehlt. So wurde es der 10. März. Die Operation verlief gut, Patientin und Angehörige waren erleichtert. Und sie waren vom professionellen, transparenten und zuvorkommenden Tun der Ärzte und Schwestern in der Fachabteilung beeindruckt, ja sogar verblüfft. Dann wurde Anna S. überraschend auf die Geriatrie verlegt, wofür ihre Tochter bis heute keinen Grund kennt. Niemand hat ihr dazu etwas gesagt.

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Anna S. liegt in der Geriatrie zunächst allein auf einem Krankenzimmer. Doch kurze Zeit später bekommt sie, so sagt die Tochter, eine Zimmergenossin. Die Frau ist schwer krank, hat Fieber und Husten. Corona? Die Beunruhigung wächst zur Sorge, als die Mutter an diesem 25. März anruft. Sie berichtet ihrer Tochter von der Stationsschwester, die gerade panisch ins Zimmer gekommen sei. „Jetzt wird es bei uns wie in Italien“, habe die Schwester hervorgestoßen, „es ist überall“.

Testsets mit Abstrichstäbchen.
Testsets mit Abstrichstäbchen.

© Jens Büttner/dpa

Die Geriatrie ist das Epizentrum des Corona-Ausbruchs im Klinikum. 88 Betten hat die Station, mehr als drei Viertel der Patienten werden wie Anna S. infiziert, mindestens 15 Prozent der Erkrankten sterben. Genaue Zahlen nennt das Klinikum nicht, erst weigerten sich die Verantwortlichen, dann berufen sie sich auf die laufenden rechtlichen Verfahren. Seit gut einer Woche prüft die Staatsanwaltschaft Potsdam, ob Ermittlungen eingeleitet werden müssen. Es geht auch um den Verdacht der fahrlässigen Tötung. Seit dem 26. März sind 39 Covid-Patienten im Bergmann gestorben. Jetzt ist die Klinikum-Geschäftsführung beurlaubt, eine unabhängige Untersuchungskommission wird eingesetzt.

Am 30. März sagt Anna S. ihrer Tochter am Telefon: „Ich habe keinen Keim, aber ich werde verlegt.“ Zwei Wochen müsse sie in Quarantäne, das habe der Doktor gesagt. Sie komme auf die K 3, einen anderen Bereich der Geriatrie. Marita L. ruft auf der Station an. K 3, das stimme nicht. Und sie erfährt, dass ihre Mutter doch infiziert ist. Marita L. und ihre Familie bringen es der Mutter vorsichtig am Telefon bei.

Zu dritt im Zimmer auf der Covid-Station reicht der Platz kaum für ein paar wenige Schritte

Anna S. wird auf die Covid-Station verlegt. Ein kleines, enges Drei-Bett-Zimmer. Zwei sehr kranke Frauen liegen dicht an dicht mit ihr. Das Fenster Milchglas, nur ganz oben ist ein Streifen frei, lässt sich der Himmel sehen. Keiner darf es verlassen. Nicht einmal auf den Flur dürfen sie, im Zimmer reicht der Platz kaum für ein paar wenige Schritte. So schildert es Anna S. ihrer Tochter am Telefon. Die hört bei diesen Telefonaten nicht nur die Stimme ihrer Mutter, sondern auch das Stöhnen der schwer erkrankten Bettnachbarin. „Wie Knast oder schlimmer, so muss man sich das vorstellen.“ Aber die Mutter möchte nicht, dass die Familie sich sorgt. „Sie ist eine handfeste Frau. Sie hat viel mitgemacht im Leben“, sagt Marita L. „Sie hat uns beruhigt.“

Dann bekommt Anna S. Fieber. Eine „wahnsinnige Angst“ habe ihre Mutter da erfasst, sagt Marita L. „Da sind ihr alle Felle weggeschwommen.“ Marita L. telefoniert mit ihrer Mutter, „fast rund um die Uhr“, aktiviert die ganze Familie, Freunde. „Das war die allerschlimmste Zeit. Diese Hilflosigkeit, ihr nicht beistehen zu können, und dann auch noch zu wissen, dass sie nicht gut aufgehoben ist dort“, sagt Marita L. „Ich bin nur herumgerannt wie ein Tiger im Käfig.“

Sechs Tage lang macht niemand das Bett, keiner wechselt die Bettwäsche

Nach Tagen sinkt das Fieber. Die schlimmen Halsschmerzen legen sich. Anna S. ist eine starke Frau. Oder sie hat Glück. Oder beides. Die Familie fasst Hoffnung. Aber die Anspannung bleibt. „Jedes Mal bleibt mir das Herz stehen, wenn sie nicht ans Telefon geht“, sagt Marita L. Zur Erleichterung kommt Enttäuschung. Auch Verzweiflung. 

Seit sechs Tagen, berichtet ihre Mutter am Telefon, habe niemand ihr Bett gemacht. Sie versuche es selbst, aber sie sei zu klein und zu schwach, das schaffe sie nicht. Und das Bett stehe so dicht am Fenster, an der Milchglasscheibe. Viel länger noch als sechs Tage sei die Bettwäsche nicht gewechselt worden, endlich geschieht es dann doch.

Ihre Mutter, sagt Marita L., brauche nach der OP dringend Physiotherapie, regelmäßig. Doch die gebe es nur auf Nachfrage, höchstens zweimal in der Woche. Gerade erst habe eine Schwester ihrer Mutter gesagt, „Sie sind doch schon so lange hier, da gibt es keine Physio mehr“. Auch diese Unfreundlichkeit mache Anna S. zu schaffen, sagt ihre Tochter, obwohl es Schwestern gebe, die ganz lieb seien, ihr Möglichstes tun. Sie fragt sich: „Kann man sich denn nicht vorstellen, was dies alles für einen alten Menschen bedeutet?“ Sie hat jedoch auch erfahren, „unter welchen Druck das Personal steht“, wie überfordert und allein gelassen Pfleger und Schwestern womöglich seien. Bei einem Telefonat mit der Station habe eine Schwester sich für eine kleine Aufmerksamkeit bedankt, sagt Marita L., „und sie hat dabei geweint“.

Anna S. hat einen "eisernen Lebenswillen" und Humor

Langsam erholt Anna S. sich, doch das Virus ist noch immer in ihr. Ein erster Test bleibt negativ. Doch als genesen gilt nur, wer zweimal hintereinander negativ getestet ist. Und der zweite Test, er ist positiv. Das Ergebnis kommt einen Tag nach Anna S. Geburtstag. Ein schwerer Rückschlag. „Sie muss in Tränen gewesen sein“, sagt ihre Tochter. Doch es gab keinen Trost. „Man sagte ihr, sie müsse doch wissen, dass es anderen viel schlechter gehe.“ Ihre Mutter habe einen „eisernen Lebenswillen und einen Humor, der vieles überspielt“. Doch wie lange wird sie aushalten, durchhalten? „Ich fürchte, dass unter diesen Bedingungen noch mehr Patienten im Klinikum sterben“, sagt Marita L.

Die beurlaubten Klinikchefs, Steffen Grebner und  Dorothea Fischer.
Die beurlaubten Klinikchefs, Steffen Grebner und  Dorothea Fischer.

© Andreas Klaer

Sie versteht nicht, warum das Klinikum für die Patienten auf der Covid-Station nicht besser sorgt. „Man hat sich an ihnen schuldig gemacht“, sagt sie. „Man muss viel fürsorglicher mit ihnen umgehen – doch es passiert genau das Gegenteil.“ Sie versteht auch nicht, „warum niemand sich fragt, was können wir den Patienten Gutes tun, damit sie dies unbeschadet überstehen?“ Selbst die fast fünf Euro täglich für Telefon, Wlan, Radio und TV habe das Klinikum für die Covid-Station erst erlassen, nachdem sie Beschwerden geschrieben habe. Ihr Eindruck sei immer wieder und wieder bestätigt worden: „Ganz am Ende stehen die Patienten, und viele von ihnen sind dem komplett ausgeliefert.“

Hätte ihre Mutter sich gar nicht mit dem Coronavirus infiziert, wenn es nicht Versäumnisse im Klinikum gegeben hätte? Wenn nicht offenkundig kranke Patienten auf die Geriatrie aufgenommen worden wären? Wenn die Station abgeriegelt worden wäre? Wenn neue Patienten isoliert und getestet worden wären? Über alle diese Fragen und die Antworten darauf versucht Marita L. nicht viel nachzudenken. Die Erklärung der Klinikum-Geschäftsführung allerdings, die nun doch Versäumnisse im Umgang mit dem Corona-Ausbruch eingeräumt hatte, lässt sie nicht kalt. „Sie haben am Klinikum vermutlich den Tod einiger Menschen zu verantworten - und dann diese Erklärung, vier Wochen danach“, sagt Marita L. „Das ist so armselig.“ 

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