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Corona-Warnschild vor der Covid-Station des Klinikums "Ernst von Bergmann" in Potsdam.

© Ottmar Winter

Exklusiv

Bergmann-Klinikum in Potsdam: Jeder vierte Covid-Patient überlebte nicht

"In der zweiten Welle haben wir jeden Tag einen Patienten verloren", sagt Infektiologie-Oberarzt Tillmann Schumacher. Noch immer gebe es kaum Mittel gegen Covid-19. Doch langsam entspannt sich die Corona-Lage.

Potsdam - Trotz einer im Landesvergleich erhöhten Sieben-Tage-Inzidenz in Potsdam entspannt sich derzeit im Klinikum „Ernst von Bergmann“ die Corona-Lage. Zuletzt wurden am Donnerstag 18 Covid-Patienten behandelt, zwölf von ihnen intensivmedizinisch. „Die dritte Welle hat uns nicht so schwer getroffen wie wir befürchtet hatten“, sagte Tillmann Schumacher, Oberarzt der Infektiologie, am Mittwoch den PNN. Vor allem bei den Covid-Normalpatienten sei ein Rückgang deutlich sichtbar.

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Seit Beginn der Pandemie sind nach Angaben des Klinikums 224 Menschen im Krankenhaus an und mit Corona gestorben. Die Mortalität der Corona-Patienten im Bergmann lag in den ersten beiden Wellen der Corona-Pandemie bei 25 Prozent, in der dritten bei 22 Prozent.

In der zweiten Welle starben 152 Corona-Infizierte im Klinikum

Im Zeitraum der ersten Welle vom 1. Januar bis 30. September 2020 starben laut Klinikum 46 Covid-Patienten – in diesen Zeitraum fällt der massive Corona-Ausbruch im Bergmann, bei dem zahlreiche Patienten infiziert wurden und starben, die wegen anderer Erkrankungen ins Krankenhaus gekommen waren und zu dem die Potsdamer Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt. In der zweiten Welle vom 1. Oktober 2020 bis 28. Februar 2021 starben 152 Corona-Infizierte im Klinikum; in der dritten Welle seit dem 1. März 2021 haben bislang 26 Patienten Corona nicht überlebt.

Das Pandemie-Jahr sei extrem hart für Ärzte, Schwestern und Pfleger im Bergmann gewesen, sagte Oberarzt Schumacher. „Das hat uns unglaublich viel Kraft gekostet.“ Dass Menschen sterben, gehöre zu einem Krankenhausbetrieb dazu, aber „die große Zahl der Verstorbenen muss man gedanklich und emotional erst einmal verarbeiten“, so Schumacher. „In der zweiten Welle haben wir jeden Tag einen Patienten verloren – das ist eine Belastung.“ Wer auf der Covid-Station arbeite wisse, „jeder vierte, der hierher kommt, wird das nicht überleben“. Das Klinikum biete den Mitarbeitenden professionelle Hilfe, um diese Erfahrungen zu verarbeiten, so Schumacher: „Ich bin seit 30 Jahren Arzt – aber noch nie war ein Jahr so fordernd.“

Behandlungsmöglichkeiten von Covid-19 weiter gering

Was dabei auch eine Rolle spielt: Seit Beginn der Pandemie seien die Möglichkeiten der Behandlung von schwer erkrankten Covid-Patienten nicht viel besser geworden, wie Infektiologe Schumacher erklärt. Wenn bei Infizierten das Immunsystem in Reaktion auf das Virus Amok laufe und diese überschießende Immunantwort Körper und Organe schädige, „gibt es nicht wirklich etwas, was wir dagegen tun können“.

Die Gabe von Antikörpern, wie Ex-US-Präsident Donald Trump sie bekommen hatte, sei nur sinnvoll, wenn die Infektion ganz frisch sei. Das habe das Klinikum in rund zehn Fällen angewandt und damit schwere Verläufe verhindert. Doch auf der Intensivstation sei „das Repertoire immer noch überschaubar“. Covid sei „eine ganz besondere Erkrankung“, so Schumacher, „die Lungenentzündung ist anders als die allermeisten“. Bei Patienten könne die Lungenfunktion viele Monate gestört sein, die Lunge verändere sich strukturell.


Die Ausbreitung der britischen Mutante B.1.1.7, die nun längst die dominante Corona-Infektion in Potsdam ist und den so genannten „Wildtyp“ verdrängt hat, führt nach den Daten des Klinikums nicht zu einer höheren Sterblichkeit und auch nicht zu längeren Behandlungszeiten auf der Intensivstation. „Unsere Befürchtung war, dass sich mit B.1.1.7 die Mortalität erhöht, das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet“, so der Infektiologe. Durchschnittlich wurden laut der Bergmann-Statistik Covid-Patienten in der ersten Welle 11,2 Tage auf der Intensivstation versorgt, in der zweiten 9,9 Tage und in der dritten 10,1 Tage.

Intensivpatienten oft zwischen 61 und 70 Jahre alt

Dass die Intensivpatienten jünger geworden sind – das Durchschnittsalter liegt in der dritten Welle bei 66,8 Jahren, in der zweiten lag es bei 73,8 und in der ersten bei 70,7 – führt Infektiologe Schumacher auf den zunehmenden Impfschutz der Risikogruppe der älteren und alten Menschen zurück. In der dritten Welle waren die meisten Intensivpatienten zwischen 61 und 70 Jahren alt (29 Prozent), es folgten 71- bis 80-Jährige (24 Prozent) und 81- bis 90-Jährige (19 Prozent). 16 Prozent der Covid-Intensivpatienten im Bergmann seit 1. März waren zwischen 51 und 60 Jahre alt, sechs Prozent zwischen 31 und 40, fünf Prozent zwischen 41 und 50 und zwei Prozent zwischen 18 und 30 Jahren alt.

Auffallend in der dritten Welle und mit der Ausbreitung der Mutation B.1.1.7 sei, dass sich bei etwa jedem fünften Covid-Patienten im Bergmann der Zustand in sehr kurzer Zeit sehr stark verschlechtert habe. „Patienten, die eben noch relativ stabil erschienen, müssen wir innerhalb von ein, zwei Stunden auf die Intensivstation verlegen“, beschreibt Schumacher. „Diese Dramatik haben wir in den ersten beiden Wellen nicht gesehen.“ Eine Erklärung für diese Infektionsverläufe gebe es bislang nicht, auch keine Muster der Betroffenen, die daraufhin deuten könnten, so der Oberarzt.

"Wir gehen in einen ruhigen Sommer"

Schumacher geht davon aus, dass sich die Corona-Lage in den nächsten Wochen weiter deutlich entspannen wird. „Ich denke, wir gehen in einen ruhigen Sommer.“ Dies sei aber nicht gleichbedeutend mit einem Ende der Pandemie, warnte er. „Raus aus der Pandemie kommen wir nicht – wir werden mit Corona leben müssen“, sagte der Infektiologe. „Wer sich nicht impfen lässt, wird unweigerlich in den nächsten ein bis zwei Jahren an Covid erkranken.“ Zu glauben, durchzukommen ohne sich impfen zu lassen, werde nicht funktionieren. 

Schumacher warb angesichts des bundesweiten Tages der Pflege am vergangenen Mittwoch dafür, die Leistung der Pflegenden in der Pandemie zu würdigen. „Die Schwestern und Pfleger hier bei uns haben Unglaubliches geleistet.“ Die derzeitige Debatte über Arbeitsbedingungen in der Pflege könne „nur der Einstieg sein dahin, dass man wirklich etwas ändern muss“. Pflege sei essentiell wichtig für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft. Wenn sich die Corona-Lage bald weiter normalisiere, dürfe dies nicht gleich wieder vergessen werden, sagte Oberarzt Schumacher. 

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