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Bergmann-Klinikum: Hilfe beim Abschiednehmen

Wenn das erwartete Kind nicht leben kann, ist das für Frauen und Familien oft ein Schock. Im Bergmann-Klinikum kümmern sich Seelsorgerinnen um Eltern von Stillgeborenen.

Potsdam - Markus Dröge schaut auf das Körbchen in seiner Hand. Es ist etwa 30 Zentimeter groß, vielleicht auch kleiner. Ein buntes Tuch liegt darin stellvertretend für ein kleines Bündel Mensch, falls im Krankenhaus ein Kind still geboren wird. So werden im Klinikum „Ernst von Bergmann“ Totgeburten genannt. Damit sich die Eltern in Ruhe von dem Kind verabschieden können, werden die meist sehr kleinen Wesen in solche Körbe gebettet. „Das hat ja etwas Biblisches, dieses Moseskörbchen“, sagt Dröge gerührt. Der Bischof war am Mittwoch zu Besuch auf der Geburtsstation, um mit Chefarzt Bernd Köhler und Seelsorgerin Franziska Riebesel über ein besonderes Angebot zu sprechen: Das Potsdamer Klinikum gehört zu den wenigen Krankenhäusern in Deutschland, die sich bewusst um Eltern kümmern, die ein Kind verlieren.

Möglich ist das auch durch die Unterstützung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, die den Großteil der Kosten für zwei Seelsorgerinnen trägt, die seit 2013 am Klinikum arbeiten. Eine von ihnen ist Riebesel, die hauptsächlich auf der Geburtsstation tätig ist. Riebesel studierte zunächst Theologie und qualifizierte sich dann für ihre heutige Tätigkeit weiter. Die Mutter von zwei Kindern nimmt auch immer wieder Supervision für sich selbst in Anspruch: „Die Arbeit berührt mich schon sehr, das geht mir sehr nahe.“

20 bis 30 Kinder pro Jahr werden tot geboren

Riebesel leitet eine wöchentliche Trauergruppe für verwaiste Eltern, führt viele persönliche Gespräche und organisiert drei- bis viermal im Jahr Abschiedszeremonien auf dem Friedhof sowie einen Gottesdienst, jeweils in enger Zusammenarbeit mit Klinikum, Kirche und Stadtverwaltung.

Vor allem steht sie als Ansprechpartnerin in der Klinik zur Verfügung, in der Gynäkologie und auf der Geburtsstation. Etwa 2000 Kinder kommen hier jedes Jahr auf die Welt. Etwa 20 bis 30 Kinder werden tot geboren. In den meisten Fällen passiert das in einer frühen Schwangerschaftswoche und die Frau weiß bereits vor der Geburt, dass das Kind nicht leben wird. Nur in sehr wenigen Einzelfällen betrifft es auch größere Kinder. Besonders schlimm sei, wenn sich erst im Kreissaal zeigt, dass das Kind nicht mehr lebt. „Das ist dann für alle eine Schocksituation,“ sagt Seelsorgerin Riebesel. Hier sei besonderes Einfühlungsvermögen gefragt.

Gemeinsamer Abschied ist möglich

Noch bis vor 30 Jahren habe man in Fällen von Still-Geburten ganz anders reagiert, so Köhler. „Das Kind wurde rausgetragen, die Frau hat es nie gesehen und nie erfahren, wohin es kam.“ Eine grausame Praxis, die ein Abschiednehmen und eine Verarbeitung der Situation unmöglich machte. Heute ist die Praxis eine andere. Im Bergmann-Klinikum gibt es für Still-Geburten einen Kreißsaal, der etwas abseits vom Trubel und Geräuschen wie Weinen von neugeborenen Babys liegt. Hier bekommen die Frauen direkt nach der Geburt ihr Kind in den Arm gelegt und dürfen einige Stunden gemeinsam verbringen. Sie werden zudem ermutigt, Geschwister und weitere Familienmitglieder wie Großeltern dazu zu holen. Damit habe man gute Erfahrungen gemacht, schließlich habe sich eine ganze Familie auf ein Kind gefreut, das ihnen nun genommen wird. „Man kann sich nur von etwas verabschieden, das man zuvor kennen lernen durfte“. Viele Familien richten dem verstorbenen Kind dann einen festen Platz in ihrem Leben ein und zählen es zu ihren Kindern immer hinzu.

Eine Auswertung ist wichtig

Im Bergmann-Klinikum versucht man, betroffene Eltern bereits vor der Geburt seelsorgerisch aufzufangen und dann durch den Prozess zu begleiten. Das könne mit wenigen Gesprächen getan sein aber auch Jahre dauern. „Es gibt Eltern, die seit Jahren die Trauergruppe besuchen“, so Riebesel. Sie vermittelt auch später noch Gespräche mit dem Arzt. Gerade für Frauen, die wieder schwanger werden wollen, ist eine Erforschung und Auswertung der Ursachen wichtig, um ihnen die Angst vor einer Wiederholung so einer Katastrophe zu nehmen.

Die Seelsorgerinnen kümmern sich auch um Frauen nach Abtreibungen und sehr frühen Fehlgeburten. Das sei immer noch ein Tabu-Thema, über das kaum gesprochen werde, dabei betreffe das mehr Frauen als man denke. Wenn Frauen mit ihrem Kummer und ihren Gedanken allein gelassen werden, tragen die das oft lange mit sich herum. Aus Gesprächen mit älteren Frauen weiß sie: „Das lässt einen nicht los und bleibt eine große Belastung, oft bis zum Lebensende.“

Auch Hilfe von Dolmetschern wird in Anspruch genommen

Es freut sie deshalb, dass immer mehr Frauen seelsorgerische Hilfe annehmen, von sich aus zu ihr kommen oder sich von ihr Ansprechen lassen. Wenn diese kein Deutsch sprechen, helfen Dolmetscher über Telefon oder per Videoschaltung. Sie steht dabei auch werdenden Eltern zur Seite, die ein behindertes Kind erwarten und Angst vor der Zukunft haben. Das betreffe meist Familien im ländlichen Raum, sagt Riebesel, wo bisweilen die gesellschaftliche Akzeptanz und die entsprechende Infrastruktur fehlen, von Fachärzten bis zu inklusiven Bildungseinrichtungen und funktionierendem Nahverkehr.

Riebesel sagt, der Bedarf an Seelsorge sei groß, sie würde aus ihrer 75-Prozent Teilzeitstelle gerne eine volle machen. Chefarzt Köhler sagt, bisher sei die Betreuung ausreichend.

Bischof Dröge, auf dessen Initiative die Stellen eingerichtet wurden, trifft im Anschluss an die Führung durch die Station noch zwei betroffene Frauen zum Gespräch und betont noch einmal die Relevanz. „Das ist ein wichtiges Thema, das über die Krankenhausleistungen hinausgeht. Trauerarbeit kann kein Facharzt leisten.“

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